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Faserkeramik für Luftfahrtantriebe
Leicht, stabil, temperaturbeständig – keramische Faserverbundwerkstoffe sind ein ideales Material für den Triebwerksbau. Der neue Werkstoff hat Potenzial, Gewicht zu sparen, die Verbrennung zu optimieren und die Effizienz zu steigern.
09.2018 | Autorin: Monika Weiner
Autorin:
Monika Weiner
arbeitet seit 1985 als Wissenschaftsjournalistin. Die Diplomgeologin interessiert sich vor allem für neue Entwicklungen in Forschung und Technik sowie deren gesellschaftliche Auswirkungen.

Der Porsche 911 GT2 hat sie, der Ferrari 488 GTB ebenfalls und auch der Lamborghini Aventador: leichte Bremsscheiben aus faserverstärkter Keramik. Die Scheiben rosten nicht, verschleißen nicht und beginnen selbst dann nicht zu glühen, wenn der Fahrer bei 300 Stundenkilometern eine Vollbremsung macht.
Was sich im Automobilbau bewährt hat, soll jetzt auch die Luftfahrt voranbringen. „Faserverstärkte Keramik erlaubt deutliche Gewichtseinsparungen. Allein das geringe Gewicht macht das Material enorm attraktiv für den Triebwerksbau“, sagt Dr. Bertram Kopperger, Leiter Faserverbundwerkstoffe bei der MTU Aero Engines. „Ein weiterer Pluspunkt ist die hohe Temperaturbeständigkeit. Diese ermöglicht uns die Entwicklung neuer, leistungsfähiger und effizienter Antriebe mit Materialtemperaturen bis zu 1.400 Grad.“ Faserverstärkte Keramiken – Englisch Ceramic Matrix Composites, kurz CMCs – brauchen weniger Kühlung als Metalle, wodurch Luft, die bisher komprimiert und durch Kühlkanäle geleitet wurde, für den Vortrieb zur Verfügung steht, was den Wirkungsgrad eines Triebwerks steigert. Kopperger sieht in dem neuen Material einen Beitrag zum Erreichen der Flightpath 2050-Ziele der Europäischen Kommission, die die MTU in ihrer Claire-Initiative abbildet. Die Abkürzung steht für Clean Air Engine. Mit Claire strebt die MTU bis 2050 eine Reduktion des Kraftstoffverbrauchs um 40 Prozent verglichen mit dem V2500-Triebwerk an.
„Keramische Fasern, die in eine keramische Matrix eingebettet sind – sogenannte CMC – beseitigen die Sprödigkeit herkömmlicher Keramiken und können damit in hochbelasteten Konstruktionen wie Fluggasturbinen eingesetzt werden. Im Vergleich zu metallischen Werkstoffen vertragen sie jedoch wesentlich höhere Temperaturen, so dass der Wirkungsgrad der Turbinen erhöht werden kann.“
Achtmal dünner als ein menschliches Haar
Um den Stoff, aus dem die Träume der Triebwerksentwickler sind, einsetzen zu können, wird er durch Keramikfasern verstärkt, die ihm zudem eine ausreichende Robustheit verschaffen. Diese Fasern sind achtmal dünner als ein menschliches Haar und zeichnen sich durch extrem hohe Bruchfestigkeit aus. Auch die Keramik-Matrix, in die sie eingebettet werden, ist fest und kaum verformbar. Erstaunlicherweise entsteht durch die Kombination von zwei keramischen Komponenten ein Material, das Belastungen gut standhält. Zwar entstehen im Werkstoff kleine Risse. Diese können sich jedoch nicht ausbreiten, weil sie an den vielen dünnen Fasern umgelenkt werden und dadurch ihre Energie zum Wachsen verlieren. Der Schlüssel zu diesem Verhalten liegt im Übergang von Fasern zu Matrix, der sogenannten Grenzfläche, wo es zu Wechselwirkungen kommt, die richtig „eingestellt“ sein müssen, wie die Werkstofffachleute sagen.
„Weil keramische Fasern, die in eine Matrix eingebettet sind, nicht die Sprödigkeit herkömmlicher Keramiken haben, können sie in hochbelasteten Konstruktionen wie Fluggasturbinen eingesetzt werden“, resümiert Dr. Friedrich Raether, Leiter des Fraunhofer-Zentrums für Hochtemperatur-Leichtbau HTL in Bayreuth.
„Die Herstellung der CMCs ist allerdings noch immer eine große Herausforderung“, erklärt Katrin Schönfeld, die am Fraunhofer-Institut für Keramische Systeme und Technologien und Systeme IKTS in Dresden neue faserverstärkte Keramiken auch für die Luftfahrt entwickelt. „Mit Metallen hat der Mensch jahrtausendelange Erfahrung, die Bearbeitung ist in allen Details ausgetüftelt. Bei CMCs stehen wir noch ganz am Anfang: Neue Produktionsverfahren müssen erarbeitet und optimiert werden; es gilt herauszufinden, welchen Belastungen die Werkstoffe standhalten und sie dann in die Praxis zu überführen.“
Herausforderung Herstellung
Schon die Einbettung der Fasern in eine keramische Matrix ist eine Kunst. Dafür wird etwa ein Grundgerüst aus Fasern mit einer zunächst flüssigen Schmelze ummantelt, die dann fest wird. Das kann man sich ähnlich wie beim Eingießen von Stahlträgern in Beton vorstellen. Diese Methode heißt Flüssigphasen-Infiltration. Für einen Verbundwerkstoff, der gut genug für einen Einsatz in einem Triebwerk ist, muss dieser Vorgang mehrfach wiederholt werden. Oder das Fasergerüst wird in einem Reaktor durch eine Infiltration aus der Gasphase mit der Matrix umhüllt (Chemical Vapor Infiltration). Bei diesem Verfahren wächst die Keramikmatrix Atomlage für Atomlage um die Fasern herum. Das dauert allerdings: Die Herstellung eines Bauteils kann Monate in Anspruch nehmen.
Entscheidend für die Eigenschaften des fertigen Werkstücks ist die Chemie der Zutaten: Ummantelt man Aluminiumoxid-Fasern mit einer Aluminiumoxid-Matrix, entsteht oxidische Faserkeramik, von den Entwicklern auch als Ox/Ox bezeichnet. Sie ist äußerst stabil, weil ihr weder Sauerstoff noch aggressive Chemikalien etwas anhaben können. Dieses „Weiße CMC“ lässt sich vergleichsweise kostengünstig herstellen, hält jedoch nur Temperaturen von 1.200 Grad stand. Hitzeresistenter – bis 1.400 Grad – und fester ist nichtoxidisches, „Schwarzes CMC “. Es besteht aus Siliziumcarbid-Fasern in einer Siliziumcarbid-Matrix, kurz SiC/SiC. Da diese Kombination nicht ausreichend korrosionsbeständig ist, wenn Sauerstoff durch die Oberfläche eindringt, müssen die Bauteile zusätzlich mit einer Schutzschicht, dem Environmental Barrier Coating, versehen werden. Die Herstellung ist daher aufwändiger und teurer.
„Für den Bau von Turbinen ist sowohl Weißes als auch Schwarzes CMC geeignet. Welches Material eingesetzt wird, hängt ab von den Umgebungsbedingungen“, erläutert Kopperger. „Besonders temperaturresistente und gegenüber mechanischen Belastungen widerstandsfähigere, nicht-oxidische SiC/SiC-Materialen benötigt man beispielsweise für Schaufeln. Gasführende Gehäuseteile hingegen können auch aus oxidischem CMC gefertigt werden.“

Hitzetest Hier wird ein Entwicklungsteil aus oxidischem CMC bei bis zu 1.100 Grad Celsius im Ofen getestet, um die Einsatzmöglichkeiten des Materials unter extremen Bedingungen zu untersuchen.

Hitzetest Hier wird ein Entwicklungsteil aus oxidischem CMC bei bis zu 1.100 Grad Celsius im Ofen getestet, um die Einsatzmöglichkeiten des Materials unter extremen Bedingungen zu untersuchen.

Forschung für die Luftfahrt Die Teile werden nach Tests genau geprüft, um zu verstehen wie die Herstellungsprozesse weiter optimiert werden können.

Forschung für die Luftfahrt Die Teile werden nach Tests genau geprüft, um zu verstehen wie die Herstellungsprozesse weiter optimiert werden können.

Hauchdünn Die Keramikfasern – hier in 1.000-facher Vergrößerung - sind achtmal dünner als menschliches Haar. Durch die Verstärkung der Matrix mit den Fasern erhöht sich die Bruchfestigkeit, sodass das Material im Triebwerksbau eingesetzt werden kann.

Hauchdünn Die Keramikfasern – hier in 1.000-facher Vergrößerung - sind achtmal dünner als menschliches Haar. Durch die Verstärkung der Matrix mit den Fasern erhöht sich die Bruchfestigkeit, sodass das Material im Triebwerksbau eingesetzt werden kann.

Besondere Eigenschaften Weißes CMC kann zwar nicht bei derart hohen Temperaturen eingesetzt werden wie schwarzes, (SiC/SiC) CMC, es muss jedoch auch bei hohen Temperaturen nicht gegen Sauerstoff geschützt werden.

Besondere Eigenschaften Weißes CMC kann zwar nicht bei derart hohen Temperaturen eingesetzt werden wie schwarzes, (SiC/SiC) CMC, es muss jedoch auch bei hohen Temperaturen nicht gegen Sauerstoff geschützt werden.
Einsatz im Antrieb
Die ersten CMC-Bauteile haben sich im Triebwerksbau schon bewährt. CFM setzt Dichtungsringe aus SiC/SiC ein. Das GE9X-Triebwerk von GE Aviation wird ebenfalls mit Bauteilen aus faserverstärkter Keramik ausgestattet. Und Boeing hat am Trent 1000 von Rolls-Royce eine Acoustic Exhaust Nozzle aus CMC getestet, die die Lärmentwicklung reduzieren soll.
Die MTU will die neuen Werkstoffe erstmals bei der Weiterentwicklung der heutigen Getriebefan-Antriebe nutzen. Bewegliche und statische Turbinenschaufeln sowie Gehäuseteile sollen aus faserverstärkter Keramik gefertigt werden. „Die Werkstoffe dafür gibt es nicht von der Stange. Wir erarbeiten daher zusammen mit unseren Kooperationspartnern in Industrie und Forschung neue Materialien“, berichtet Kopperger. Mit von der Partie sind unter anderem die Unternehmen BJS Ceramics in Gersthofen und die Schunk Group in Heuchelheim bei Gießen, das DLR in Stuttgart, das Fraunhofer-Zentrum für Hochtemperatur-Leichtbau HTL in Bayreuth sowie das Fraunhofer-Institut für Keramische Systeme und Technologien und Systeme IKTS in Dresden.
„Unser Ziel ist es, die Kompetenz zur Auslegung von geeigneten Triebwerkskomponenten bei der MTU aufzubauen und eine zugängliche Lieferkette zur Herstellung der Komponenten zu etablieren“, erklärt Kopperger.
Entwicklung im EU-Projekt
Wichtige Erfahrungen konnten die MTU-Ingenieure bereits im EU-Technologieprojekt Clean Sky sammeln. In der ersten Phase wurden Schutzschichtsegmente für die Innenauskleidung von Gehäusen gefertigt und getestet. Derzeit arbeiten die Projektpartner an den Bauteilen für die Flowpath-Hardware. Besonders interessant seien Design und Herstellung für das Demonstrator-Triebwerk sowie der Testlauf, da man hier die Bereitstellung der Hardware nach Luftfahrtregeln und die Wechselwirkung zwischen keramischen und metallischen Bauteilen untersuchen könne, berichtet Kopperger: „Metalle dehnen sich, wenn sie erhitzt werden, erheblich stärker aus als Keramik. Dies kann konstruktive Lösungen erfordern, auf die wir vorbereitet sein müssen, wenn wir immer mehr Metallbauteile durch Faserkeramik ersetzen wollen.“
Ein beachtlicher Anteil der Turbinenkomponenten könnten in Zukunft aus CMCs gefertigt werden. Ist das wirtschaftlich? Noch kosten Bauteile aus faserverstärkter Keramik deutlich mehr als solche aus Metall. „Doch der Preis wird sinken, wenn die Materialien und die Bauteilfertigung in Großserie gehen“, davon ist Kopperger überzeugt. Und: „Der reduzierte Treibstoffverbrauch durch den besseren Wirkungsgrad wird die Mehrkosten für die faserverstärkten Keramikbauteile rechtfertigen.“