Treffen sich eine DC-8, eine Gulfstream III, eine Dornier 228 und eine Falcon 20 auf Island. Preisfrage: Was machen die da, eine derart illustre Runde ziemlich exotischer Flugzeuge, die im normalen Luftfahrt-Alltag nur noch selten zu sehen sind? Antwort: Sie sind hier in wissenschaftlicher Mission unterwegs. Island ist durch seine nördliche Lage ein begehrter Ausgangspunkt für fliegerische Forschungsmissionen von beiden Seiten des Nordatlantiks. Im vergangenen Sommer trafen sich hier die Forschungsflieger des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) aus dem bayrischen Oberpfaffenhofen mit ihren amerikanischen Kollegen der NASA aus Palmdale in Kalifornien. Die beiden vom Baujahr her ältesten Veteranen, die 1969 gebaute McDonnell Douglas DC-8 der NASA und die Dassault Falcon 20 des DLR, Jahrgang 1974, bildeten dabei ein Team und widmeten sich gemeinsam der Erprobung neuartiger Lasertechnik zur Windvermessung. Der neue Wind-Lidar (steht für „Light Detection and Ranging“) soll ab Ende 2016 auf einem ESA-Wettersatelliten zum Einsatz kommen. Er erfasst die Winde über dem Nordatlantik exakter und ermöglicht eine präzisere Wettervorhersage - auch dank der Vorarbeit der Forschungsflieger auf Island. Ebenso wie die Gulfstream der NASA machte dagegen die Dornier 228 des DLR auf Island nur Station: Sie verbrachte zuvor viele Tage in der Luft über Grönland und testete dabei neue Radar-Abbildungsverfahren, mit denen die Beschaffenheit des ewigen Eises in bis zu 50 Metern Tiefe aus der Luft vermessen werden kann.
„Die Flugzeuge wachsen mit ihren Aufgaben und sind technisch auf dem neuesten Stand, da ist modernste Technik an Bord, trotz der alten Flugzeugzelle“, erklärt DLR-Pilot Steffen Gemsa. Er ist gerade nach einem vierstündigen Flug aus Grönland auf dem Flughafen Keflavik in Island gelandet mit der zweimotorigen Dornier Do 228, gebaut 1991 in Oberpfaffenhofen. Solche Flüge sind anstrengend. Die Turboprop hat keine Druckkabine, oberhalb von 10.000 Fuß (rund 3.300 Meter) Flughöhe müssen die Piloten Sauerstoffmasken tragen, wegen der Kälte in der Arktis dazu oft auch noch Schutzanzüge. Verpflegung gibt es an Bord nicht, „Es ist keine Zeit zum Essen, wir leben von Keksen und Kaffee“, sagt Gemsa. Aber selbst dieses kleine Vergnügen ist begrenzt: „Wir haben keine Toilette an Bord und müssen beim Kaffeetrinken schon strategisch denken, dürfen vor Abflug nur eine Tasse trinken.“ Trotzdem liebt der Flugkapitän, der bereits über 7.000 Flugstunden in vier verschiedenen Forschungsflugzeugen des DLR am Steuerknüppel gesessen hat, seinen Job: „Das ist auf jedem Flug etwas Besonderes, auch wenn wir manchmal acht Stunden am Tag in der Luft sind.“
„Die Maschinen wurden über viele Jahre technologisch und sensorisch so weiterentwickelt, dass nur sie können, was sie können. Die wachsen stetig mit ihren Aufgaben, so etwas kann man nicht neu irgendwo bestellen.“
Genauso ungewöhnlich wie sein Beruf sind die Flugzeuge, in denen er ihn ausübt: „Alles Einzelstücke, die kann man nicht ersetzen. Unsere Dornier 228 wurde 2014 auf den modernsten Standard umgerüstet, mit neuen Triebwerken und Fünfblatt-Propellern“, erklärt Steffen Gemsa. „Die Maschinen wurden über viele Jahre technologisch und sensorisch so weiterentwickelt, dass nur sie können, was sie können. Die wachsen stetig mit ihren Aufgaben, so etwas kann man nicht neu irgendwo bestellen.“ Forschungsflugzeuge sind auch deshalb meistens alt, weil Neubestellungen an den in der Wissenschaft notorisch knappen Budgets scheitern würden: „Ein neues Flugzeug kostet 30 bis 50 Millionen Euro, das kann sich die Forschung nicht leisten. Alle Forschungsflugzeuge sind auf 30 bis 40 Jahre Lebensdauer ausgelegt, die gehen mit uns in Rente“, lacht der gelernte Testpilot. Mit seinen 43 Jahren gehört er allerdings genauso wenig zum alten Eisen wie seine 24-jährige Dornier.
Hinter den Kulissen des DC-8-Forschungsflugzeugs der NASA
Die einzige noch fliegende Passagier-DC-8 fliegt im Dienst der NASA
Aber der wirkliche Hingucker in Island ist ganz klar die einzige DC-8 der Welt, die noch in der Passagierversion unterwegs ist – und mit ihren 46 Jahren älter als DLR-Pilot Gemsa. Erstaunlich geräuscharm, fast leise ist der große vierstrahlige Vogel, sogar beim Start. Das ist vor allem den moderneren CFM56-Triebwerken zu verdanken, die unter die leise Lärmkategorie III fallen. Die damalige DC-8-62 wurde 1986 mit diesen Motoren nachgerüstet, die die vorherigen, sehr viel schrilleren Pratt & Whitney JT3D Turbofans ersetzten und dem Vierstrahler die Serien-Bezeichnung -72 verschafften. Das Flugzeug mit der Produktionsnummer 458 wurde als DC-8-60 vom Werk in Long Beach, Kalifornien, im Mai 1969 an Alitalia geliefert. 1979 wechselte sie den Besitzer und flog bis 1982 für die in Dallas beheimatete US-Gesellschaft Braniff International Airways. Damit endete ihr Dasein im Passagierverkehr, die NASA übernahm sie im Februar 1986 mit etwa 40.000 Flugstunden als Forschungsflugzeug. Es dauerte zwei Jahre, sie entsprechend umzurüsten, aber dann war die DC-8 die ideale Plattform für alle Arten von wissenschaftlichen Missionen ganz unterschiedlicher Disziplinen. Stationiert ist sie im Armstrong Flight Research Center der NASA innerhalb der Edwards Air Force Base in Palmdale, Südkalifornien.
Die DC-8-72 ist ein sehr wirtschaftliches Fluggerät für lange Forschungsmissionen, das es den Wissenschaftlern ermöglicht, nonstop für elf oder sogar 14 Stunden zu fliegen, zu entlegenen Regionen der Erde wie etwa von Punta Arenas in Chile in die Antarktis und zurück. „Die DC-8 ist ein sehr solide gebautes, robustes Flugzeug mit einer Konstruktionsphilosophie aus den 1960er Jahren, die die härtesten Anforderungen besteht und überall auf der Welt einsetzbar ist“, sagt NASA-Forschungspilot Wayne Ringelberg. Die Festigkeit des Rumpfes ist vor allem wichtig für den Einbau wissenschaftlicher Instrumente, die es nötig machten, verschiedene Öffnungen in die Außenhaut zu schneiden oder Fenster durch Platten zu ersetzen, auf denen ganze Sammlungen von Sensoren angebracht sind. „In diese älteren Flugzeugkonstruktionen ist eine Menge Spielraum eingebaut, die es in moderneren Typen nicht gibt“, betont Ringelberg. „Als Vierstrahler liegt der Hauptvorteil der DC-8 vor allem in ihrer Redundanz auf langen Flügen.“ Um die Emissionen von Biotreibstoff zu messen, musste die NASA-DC-8 kürzlich in die Kondensstreifen der DLR-Falcon einfliegen, „da mussten wir recht langsam sein, aber so hoch steigen wie wir konnten“, erinnert sich Ringelberg.
Die fliegenden Forscher von NASA und DLR am Flughafen Keflavik.
Die fliegenden Forscher von NASA und DLR am Flughafen Keflavik.
Die fliegenden Forscher von NASA und DLR am Flughafen Keflavik.
Die McDonnell Douglas DC-8 (hinten) und eine Gulfstream der NASA warten auf ihren Einsatz bei der Erprobung neuer Techniken zur Wind- und Eisdickenmessung.
Die McDonnell Douglas DC-8 (hinten) und eine Gulfstream der NASA warten auf ihren Einsatz bei der Erprobung neuer Techniken zur Wind- und Eisdickenmessung.
„Wir machen drei bis sechs Kampagnen im Jahr, dabei dauert es allein zwei bis drei Wochen, die Instrumente einzubauen und zu kalibrieren, manchmal länger als die eigentliche Flugmission.“
Üblicherweise sitzen drei Mann im Cockpit, die Piloten und der Flugingenieur, während der Navigator vorn in der Kabine seinen Arbeitsplatz hat, unweit von zwei Missionsmanagern, die die wissenschaftliche Arbeit an Bord koordinieren. Außerdem sind zwei Sicherheitstechniker dabei, die das Funktionieren der Messinstrumente überwachen und in Notfällen Hilfestellung leisten. Damit befinden sich üblicherweise acht Mann NASA-Personal an Bord. Hinzu kommen zwei bis drei Wissenschaftler je installiertem Instrument, womit dann etwa 25 Leute in der sehr geräumigen Kabine arbeiten, die in ihrem früheren Leben für bis zu 175 Passagiere ausgelegt war. Heute stehen hier nur breite, frühere First Class-Sitze, meist von Instrumenten umgeben. Sehr auffällig sind die riesigen, rechteckigen Fenster der DC-8, die die heutigen als groß angepriesenen Fenster einer Boeing 787 oder Airbus A350 in einem anderen Licht erscheinen lassen. Und natürlich fällt das analoge Cockpit auf, mit seinen vielen Uhren und Zeigern auf den Instrumentenpanels der Piloten und des Flugingenieurs. „Wir haben bei der Avionik ein modernes Flight Management System, aber der Autopilot ist original“, sagt Wayne Ringelberg.
Insgesamt verbringt die NASA DC-8 jedes Jahr 300 bis 400 Stunden in der Luft. „Wir machen drei bis sechs Kampagnen im Jahr, dabei dauert es allein zwei bis drei Wochen, die Instrumente einzubauen und zu kalibrieren, manchmal länger als die eigentliche Flugmission“, erklärt Ringelberg. Besonders eine spezielle Eigenschaft der DC-8 schätzen die Wissenschaftler: die Möglichkeit, Messsonden direkt aus der Kabine durch ein Rohr abzuwerfen. Der unverwüstliche Rumpf der DC-8 kennt kein Limit an Flugstunden, bisher hat dieses Flugzeug etwa 54.000 absolviert. „Wir erwarten, sie noch mindestens ein Jahrzehnt zu fliegen“, sagt der NASA-Forschungspilot. Aber dann wird irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem es zu schwierig wird, Ersatzteile aus ausgeschlachteten Flugzeugen zu bekommen. Als Dinosaurier will Wayne Ringelberg seine DC-8 noch nicht bezeichnen, ist sie doch nur drei Jahre jünger als er selbst: „Das hat so einen negativen Beigeschmack, ich sehe sie lieber wie einen gut gepflegten Auto-Oldtimer.“