Die Luftfahrtgeschichte erlaubt sich gelegentlich kleine ironische Wendungen. Denn dass es das GP7200, eines von zwei für das weltgrößte Verkehrsflugzeug angebotenen Triebwerksmustern, überhaupt gibt, verdanken Airbus und die A380-Kunden nicht zuletzt – Boeing. Die Amerikaner hatten Mitte der Neunzigerjahre ihren ersten von mehreren Versuchen gestartet, auf Basis der 747-400 ein Verkehrsflugzeug mit noch größerer Kapazität auf den Markt zu bringen. Das Problem war nur, dass keiner der drei großen Triebwerkshersteller über einen geeigneten Antrieb für die geplanten Super-Jumbos 747-500X und 747-600X verfügte – und keiner besonderes Interesse hatte, sich mit der Entwicklung eines solchen Triebwerks zu befassen.
Deshalb nahmen GE Aviation, Pratt & Whitney und Boeing zum Jahreswechsel 1995/1996 Gespräche über ein mögliches Joint Venture der beiden US-Triebwerksproduzenten auf, mit dem Ziel, wenigstens einen geeigneten neuen Antrieb zu entwickeln. Im Mai 1996 wurden der Kooperationsvertrag für die Engine Alliance unterzeichnet und gleich darauf die Arbeiten an einem neuen Triebwerk mit der Bezeichnung GP7000 aufgenommen.
Auch wenn das Vorhaben 747-500X/600X schnell wieder zu den Akten gelegt wurde, waren die investierten Dollars nicht umsonst gewesen, denn im Sommer 1996 war bei Airbus die Large Aircraft Division gegründet worden, und zwei Jahre später, im Mai 1998, wurde im Rahmen einer Absichtserklärung festgelegt, dass die Engine Alliance das GP7200 – die „2“ steht in der Pratt & Whitney-Nomenklatur für Airbus – für das damals noch als A3XX bezeichnete weltgrößte Verkehrsflugzeug entwickeln würde. Der 747-500X/600X-Antrieb sollte GP7100 heißen.
Das Beste aus zwei Welten
Für das GP7200 kombinierte man das Beste aus zwei Welten: Für den Hochdruckteil war GE zuständig, wobei man sich ausgiebig beim 777-Antrieb GE90 bediente, die einzelnen Komponenten aber an den geringeren Schubbedarf der A380 anpasste. Auch Pratt & Whitney nutzte für den Niederdruckteil Komponenten aus dem eigenen Produkt für die 777, dem PW4000, wobei die hohlen Fan-Blätter aus Titan beim GP7200 keine gerade Vorderkante erhielten, sondern sichelförmig gestaltet wurden.
Auch wenn die Engine Alliance ein Joint Venture von GE Aviation und Pratt & Whitney ist, bedeutet das nicht, dass die beiden Unternehmen auch das komplette Triebwerk fertigen. Im Gegenteil: Beträchtliche Arbeitspakete wurden an andere Hersteller vergeben. So ist der langjährige GE-Partner Snecma aus Frankreich für den Hochdruckverdichter verantwortlich, während Techspace Aero aus Belgien den Niederdruckverdichter beisteuert. Das dickste Auftragspaket sicherte sich allerdings MTU Aero Engines. Insgesamt 22,5 Prozent des GP7200 stammen von Deutschlands führendem Triebwerkshersteller, dem Entwicklung, Fertigung und Montage der kompletten Niederdruckturbine und des Turbinenzwischengehäuses sowie die Fertigung von Schaufeln und Scheiben der Hochdruckturbine übertragen wurden.
Mehr als 500.000 Flüge
Weil sich der A380-Erstkunde Singapore Airlines für das konkurrierende Trent 900 von Rolls-Royce entschieden hatte, musste das GP7200 dem britischen Antrieb bei Zulassung (Dezember 2004) und Indienststellung (Oktober 2007) den Vortritt lassen. Der Motor der Engine Alliance absolvierte seinen ersten Bodentestlauf im März 2004, im Dezember desselben Jahres begann die Flugerprobung unter dem linken Flügel einer GE-eigenen Boeing 747-100. Gut zwölf Monate später, kurz vor Jahresende 2005, sprach dann die US-Luftfahrtbehörde FAA die Zulassung für den neuen Antrieb aus, und am 25. August 2006 hob erstmals ein Mega-Airbus mit GP7200-Triebwerken vom Boden ab. Seit dem 1. August 2008 muss sich der Engine Alliance-Antrieb im Einsatz bewähren. An diesem Tag nämlich führte Emirates, der mit Abstand wichtigste Kunde des weltgrößten Verkehrsflugzeugs, den ersten A380-Linienflug von Dubai nach New York durch. Die Kombination A380 und GP7200 bewährt sich: Mehr als 99,9 Prozent der seit Indienststellung durchgeführten gut 500.000 Flüge hoben pünktlich ab; bis zu eine Million Dollar pro Flugzeug und Jahr, rechnet die Engine Alliance vor, können Airlines im Betrieb sparen, wenn sie sich für das GP7200 entscheiden und nicht für den Wettbewerber aus Großbritannien.
Airbus A380 beim Start.
Airbus A380 beim Start.
Airbus A380 beim Start.
Weitere Verbesserungen
Damit dieser Vorsprung auch weiterhin erhalten bleibt, wird kontinuierlich an Verbesserungen gearbeitet. Ein im Sommer 2014 angekündigtes Upgrade der Hochdruckturbine, das bereits in 50 Neutriebwerken installiert und auch als Nachrüstung erhältlich ist, bringt eine Erhöhung der Abgastemperatur-Reserve (EGT Margin) um bis zu zehn Grad und eine Leistungssteigerung von etwa einem halben Prozent. Eine neue Regelungssoftware, die aktuell unter anderem im Rahmen eines Dauerlauftests bei MTU in München getestet wird, soll die Metalltemperaturen in der Hochdruckturbine um 40 Grad reduzieren und den Treibstoffverbrauch im Steigflug um ein Prozent senken.
Mit der Leistung ihres Antriebs kann die Engine Alliance also zufrieden sein, weniger jedoch mit den Verkaufszahlen, denn die Nachfrage nach vierstrahligen Großraumflugzeugen – neben der A380 gehört noch die Boeing 747-8 in diese Kategorie – lässt gegenwärtig zu wünschen übrig. Dennoch ist Wolfgang Hiereth, Programmleiter GE-Triebwerke bei MTU Aero Engines, nach wie vor überzeugt, dass der Einstieg ins GP7000-Programm richtig war. Einerseits, weil man den Markt keineswegs aufgegeben habe und zuversichtlich sei, dass Airbus auch weiterhin A380 verkaufen werde. Andererseits, weil das GP7200 den Münchnern zum Einstieg in die nächste Generation von GE-Widebody-Antrieben verholfen hat, denn dem Auftrag für Entwicklung und Fertigung des Turbinenzwischengehäuses für das GP7200 folgten entsprechende Arbeiten für das GEnx (787, 747-8) und das GE9X (Boeing 777-8X und -9X). Und nicht zuletzt profitiert auch die MTU Maintenance von Aufträgen und vom Knowhow-Gewinn bei der Instandhaltung von Widebody-Triebwerken.