Soviel Symbolhaftigkeit musste sein: Am 11.11.2014 um 11 Uhr startete der erste von drei Abschiedsflügen der allerletzten McDonnell Douglas MD-11 im Passagierdienst, und die Tickets kosteten genau 111 Euro. Der Andrang war riesig, alle 592 von KLM angebotenen Plätze waren im September innerhalb von nur vier Minuten ausverkauft; der Ansturm hatte die KLM-Internetserver an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Aus aller Welt reisten Luftfahrtenthusiasten nach Amsterdam, um das letzte Mal an Bord eines dieser klassischen Verkehrsflugzeuge abzuheben. Der Tag markierte das Ende gleich mehrerer Epochen im Flugzeugbau, so der einmaligen Beziehung zwischen der traditionsreichen königlich-niederländischen Fluggesellschaft und dem schon lange im Boeing-Konzern aufgegangenen Hersteller McDonnell Douglas.
KLM ist die einzige Airline der Welt, die seit 1934 jeden einzelnen auf den Markt gebrachten Typ des kalifornischen Flugzeugbauers betrieben hat: zunächst die DC-2, von der es in den Niederlanden noch ein flugfähiges Exemplar gibt. Dann die DC-3, die auch an diesem Novembertag als KLM-Traditionsflugzeug auf dem Vorfeld neben einer weiteren MD-11 ausgestellt war. Anschließend die DC-4 und sogar die weithin vergessene DC-5, von der nur zwölf gebaut wurden. Und natürlich die viermotorigen Langstreckenklassiker DC-6 und DC-7 sowie als ersten Interkontinentaljet die DC-8. Die zweistrahlige DC-9 war lange das Rückgrat der KLM-Europaflotte; die DC-10 und später die MD-11 waren auf Langstrecken unterwegs.
Boarding Für 111 Euro genossen Luftfahrtenthusiasten aus aller Welt den letzten Flug mit der MD-11 im Passagierdienst an einem strahlend schönen Herbsttag.
Abschied von der MD-11
Mindestens so bedeutsam war auch das Ende dreistrahliger Jets im Passagierverkehr an diesem sonnigen Spätherbsttag – der letzte MD-11-Linienflug war bereits am 26. Oktober 2014 aus Montréal kommend in Amsterdam gelandet. Dabei hatte es Zeiten gegeben, in denen Verkehrsflugzeuge mit drei Triebwerken extrem verbreitet waren. In den 1960er Jahren waren zweistrahlige Jets für längere Flugzeiten und das Überfliegen von Ozeanen nicht zugelassen, und drei Triebwerke waren in der Regel wirtschaftlicher als vier. Zu diesen Dreistrahlern gehörte vor allem die Boeing 727, lange das meistgebaute Verkehrsflugzeug der Welt mit insgesamt 1.832 produzierten Exemplaren. Die britische Hawker Siddeley Trident 3 war da mit nur 117 gebauten Flugzeugen eher eine Fußnote. Ende des Jahrzehnts entstand die Idee, auch Großraumjets für Langstrecken mit drei Triebwerken auszustatten, die Airlines brauchten neben der damals richtungsweisenden Boeing 747 eine kleinere Alternative zum Jumbo Jet. Das war die Geburtsstunde der McDonnell Douglas DC-10, die 1971 in den Liniendienst ging. Kurz darauf folgte das Konkurrenzmodell Lockheed L1011 TriStar, das allerdings nie den Erfolg der DC-10 erreichte. Von der markanten DC-10 wurden von 1968 bis 1988 insgesamt 446 Stück gebaut, davon 374 für den Passagierdienst. Konkurrent Lockheed hinkte stets hinterher, zwischen 1968 und 1984 verließen gerade 250 Exemplare die Werkshallen. Und dann kam 1990 die MD-11 auf den Markt, als Nachfolgemodell der DC-10.
ABSCHIED VON EINER LEGENDE:
Sie sieht eleganter aus als ihre Vorgängerin, nicht nur wegen des knapp sechs Meter längeren Rumpfes, sondern weil sie als erstes Verkehrsflugzeug überhaupt mit Winglets versehen wurde. Auch das Seitenleitwerk oberhalb des mittleren Triebwerks ist kürzer und kleiner, dazu kamen als wesentliche Verbesserung neue Antriebe, vor allem das CF6-80-C2D1F von General Electric, an dem die MTU Aero Engines beteiligt ist (siehe Inside MTU). Als erster Dreistrahler verfügte die MD-11 zudem über ein modernes Zweimann-Cockpit. „Die MD-11 ist ein sehr robustes und elegantes Flugzeug“, sagt Flugkapitän Charley Valette, bisher MD-11-Chefpilot bei KLM. Die ab 1995 verfügbare Konkurrenz in Form der Boeing 777-200ER bewies jedoch bald, dass sich auch mit zwei Triebwerken und ETOPS-Zulassung längere Überwasser-Strecken sicher fliegen ließen. Das war der Beginn eines Trends, der jetzt zum Ende der Dreistrahler führte - und auch die Bedeutung vierstrahliger Flugzeuge stark minderte. Kommerziell blieb die MD-11 daher weit hinter den Erwartungen zurück. Noch dazu stellte sich bald, nachdem Finnair als erster Betreiber im November 1990 den neuen Dreistrahler in Dienst gestellt hatte, heraus, dass das Flugzeug die zuvor gegebenen Zusagen für Reichweite und Treibstoffverbrauch nicht einhalten konnte. Der Hersteller führte ein ganzes Paket an Verbesserungen ein, aber zu spät. Wichtige Kunden wie Singapore Airlines stornierten ihre Bestellungen und legten sich für Ultra-Langstrecken die später eingeführte vierstrahlige A340-500 zu. Die Anzahl der Triebwerke spielte auch psychologisch zu Anfang der 1990er Jahre eine große Rolle, als es vielen Passagieren und manchem Piloten noch als unsicher galt, mit einem Zweistrahler über den Atlantik zu fliegen. „Wir hätten problemlos mit der Boeing 767 nach Amerika fliegen können, aber die Konkurrenz flog vierstrahlig, da musste sich die LTU für die MD-11 entscheiden“, sagt der deutsche Flugkapitän Joe Moser, damals LTU-Betriebsleiter.
„Ich werde die MD-11 vermissen, sie ist und bleibt meine Favoritin.“
Schließlich wurde die MD-11 nur neun Jahre lang an Airlines in aller Welt ausgeliefert, insgesamt 200 Exemplare. Der Hersteller, der 1997 von Boeing übernommen worden war, hätte erst ab 300 Verkäufen die Gewinnzone erreicht. 144 aller gebauten MD-11 begannen ihre Karriere im Passagierdienst, der Rest waren Frachtflugzeuge. Und im Warentransport fand die MD-11 ihre Nische. Ein Großteil der Passagierversionen wurde bald zum Frachter umgebaut, die ersten schon nach fünf Jahren im Passagierverkehr. Von den 150 MD-11, die im Sommer 2014 aktiv waren, flogen alle Fracht – bis auf die bis zuletzt verbliebenen vier von zuvor zehn KLM-Verkehrsflugzeugen. Als vorletzte Airline musterte Erstkunde Finnair seine MD-11-Flotte im Februar 2010 aus. KLM flog die erste Maschine bereits im Juli 2012 zum Ausschlachten von Ersatzteilen in die amerikanische Wüste. Und nun, am 11. November 2014, hatte die Stunde des allerletzten Passagierflugs eines dreistrahligen Jets geschlagen.
Die Stimmung vor dem Letztflug KL9899 von Amsterdam nach Amsterdam ist gelöst – bei strahlendem Sonnenschein mischt sich auch KLM-Chef Pieter Elbers unter die Passagiere. „Für uns ist das ein guter Tag, denn die Nachfolger A350 und Boeing 787-9 sind im Flugbetrieb bis zu 25 Prozent günstiger als die MD-11“, so Elbers. „Wir wussten zwar, dass eine ganze Menge unserer Kunden eine spezielle Zuneigung zur MD-11 haben, aber von der Resonanz auf die Abschiedsflüge waren wir schon überrascht“, gibt der CEO zu. Schon beim Einsteigen malen Passagiere ihre Abschiedsgrüße außen neben die Türen. Jeder Gast erhält eine Geschenktüte mit der Aufschrift „I fly MD-11“, darin unter anderem eine von Sammlern begehrte druckfrische Sicherheitskarte. Die Bordküchen sind zur Feier des Tages mit Girlanden geschmückt, in der Kabine laufen alle durcheinander, und es ist schwer, die Gäste dazu zu bringen, sich anzuschnallen. Kurz nach der planmäßigen Zeit um 15.30 Uhr setzt sich die im September 1994 gelieferte MD-11 mit dem Kennzeichen PH-KCD und dem Taufnamen Florence Nightingale in Bewegung. Zum Start geben alle drei Turbofans vollen Schub und vor allem im hinteren Teil der Kabine ist der bei ihren Fans so geliebte MD-11-Sound zu hören. Aber nur kurz, denn schon bei rund 2.000 Fuß (nicht einmal 700 Meter) Flughöhe endet der Steigflug. Bei klarem Herbstwetter folgt eine Holland-Sightseeing-Tour vom Feinsten – die Kanalküste, Rotterdam, Eindhoven, Ijsselmeer, Polder, Schiffe, Windmühlen. Doch dafür haben viele Enthusiasten an Bord kaum einen Blick übrig. Sie filmen in der Kabine, die immer noch erstaunlich modern wirkt, posieren für Fotos, trinken Wein aus eigens mit MD-11-Aufklebern versehenen Fläschchen. Chefpilot Charley Valette sitzt selbst im Cockpit und macht über Lautsprecher den Fremdenführer im Tiefflug über Holland. In der Kabine sind jetzt wasserfeste Filzstifte gefragt, denn jeder möchte auf Staufächer oder Wände einen Abschiedsgruß schreiben. Auch der CEO zückt den Schreiber und kritzelt „Danke MD-11 – 21 Jahre loyaler Service für diese königliche Firma“ auf das Fach über Reihe 12. Viel zu schnell landet der Flieger nach nur 54 Minuten Flug wieder in Schiphol. Zu Ehren der MD-11 folgt dann eine Prozession über die Hauptrollbahnen des Flughafens – der zwanzig Jahre alte Dreistrahler angeführt von der genau 50 Jahre früher gebauten DC-3, dem Traditionsflugzeug der KLM. Captain Charley Valette, der 16 Jahre und über 5.000 Flugstunden lang im MD-11-Cockpit saß, bringt es schließlich auf den Punkt: „Ich werde die MD-11 vermissen, sie ist und bleibt meine Favoritin.“