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Alles klar für die PW1100G-JM-Endmontage

Von der Idee zur industri­ellen Reife:
Die einzigartige End­montage des A320neo-An­triebs PW1100G-JM bei der MTU Aero Engines.

11.2017 | Autorin: Silke Hansen | 6 Min. Lesezeit

Autorin:
Silke Hansen schreibt als freie Journalistin für den AEROREPORT. Seit über zehn Jahren berichtet sie aus der Welt der Luftfahrt, ihre Themen­schwer­punkte sind Technik, Inno­vation und Markt. Ein weiteres Spezial­gebiet der Autorin ist das Corporate Responsibility Reporting.

Klar, die MTU Aero Engines ist ein un­ver­zicht­barer Player der Trieb­werks­branche, ihre Pro­dukte sind Schlüssel­tech­no­logien von Luft­fahrt­an­trieben. Bestes Beispiel: die schnell­laufende Nieder­druck­turbine für den Getriebe­fan, doppelt aus­ge­zeichnet für ihre inno­vativen Tech­no­logien. Die Exper­tise der MTU ist aber viel um­fas­sender, wie das selbst ent­wickelte Sys­tem für die End­mon­tage des A320neo-An­triebs PW1100G-JM beweist – eine aus­ge­feilte und welt­weit ein­malige Fertigungs­tech­no­logie. Und wie so oft und hier ganz be­sonders sind es die Mit­ar­beiter mit ihren Ideen, ihrer Ener­gie, ihrem Know-how und einer Portion Mut zum Risiko, die neue Lö­sungen voran­treiben.

Am Boden statt an der Decke

Im Falle der Endmon­tage des ­A320neo-An­triebs war es Elmar Stichlmair, Projekt­leiter Indus­tri­a­li­sie­rung PW1100G-JM. Im Sep­tember 2011 erhielt die MTU den Zu­schlag vom US-Ko­ope­ra­tions­partner und OEM Pratt & Whitney, 30 Prozent aller An­triebe zu montieren. Das war durch­aus eine Heraus­forde­rung, noch nie hatte die MTU die End­montage eines zivilen Trieb­werks mit so hohen Stück­zahlen reali­siert. Die Mon­tage musste kom­plett neu auf­gebaut werden, sollte mög­lichst wenig Fläche bean­spruchen und vor allem sehr flexibel sein. Üblicher­weise erfolgt der Zusammen­bau eines Trieb­werks an festen Sta­tionen mit Hilfe von Kränen, die an Decken­schienen laufen. „Mir kam die Idee, die Mon­tage mit einem boden­geführten System zu organisieren“, erzählt Stichlmair. Er hatte vorher die hoch­auto­matisierte Linie für das GEnx-Turbine Center Frame haupt­verant­wortlich mit auf­gebaut und sah darin ein Vorbild.

Schnell war klar, dass das Trieb­werk während der Mon­tage in einem Wagen trans­por­tiert werden sollte. „Der hätte aller­dings so groß sein müssen, dass der Mit­arbeiter nicht an das Trieb­werk heran­ge­kommen wäre.“ Das Konzept aus mehreren Wagen war geboren. Nach und nach feilte der MTUler daran weiter. „Die Idee ist langsam ge­wach­sen.“ Es entstand ein System aus bis zu 16 Wagen, die sich, je nach Montage­fort­schritt passend ge­koppelt, fließ­band­ähnlich entlang der Linie bewegen.

In acht Schritten bauen die Mit­arbeiter das Trieb­werk zu­sam­men, teils vertikal, teils hori­zontal, prüfen, ver­packen und ver­senden es. Die Vor­montage der Module, die von den Seiten zur Haupt­montage­linie stoßen, läuft pa­ral­lel. Daher ist das System beson­ders effi­zient. Mehrere Trieb­werke in unter­schied­lichen Bau­phasen lassen sich gleich­zeitig montieren – ab 2019 mit der Kapa­zität von einem Trieb­werk pro Tag.

„Es passte einfach alles auf Anhieb. Jedes Maß saß.“

Elmar Stichlmair, Projektleiter Industrialisierung PW1100G-JM

Interne Lösung setzt sich durch

Als Herausforderung erwies sich in der Planung, dass der MTU zu dem Zeit­punkt noch keine Unter­lagen zum Gesamt­triebwerk und seinen Ab­mes­sungen vorlagen. Der Antrieb befand sich in der Ent­wick­lung; die MTU ist als spe­zi­a­li­sierter An­bieter nur für ein­zelne Mo­dule zu­ständig. Am Ende hatte Stichlmair aber eine erste Spezi­fi­kation auf dem Papier. Jetzt musste das Kon­zept mit Le­ben gefüllt werden. In der Ausschreibung für die Konstruktion und den Bau der Wagen und Vorrichtungen setzte sich die MTU-interne Abteilung für Betriebs­mittel und Anlagen­service durch. „Es passte einfach alles auf Anhieb. Jedes Maß saß“, ist Stichlmair noch heute von der Arbeit der Kollegen begeistert. Inzwischen war mit der Detail­planung der Start­schuss für das Projekt zur Industrialisierung der A320neo-Triebwerks­montage gefallen. Stichlmair hatte die Leitung des Teams mit insgesamt 100 Mitarbeitern über­nommen und koordinierte die Zusammen­arbeit der unter­schied­lichen Fach­abteilungen sowie die Ab­stimmungen mit Pratt & Whitney.

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Bodengeführtes Montagesystem

Die Endmontage des A320neo-Antriebs PW1100G-JM bei der MTU Aero Engines ist einzigartig. Zum Video

Erfolg ohne Plan B

Im Mai vergangenen Jahres kam das erste Trieb­werk aus den USA nach München, mit dem die Pro­zesse über­prüft werden konnten. Das System funk­tio­nierte auf An­hieb fehler­frei. Einen Plan B hätte es auch nicht ge­geben. Anfang August standen schon die Prü­fer der ame­rika­nischen Luft­fahrt­behörde FAA (Federal Avi­ation Admini­stration) vor der Tür. Sie gaben dem neuen Montage­konzept der MTU grünes Licht. Eine wichtige Hürde war ge­nom­men. Dann ging es weiter Schlag auf Schlag. Ende August 2016 lieferte die MTU das erste mon­tierte Serien­trieb­werk an Air­bus nach Toulouse. Zwei Monate später weihte die MTU ihre Mon­tage­linie feier­lich ein – ein Meilen­stein in der Unter­nehmens­geschichte. Auch für Stichlmair war dies ein High­light. Er sei stolz gewesen, sagt er. Das Ver­trauen in die MTU hatte sich aus­gezahlt. Sie verant­wortet jetzt eine von welt­weit drei Mon­tage­linien für das PW1100G-JM, das wichtigste Trieb­werk für die Zu­kunft des Unter­nehmens, dessen Auftrags­bücher prall gefüllt sind.

Das System ist inzwischen patentiert und Stichlmair sowie sechs weitere Kol­legen haben für ihre Leis­tungen eine Aus­zeich­nung der MTU ge­wonnen. „Es war eine arbeits­in­ten­sive Zeit mit vielen in­ter­es­santen, aber auch komp­lexen Themen, einigen Reibe­reien. Aber es hat sich gelohnt. Es ist ein super Pro­dukt dabei heraus­gekom­men.“ Mal wieder.

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