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Additive Fertigung: Schicht für Schicht
3D-gedruckt in hochkomplexen Strukturen – extrem leicht und unglaublich stabil. Das kleine Örtchen Krailling bei München steht wie kein zweiter Fleck auf der Erde für die Erfolgsgeschichte der Additiven Fertigung.
11.2015 | Autor: Thorsten Rienth
Autor:
Thorsten Rienth
schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT. Seine technikjournalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und Raumfahrtbranche im Bahnverkehr und dem Transportwesen.

Es ist Mitte der 1980er Jahre, als Dr. Hans J. Langer als Mitarbeiter eines US-amerikanischen Unternehmens einen Kunden besucht und dort sieht, wie dessen Ingenieure aus flüssigen Fotopolymeren schichtweise Kunststoffteile aufbauen. Die nötige Energie kommt aus einem Laser. Langer staunt. Was, wenn sich mit dieser Methode auch funktionale Bauteile herstellen ließen? „Mir schwebte das Bild eines Vogelknochens vor: ein komplizierter Hohlkörper, der aber extrem fest und leicht ist.“
Langer spricht bei der Geschäftsführung vor. Er schlägt den Einstieg in eine Welt vor, die er Electro Optical Systems nennt, kurz: EOS. Die Technologie sei der logische nächste Schritt in der Weiterentwicklung des Unternehmens, wirbt er. Statt lediglich Komponenten herzustellen, müssten sich doch mit Lasern, feinstem Metall- oder Kunststoffpulver und der passenden Software ganze Systeme fertigen lassen. Die Chefs winken ab, doch die Idee lässt den Münchner Physiker nicht mehr los. Er sucht und findet einen Investor, schreibt die Kündigung – und legt selbst los. 25 Jahre später ist Langer CEO der EOS-Gruppe mit Sitz in Krailling bei München, dem weltweiten Technologie- und Qualitätsführer für High-End-Lösungen im Bereich der Additiven Fertigung.
Die Grenzen setzt höchstens die Kreativität
Die Vitrinen im Showroom des Unternehmens erzählen den Weg dorthin. Er beginnt mit Modellhelikoptergehäusen, Steckern oder Robotergreifern. Entlang der Zeitachse werden die Produkte immer filigraner. Am Ende liegen Strukturen darin, die aussehen wie Schwämme – aber aus Metall sind; hocheffektive Wärmetauscher, die in einem Volumen von ein paar Kubikzentimetern nie dagewesene Oberflächen unterbringen; eine kleine Bauplattform, auf der bis zu 450 patientenindividuelle Zahnkronen und Zahnbrücken in einem Fertigungsgang hergestellt werden können. Die Grenzen der Anwendungsbeispiele setzt praktisch nur die Kreativität der Kunden: Ein Roboter, dessen Greifarm einem Elefantenrüssel nachempfunden ist. Die hohlen, konturnah gekühlten Werkzeugkerne eines Spielzeugherstellers, die sich deutlich schneller kühlen lassen und so die Taktzeiten in der Produktion der Teile verdoppeln.
So verschieden die Endprodukte sind, so haben sie doch eines gemeinsam: Mit herkömmlichen Methoden ließen sie sich nur wesentlich teurer oder überhaupt nicht fertigen. Laser-Sintern nennt EOS seine Methode. Auch für die Aerospace-Welt ist sie geradezu prädestiniert. Denn mit der Technologie lassen sich auch existierende – und damit bereits zugelassene – Werkstoffe verarbeiten.

Der EOS Bauprozess
Anstatt Werkstücke aus Blöcken zu fräsen, baut die pulverbasierte EOS-Maschine das Bauteil Schicht für Schicht aus Metallen, Kunst- oder Verbundwerkstoffen auf. Zum Video
Ein Laser lässt das Bauteil Schicht für Schicht wachsen
Technisch betrachtet handelt es sich dabei um dreidimensionale Mikroschweißvorgänge. Anstatt Werkstücke aus festen Blöcken zu fräsen und damit Material abzutragen, baut die pulverbasierte EOS-Maschine sie Schicht für Schicht aus Metallen, Kunst- oder Verbundwerkstoffen auf. Ein Beschichter trägt dazu nach und nach hauchdünne Schichten auf die Bauplattform auf. Ein starker Laser schmilzt das Pulver exakt an jenen Stellen auf, die ihm die computergenerierten Bauteil-Konstruktionsdaten vorgeben, und verbindet es mit der Schicht darunter. So wird das Bauteil additiv Schritt für Schritt aufgebaut. Gerade einmal 20 Mikrometer, also 20 Tausendstel Millimeter, ist eine Schicht im Metallbereich im extremsten Fall dünn.
Fast jede Form, die mit einem 3D-CAD-Programm konstruierbar ist, lässt sich auf diese Weise fertigen. Design-driven Manufacturing heißt das Stichwort, bei dem die Konstruktion die Fertigung bestimmt – im Gegensatz zu konventionellen Verfahren, bei denen die Fertigung der Konstruktion Grenzen setzt. Es ermöglicht hochkomplexe Strukturen mit filigranen Details, kleine Losgrößen zu akzeptablen Stückkosten und eine starke Produktindividualisierung.
Funktionsprinzip des Laser-Sinterns
„Es braucht viel Erfahrung und ein klares Verständnis darüber, welche Faktoren Auswirkungen auf die Bauteilqualität haben und wie man sie entsprechend anpassen kann.“
Der Prozess dahinter sieht geradezu spielerisch aus. Wie ein Miniaturfeuerwerk im Zeitraffer springt der Laser über das Pulver. „Doch das ist deutlich anspruchsvoller, als es den Eindruck macht – es gibt dabei Millionen von Schweißnähten“, stellt CEO Langer klar. Es reiche nicht, die Maschine einfach nur mit den Daten zu füttern und zu warten, bis ein paar Stunden später das fertige Bauteil herauskommt.
Wie sehr die Technologie im Kommen ist, zeigt ein Blick auf die EOS-Zahlen. Mehr als 240 Millionen Euro Umsatz peilt das Unternehmen im Jahr 2015 an. Es wäre das zweite Jahr in Folge, in dem EOS etwa 40 Prozent im Jahr wächst. Alleine im laufenden Jahr hat sich die Anzahl der Mitarbeiter um etwa 100 auf weltweit ungefähr 740 erhöht. Sie arbeiten praktisch rund um den Globus, etwa in den USA, China, Finnland oder Italien. In Krailling baut EOS nach dem 2014 fertig gestellten Technologie- und Kundenzentrum gerade ein weiteres neues Gebäude. Langer schätzt, dass sein Unternehmen in den nächsten drei bis fünf Jahren über 1.500 Systeme verkaufen und bei Kunden installieren wird – das sind ungefähr genauso viele, wie in der ganzen Unternehmensgeschichte seit 1989 bis heute verkauft wurden.
Der neue Firmensitz des MTU-Partners EOS GmbH in Krailling bei München.
Additive Fertigung
Vom „Rapid Prototyping“ in die Serienfertigung
Die Ursprünge des industriellen 3D-Drucks liegen im „Rapid Prototyping“, dem Bau von Anschauungs- und Funktionsprototypen. In Zeiten immer kürzerer Marktzyklen wächst die Bedeutung von schneller Produktentwicklung und Markteinführung. Inzwischen sind 3D-Druck-Ingenieure keine Nerds mehr, die hinter dicken Hornbrillen an futuristischen Geräten basteln. Die Technologie hält Einzug in die Serienfertigung.
Kaum eine Industriegröße, in deren Fertigung sich keine Maschinen aus Krailling befinden. Der Münchner Automobilhersteller BMW ist etwa ein Partner der ersten Stunde. Mit Siemens arbeiten die Kraillinger ebenfalls eng zusammen. Auch bei der MTU Aero Engines in München stehen Maschinen von EOS. Die erste ging im Jahr 2009 in Betrieb, als eine der ersten überhaupt in der Luftfahrtbranche. Zunächst setzte sie die MTU im Werkzeugbau ein, etwa bei Kühlmittelspritzdüsen, Schleifscheiben oder Befestigungen mit komplexeren Innenstrukturen.
„Im Mittelpunkt stand für uns erst einmal nicht die schnelle Fertigung von Triebwerksteilen“, erklärt Dr. Karl-Heinz Dusel, der bei der MTU die Additive Fertigung leitet. „Wir wollten die Technologie von Anfang an verstehen.“ Inzwischen fertigt die MTU die Boroskopaugen für das A320neo-Triebwerk PW1100G-JM additiv. „Dichtungsträger mit integrierten Honigwaben-Dichtungen sind die nächsten Bauteile, bei denen wir die Technologie umfassend einsetzen wollen“, gibt Dusel einen Ausblick. Hier erfahren Sie mehr zum Thema "Additive Fertigung".
Reproduzierbare Qualität und Prozessstabilität
Wie so oft profitieren von der Partnerschaft beide Seiten. „Aus unserer Perspektive ist es unglaublich wichtig, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der die Additive Fertigung wirklich versteht“, sagt Dusel. Lediglich Prototypen herzustellen sei zu wenig. „Für die Serienfertigung ist reproduzierbare Qualität und Prozessstabilität unabdingbar.“ Genau die Stichworte also, die auch für EOS essenziell sind. „Für uns geht es darum, Konstruktionsprinzipien zu beherrschen“, erklärt Felix Bauer, bei EOS Business Development Manager Aerospace. „Nur wenn das der Fall ist, können wir Verfahren entwickeln, die der Industrie einen echten Mehrwert geben.“ Der industrielle 3D-Druck als neue industrielle Revolution? Bauer schüttelt den Kopf. „Wir werden die heutigen Fertigungsverfahren nicht ersetzen, aber bieten mit der Additiven Fertigung eine weitere Option an – je nachdem, welche für eine bestimmte Anwendung die bessere Wahl ist.“ Das mache ein generelles Umdenken nötig, bei Ingenieuren, bei Unternehmen, bei Universitäten. Bauer erzählt dazu gerne die Geschichte von einem Professor, der ihm vor ein paar Jahren nach einer Präsentation betreten gestand: „Vor kurzem hat ein Student bei mir nicht bestanden, weil er etwas konstruierte, das nach gängigen Methoden nicht zu fertigen war – mit einem additiven Verfahren hätte es funktioniert.“