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Beste Flugverbindungen
Um das weltweite Wachstum des Luftverkehrs zwischen den urbanen Zentren bewältigen zu können, werden neue leisere Flugzeuge und effizientere Flughäfen gebraucht. Auch Big-Data-Anwendungen helfen dabei, Passagiere und Gepäck schneller ans Ziel zu bringen.
11.2016 | Autor: Denis Dilba | 10 Min. Lesezeit
Autor:
Denis Dilba
studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journalistenschule und gründete das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz. Er schreibt über verschiedenste Themen aus Technik und Wissenschaft.
Dass der Luftverkehr stark wachsen wird, ist bekannt. Allenfalls in den Prozentwerten der jährlichen Steigerungsrate gibt es in der Branche noch leichte Unstimmigkeiten. So haben Airbus und Boeing auf der diesjährigen Luftfahrtmesse im britischen Farnborough von jährlichen 4,5 Prozent weltweitem Wachstum bis zum Jahr 2035 gesprochen, während die International Air Transport Association (IATA) für denselben Zeitraum den Anstieg mit 3,8 Prozent pro Jahr etwas verhaltener einschätzt. Die interessanteren Fragen kreisen aber längst nicht mehr darum, um wie viel Prozent genau der Luftverkehr zunehmen wird, sondern vielmehr darum, wo er wachsen wird, was das für Auswirkungen hat und wie der rasant ansteigende Bedarf an Mobilität insgesamt bewältigt werden kann.
Einen Hinweis darauf, wo der Luftverkehr wachsen wird, geben die Vereinten Nationen in einer aktuellen Prognose: Die Weltbevölkerung und damit das potenzielle Passagieraufkommen wird vor allem in den Städten zunehmen. Lebten noch 1950 gerade einmal 30 Prozent der Menschen in urbanen Gebieten, so wohnt heute bereits mehr als die Hälfte dort, ab 2050 werden es mehr als zwei Drittel sein, so die Experten. Während die Urbanisierung in den westlichen Ländern bereits weit fortgeschritten ist, nimmt sie in Asien, Lateinamerika und Afrika gerade richtig Fahrt auf. Insbesondere in China und Indien ist eine regelrechte Explosion der Städte sowie einer kaufkräftigen und konsumorientierten Mittelschicht zu beobachten. Mit höheren Einkommen können sich diese Menschen mehr Flugreisen leisten. Bleibt die Wachstumsrate bis 2050 einigermaßen konstant, muss sogar mit einer Verdrei- bis Vervierfachung des Luftverkehrs gerechnet werden.
Das CentAirStation-Konzept von Bauhaus Luftfahrt
Neue kleinere Flughäfen direkt in den Innenstädten sollen zur Lösung der Herausforderungen des Luftverkehrs im Jahr 2040 und darüber hinaus beitragen.
Infrastruktur am Boden
„Die Frage ist, wie der Aufbau von Infrastruktur mit dem Mobilitätsbedarf in so schnell wachsenden Städten mithalten kann“, sagt Kay Plötner vom Think Tank Bauhaus Luftfahrt in München. Der Luft- und Raumfahrtingenieur hat an einem Konzept mitgearbeitet, das diese Frage elegant beantworten könnte: Neue kleinere Flughäfen direkt in den Innenstädten, von denen Direktverbindungen zueinander und zu bereits bestehenden Flughäfen angeboten werden, sollen Abhilfe schaffen. Plötner und seine Kollegen nennen die Studie, die sie 2016 auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin präsentiert haben, „CentAirStation“.
Die Idee ist, bestehende Gleisflächen von U- oder S-Bahnen mit vierstöckigen Gebäuden zu überbauen, auf deren Dächern Flugzeuge starten und landen können. Man könne sich das in etwa wie einen Flugzeugträger vorstellen – nur eben an Land, sagt Plötner. Die Flugfläche ist 650 Meter lang und 90 Meter breit, im Stockwerk darunter steigen Passagiere ein und werden Flugzeuge abgefertigt. Noch eine Ebene tiefer befinden sich Sicherheitscheck und Gepäckaufnahme sowie Restaurants und Geschäfte, die von den im Erdgeschoss ankommenden Zügen aus zugänglich sind. „Passagiere sollen von ihrer Ankunft mit der Bahn bis zum Abflug maximal eine Viertelstunde benötigen und nach der Landung in zehn Minuten das Gebäude verlassen können“, sagt Bauhaus-Forscher Plötner.
Die CentAirStations funktionieren allerdings nur mit einem neuen Flugzeugtyp: dem „CityBird“. Dabei handele es sich um ein Regionalflugzeug mit rund 60 Sitzplätzen und einer Reichweite von 2.700 Kilometern, erklärt Plötner. Die Triebwerke mit hohem Bypass-Verhältnis sollen moderne Turbokomponenten mit Kolbenmaschinen verbinden und so besonders geringe NOx-Emissionen ermöglichen. An dem zukunftsweisenden Composite-Cycle-Engine-Konzept hat auch die MTU Aero Engines mitgearbeitet. Zusätzlich soll ein Katapultstart die nötige Antriebsleistung zum Abheben steigern und so den Betrieb noch leiser machen. Landen und starten können soll „CityBird“ aber auch von herkömmlichen Flughäfen, schließlich sei die Idee, bestehende Flughäfen zu ergänzen und nicht zu ersetzen, sagt Plötner.
In vier Stunden von Tür zu Tür
Die Bauhaus-Idee könnte dazu beitragen, ein von der Europäischen Kommission ausgegebenes ambitioniertes Ziel für den „Flightpath 2050“ zu erreichen: Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts sollen 90 Prozent aller Reisen von Tür zu Tür in Europa nicht länger als vier Stunden dauern. Wie schwierig das heute ist, beschreibt Florian Rudolph, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig: „Wenn ich von Braunschweig über den Flughafen Hannover nach Paris reisen will und den Flieger auch wirklich sicher bekommen möchte, muss ich Pufferzeit für eventuelle Verspätungen von Bus und Bahn einplanen – und damit drei Stunden vor meinem Abflug von zu Hause losfahren“, sagt Rudolph. Zusammen mit dem Flug sei das Vier-Stunden-Ziel damit schon locker verfehlt.
Rudolph und seine Kollegen haben in dem DLR-Forschungsprojekt Optimode untersucht, wie das Zusammenspiel von Bus, Bahn und Fluggesellschaften so optimiert werden kann, dass Reisende weniger Pufferzeit einplanen müssen und trotzdem nicht Gefahr laufen, den Flug zu verpassen. „Wenn Airline, Bus- und Bahnunternehmen wissen, dass Fluggäste gerade im Bus oder Zug zum Flughafen sitzen, können bei Verspätungen Alternativrouten berechnet, zusätzliche Anschlussverbindungen gestellt oder Schnell-Boardings eingerichtet werden“, sagt Rudolph. Die Information darüber bekämen die Reisenden live auf einer App angezeigt. Und falls die Verspätung zu groß sei, berechnet das System eine neue Verbindung und leitet den Passagier über andere Knotenpunkte zu seinem Ziel, so Rudolph.
Was sich simpel anhört, ist in der Praxis eine große Herausforderung. Heute erfahren die Fluglinien oft erst beim Check-in am Abflugtag, dass der Fluggast sicher fliegen wird. Damit die Verkehrsträger flexibel reagieren können, müssten Reisende künftig dazu bereit sein, die Information über ihren Aufenthaltsort an Bus- und Bahnunternehmen sowie die Airline weiterzugeben. Das soll nach Vorstellung der DLR-Experten automatisch erfolgen, beispielsweise über den Scan des Bus- oder des Bahntickets und einen Abgleich mit GPS-Koordinaten, die vom Smartphone übermittelt werden. Betritt der Passagier den Flughafen, bestätigt er mit einem Barcodescan, dass er angekommen ist. Aber auch vor dem Hintergrund, dass ein erster Optimode-Prototyp durchweg positives Feedback bekommen hat, ist den Forschern klar, dass sie mit dem Projekt Neuland betreten. „Bisher optimieren die einzelnen Verkehrsträger nur ihre eigenen Systeme“, sagt Rudolph, „die Schwierigkeit ist, sie davon zu überzeugen, zu Gunsten eines optimalen Gesamtziels auch einmal von ihren Einzelzielen abzurücken.“
Entwicklung der Digitalisierung im Passagierluftverkehr innerhalb eines Jahres
78 %
99 %
der Airlines bieten Check-in über das Internet an
50 %
78 %
der Airlines bieten Check-in über mobile Endgeräte (Tablets, Smartphones) an
45 %
75 %
der Airlines bieten mobile Bordkarten an
Big Data verändert die Luftfahrt
Trotzdem zeigt Optimode schon heute, dass der Rohstoff Daten die Luftfahrt ebenso verändern wird wie die Urbanisierung. So können Fluggesellschaften durch die Auswertung aller ihnen über ihre Fluggäste zur Verfügung stehenden Informationen nicht nur den Service immer weiter optimieren, etwa indem das Lieblingshotel zusammen mit der Flugbuchung angeboten wird oder Vorlieben zum Essen an Bord direkt vermerkt sind. Auch der Check-In wird künftig reibungsloser ablaufen: Koffer, die mit Funkchips gekennzeichnet sind, können schon weit vor dem Flughafen aufgegeben werden – und im weiteren Verlauf der Reise automatisch den Aufenthaltsort des Reisenden finden. Das Warten am Gepäckband, schätzen Branchenkenner, wird schon innerhalb der nächsten zehn Jahre eher Ausnahme als Regel sein.
„Die digitale Transformation bietet enorme Chancen für die Luftfahrt. Sie macht das Fliegen effizienter, sicherer und komfortabler und die Herstellung von Flugzeugen oder Flugzeugteilen kostengünstiger und flexibler“, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des deutschen Digitalverbands Bitkom. Dr. Friedhelm Kappei, Senior Manager Central and Performance Engineering bei der MTU Maintenance Hannover, kennt das Potenzial von Big-Data-Analysen bereits aus der Praxis: Die Software MTU Plus Engine Trend Monitoring zeichnet während der Startphase oder im Reiseflug Triebwerksparameter wie Drehzahlen, Temperaturen und Drücke auf. Landet das Flugzeug, werden die Informationen an die MTU übermittelt.
Mit der Entwicklung des Engine Trend Monitorings habe man schon vor rund 15 Jahren begonnen, mit der Getriebefan-Technologie, die in der neuesten Triebwerksgeneration gerade in den Liniendienst geht, gar schon vor 30 Jahren, sagt Dr. Marc Le Dilosquer, MTU-Marktexperte. „Das zeigt: Veränderungen im Luftfahrtsektor müssen heute eingeleitet werden, um morgen ihr Potenzial ausspielen zu können.“ Echte Revolutionen im Luftverkehr seien aus heutiger Sicht nicht zu erwarten, sondern vielmehr eine weitere Evolution. Das liegt auch daran, dass die teure Infrastruktur weitgehend vorhanden ist und möglichst auch weiter genutzt werden muss. Ob es sich jedoch lohnt, einen bestehenden Flughafen auszubauen, lässt sich neuerdings mit einer adaptierten DLR-Software abschätzen, die ursprünglich für die Vorhersage der Entwicklung der Leuchtkraft von Sternen eingesetzt wird.
Engine Trend Monitoring
Das Frühwarnsystem für Triebwerke überwacht alle wichtigen Parameter während des Flugs. Schon kleinste Abweichungen werden erkannt und vorausschauend behoben. Zum Video
Mehr fliegen mit weniger Lärm
Klar ist aber allen Beteiligten, dass Veränderungen in der Luftfahrt ohne die Akzeptanz der Bevölkerung kaum durchzusetzen sind. „Das heißt vor allem: Wir müssen die Flugzeuge so leise machen, dass sie nicht oder nur geringfügig stören“, sagt Roland Gerhards, Geschäftsführer des Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) in Hamburg. Während elektrisches Fliegen auf sehr lange Sicht Potenzial zur Lärmreduzierung bietet, seien die Brennstoffzelle und kleine Elektroantriebe in den Fahrwerken heiße Kandidaten, den Luftverkehr bereits kurzfristig deutlich leiser zu machen, sagt Gerhards. „Damit könnten die Flugzeuge lautlos bis zum Start rollen.“ Beide Themen würden aktuell am ZAL bearbeitet und könnten innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre einsatzbereit sein.
Weniger Fluglärm ist auch ein Thema für die Hersteller von Luftfahrtantrieben: Die neuen Getriebefan-Triebwerke reduzieren nicht nur den Treibstoffverbrauch und die Schadstoffemissionen des Flugzeugs, sondern auch seinen sogenannten Noise-Footprint um bis zu 75 Prozent. Damit schrumpft die von einem bestimmten Lärmniveau betroffene Fläche um einen Flughafen herum auf ein Viertel. Das ermöglicht mehr Flugbewegungen, ohne die Umgebung noch weiter mit Lärm zu belasten, und schafft Raum für künftiges Wachstum.