Dr. Rainer Martens, Vorstand Technik der MTU, erklärt: „Seit einigen Monaten läuft bei uns die additive Fertigung von Boroskopaugen für die Compliance und die Serie. Das ist für uns ein großer Erfolg.“ Damit ist die MTU in der Branche einer der Ersten. Zwar laufen überall Aktivitäten, die meisten stecken aber noch im Prototypenstadium. Das ist bei der MTU anders: Die Boroskopaugen, die per selektivem Laserschmelzverfahren (Selective Laser Melting = SLM) entstehen, sind Teil des Gehäuses der Niederdruckturbinen, die serienmäßig für das A320neo-Triebwerk PW1100G-JM hergestellt werden. „Damit stellt die MTU einmal mehr ihre Innovationsführerschaft unter Beweis, denn wir fertigen mit einem der modernsten Verfahren der Welt Teile für eines der modernsten Triebwerke, den Getriebefan“, betont Martens.
Boroskopaugen sind Anbauteile, die gebraucht werden, um die Beschaufelung von Zeit zu Zeit auf ihren Zustand und mögliche Abnutzungen hin zu überprüfen. Die Teile werden auf das Gehäuse genietet und erlauben es, ein Boroskop einzuführen. „Bisher haben wir diese Bauteile gegossen oder aus dem Vollen gefräst“, erklärt Walter Gieg, Bauteil-Teamleiter PW1100G-JM bei der MTU in München. Die Niederdruckturbine des Getriebefans (GTF) PW1100G-JM ist die erste Turbine, die serienmäßig mit additiv gefertigten Boroskopaugen ausgerüstet werden soll. Das erste PW1100G-JM-Compliance-Modul made by MTU ging Ende vergangenen Jahres an Pratt & Whitney. Im Juni wird es im ersten Compliance-Triebwerk an Airbus geliefert. Im Compliance-Programm werden Triebwerk und Zelle zusammen getestet und zugelassen.
Additive Verfahren sind bei Deutschlands führendem Triebwerkshersteller seit gut zehn Jahren ein Thema. „Begonnen haben wir mit der Herstellung von Werkzeugen sowie einfachen Entwicklungsbauteilen“, erläutert Dr. Karl-Heinz Dusel, Leiter Rapid Technologies. In der zweiten Phase wurden Rohteile produziert, die bestehende Teile ersetzt haben, etwa Spritzdüsen sowie Schleifscheiben zur Fertigung von Bauteilen. In diese Etappe fallen auch die Boroskopaugen, die für den A320neo-GTF hergestellt werden. Das brachte für die MTU erhebliche Veränderungen mit sich, denn: „Damit haben wir die MTU zum Rohteilhersteller gemacht und völliges Neuland betreten“, erklärt Prof. Dr. Thomas Uihlein, Consultant Management Technologietransfer bei Deutschlands führendem Triebwerkshersteller.
Uihlein: „Da wir Rohteile bisher eingekauft und nicht hergestellt haben, konnten wir auf keine vorhandenen Prozesse, Verfahren und Strukturen für die Herstellung und Zulassung zurückgreifen. Das alles mussten wir aufbauen.“ Allein die Erarbeitung des benötigten Normsystems und die Ermittlung der Daten hat zwei Jahre in Anspruch genommen. Plötzlich stand man vor Herausforderungen, die man bisher nicht kannte; Werkstoff und Anlagen galt es für diese neue Art der Herstellung in den Griff zu bekommen. Uihlein: „Wir haben etwa analytische Bauteile neu berechnet, die wir schon seit Jahrzehnten kannten.“ Zudem traten Fehlerquellen auf, die konventionelle Prüfverfahren nicht erfassen. Abweichungen müssen bereits während der Herstellung erkannt werden. Das ermöglicht ein Online-Prüfverfahren.
Weitere Verbesserungen an Anlagen, Verfahren und Prozessen sind vorgesehen. Zum Beispiel: Derzeit sind die Oberflächen der gefertigten Teile noch zu rau, was die Strukturmechanik beeinträchtigt – deshalb muss nachgearbeitet werden. Uihlein: „Wir brauchen Oberflächenqualitäten wie bei Gussteilen, an denen wir nur die Anschlussmaße nacharbeiten müssen.“
Das Direkte Metall Laser-Sintern (DMLS) lässt Bauteile Schicht für Schicht entstehen.
Das Direkte Metall Laser-Sintern (DMLS) lässt Bauteile Schicht für Schicht entstehen.
Das Direkte Metall Laser-Sintern (DMLS) lässt Bauteile Schicht für Schicht entstehen.
„Das additive Verfahren eignet sich vor allem für schwer zerspanbare Werkstoffe, etwa Nickellegierungen“, konstatiert Fertigungsspezialist Dusel. Für den Einsatz im Triebwerksbau sieht die MTU ein sehr großes Potenzial. Das Verfahren könne seine Stärke auch bei der Herstellung komplexer Bauteile ausspielen, etwa Lagergehäuse; denkbar seien auch Turbinenschaufeln. Technik-Vorstand Martens: „Wir entwickeln das additive Verfahren im Augenblick mit hoher Priorität in zahlreichen Technologieprojekten und Technologieprogrammen weiter, da es neue Designs, reduzierte Herstellkosten, kürzere Fertigungszeiten und Lieferzeiten verspricht.“ So arbeitet die MTU derzeit im Rahmen des größten europäischen Technologieprogramms Clean Sky an einem additiv gefertigten Dichtungsträger: Der Innenring mit integralen Honigwaben soll im Hochdruckverdichter verbaut und zu einer Gewichtsreduzierung, einem Hauptziel in der Luftfahrt, beitragen. Weiterer Vorteil ist eine deutlich verkürzte Fertigungszeit, da mehrere Arbeitsschritte in einem erledigt werden können.
Für Martens ist schon jetzt klar, dass seine Strategie aufgegangen ist: „Wir haben nicht gleich mit komplexen Bauteilen angefangen sondern mit vergleichsweise einfachen Triebwerksteilen, wie Boroskopaugen. Schritt für Schritt haben wir uns weiter vorgewagt und unsere Erfahrungen gemacht. Das zahlt sich jetzt aus, denn wir sind mit die Ersten, die für die Serie fertigen.“ Uihlein bestätigt: „Am neo-Triebwerk haben wir gelernt, wie die additive Serienfertigung funktioniert. Wir haben den Vorgang von A bis Z aufgebaut, durchgespielt, ausprobiert und beherrschen ihn. Das ist unser Vorteil, denn wir können den Prozess jetzt auf andere Bauteile und Triebwerkstypen übertragen, da die Grundstrukturen die gleichen sind.“