Groß, sperrig, schwer? Die Ingenieure im Fürther Fraunhofer Entwicklungszentrum Röntgentechnik (EZRT) sind den Umgang mit Überdimensionalem gewohnt. In ihrer Hochenergie-Halle, die mit einem XXL-Computertomographen ausgestattet ist, untersuchen sie tagtäglich Dinge, die für normale Materialprüfungen mindestens eine Nummer zu groß sind: ganze Autos vor und nach dem Crashtest; einen noch halb von Sediment bedeckten T-Rex-Schädel; und jetzt - in einer Machbarkeitsstudie - sogar zwei Ausstellungsstücke, einen Sternflugmotor sowie ein Testtriebwerk, Leihgaben aus dem Werksmuseum der MTU Aero Engines. Die Bilder sind beeindruckend, nicht nur wegen ihrer Ästhetik. „Schon die 2D-Röntgenaufnahmen zeigen erstaunliche Details: Die Auflösung ist gut genug, um zu erkennen, ob alle Komponenten ordnungsgemäß eingebaut wurden“, berichtet Fraunhofer-Forscher Dr. Michael Böhnel. „Noch präzisere Informationen liefert die komplette, dreidimensionale Tomographie: Mit ihrer Hilfe lassen sich beispielsweise die Spaltmaße am fertig montierten Triebwerk ermitteln.“
Fehlermessung im Zehntelmillimeter-Bereich
„So schön die Aufnahmen sind - für Routineuntersuchungen bei der Fertigung oder Instandhaltung ist die XXL-Computertomographie leider nicht geeignet“, erklärt Dr. Hans-Uwe Baron, Leiter Zerstörungsfreie Prüfverfahren bei der MTU Aero Engines. „Wir wollen Defekte ja nicht erst finden, wenn alles schon montiert ist. Zur Zeit ist die Auflösung allerdings noch zu ungenau für die Materialprüfung in der Luftfahrtindustrie.“ Baron und sein Team arbeiten in anderen Dimensionen: Die Fehler, nach denen sie suchen, messen nur zehntel Millimeter. Diese kleinen Fehler in großen Bauteilen zu finden, ist die zukünftige Herausforderung für die Forscher des Fraunhofer EZRT.
Höchste Qualitätsstandards durch höchste Präzision
Winzige Haarrisse oder Material-Inhomogenitäten, die mit bloßem Auge kaum wahrnehmbar sind, können in der Luftfahrt verheerende Folgen haben, erklärt Baron: „Wenn Bauteile versagen, die mit mehreren zehntausend Umdrehungen pro Minute rotieren, führt dies unter Umständen zur Explosion eines Triebwerks.“
Seit 27 Jahren fahndet der Maschinenbauingenieur nach kleinen und kleinsten Fehlern. Eine ständige Herausforderung, denn die Spurensuche wird immer anspruchsvoller: Als er seine Karriere begann, galten Fehler von 0,8 Millimeter noch als tolerabel, heute sind es 0,2 Millimeter. Doch seither ist auch viel passiert - am Himmel wie auf Erden: Flugzeugtriebwerke sind dank höherer Drehzahlen und leichterer Bauweisen leistungsfähiger geworden, gleichzeitig stehen den Prüfern ganze Arsenale hochpräziser Hightech-Geräte zur Verfügung. In der Produktion und Instandsetzung werden routinemäßig Röntgen-, Ultraschall- und Thermographie-, Magnetpulver-, Eindring-, Wirbelstrom- und Ätzprüfungen durchgeführt. Gemeinsam ist allen Verfahren, dass sie „zerstörungsfrei“ sind und damit im Material keine Spuren hinterlassen. Das ist gerade in der Luftfahrtindustrie enorm wichtig: Zum einen, weil die Bauteile sehr teuer sind, man möchte sie schon aus rein ökonomischen Gründen nicht zerstören. Zum anderen reicht es nicht, Stichproben zu nehmen, sondern alle Bauteile müssen mit den Prüfverfahren durch den Fertigungsprozess begleitet werden. Nur so lassen sich höchste Qualitätsstandards erreichen.
Diese sind international üblich. Luftfahrtorganisationen wie die European Aviation Safety Agency (EASA) definieren exakt, welche Komponenten wie, wann und von wem untersucht werden müssen. Alle Abläufe sind bis ins letzte Detail geregelt – Prüfer verschiedener Levels müssen für die jeweiligen Prozesse zertifiziert sein. „Selbstverständlich erfüllen wir alle gesetzlichen Anforderungen“, berichtet Baron. „Gleichzeitig versuchen wir aber auch, die Abläufe so effizient wie möglich zu gestalten und gegebenenfalls zu automatisieren.“
Für jede Bauteilklasse das richtige Prüfverfahren
Welche Prüfungen ein Bauteil absolvieren muss, bevor es in der Luftfahrt eingesetzt werden darf, hängt davon ab, welchen potenziellen Schaden es später einmal anrichten kann. Die Konstrukteure unterteilen die verschiedenen Komponenten eines Triebwerks in Klasse 1 bis 3 – wobei die erste Klasse die Teile umfasst, die am gefährlichsten werden können. Eine Turbinenscheibe oder Blisk, die während des Fluges zerreißt, birgt ein hohes Risiko, da abgeplatzte Teile die Tragflächen oder den Rumpf beschädigen können.
Daher müssen Klasse 1-Teile genauer geprüft werden als alle anderen: In den Hallen bei der MTU stehen Anlagen bereit für Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen, Eindringstoff- und Wirbelstromprüfung. Die Knochenarbeit machen dabei häufig Roboter: Sie heben schwere Teile, fahren diese zum nächsten Untersuchungsschritt oder rastern mit dem Ultraschallkopf die Oberflächen ab. „Das Messen lässt sich automatisieren, die Auswertung der Daten teilweise auch, aber die Interpretation kann nur ein Prüfer vornehmen. Er hat das letzte Wort“, erklärt Baron.
Zerstörungsfreie Prüfverfahren für die Triebwerksindustrie im Überblick
Wählen Sie zum Vergleich zwei Verfahren aus:









Name des Verfahrens
Ultraschallprüfung
Eindringstoffprüfung
Ätztechnik
Magnetpulverprüfung
Sichtprüfung
Röntgen
Röntgen CT
Thermographieprüfung
Wie es funktioniert
Mit Hilfe von Schallwellen werden Fremdkörpereinschlüsse, Poren und Risse sichtbar: Weil die Ausbreitung der Schallwellen von der Dichte des Materials abhängt, lässt sich anhand der Signale, die den Werkstoff durchlaufen haben, feststellen, ob er homogen ist.
Fluoreszierender Farbstoff macht Oberflächenporen und Risse sichtbar: Bauteile werden nacheinander in farbpigmenthaltiges Öl getaucht, herausgehoben, gereinigt, mit Entwickler eingesprüht, und mit UV-Licht beleuchtet.
Oberflächen werden chemisch angeätzt. Die optischen Veränderungen, die dabei auftreten, sind materialabhängig.
Durch Induktionsänderungen eines elektrischen Feldes werden Inhomogenitäten sichtbar.
Magnetische Partikel zeigen Störungen im Magnetfeld an: Wird ein metallisches Bauteil magnetisiert, so richten sich die Partikel parallel der Feldlinien aus. Risse im Bauteil stören die Homogenität des Feldes – die Partikel machen dies sichtbar.
Prüfer inspiziert Bauteile.
Durchstrahlung der Bauteile ermöglicht zweidimensionale Aufnahmen. Fehler im Inneren der Bauteile werden so sichtbar.
Bauteile werden in einem Röntgenscanner gedreht und die Strahlung nach dem Durchgang detektiert. Die Summe der Aufnahmen ergibt ein 3D-Bild. Die dreidimensionalen Aufnahmen erlauben einen Blick ins Innere der Bauteile und machen winzige Defekte, wie sie zum Beispiel beim Bohren von Kühlkanälen in den Turbinenschaufeln auftreten können, sichtbar.
Messung der Wärme, die sich in einem Bauteil ausbreitet: Erzeugt wird diese durch zwei Blitzlampen, die das Bauteil bestrahlen. Eine Kamera detektiert, wie viel Wärme abfließt. Unregelmäßigkeiten im Wärmeabfluss deuten auf schlechte Verbindung zwischen Bauteil und Beschichtung hin.
Auflösung
Auflösung ab 0,4 mm, Prüftiefe bis 20 cm.
Fehler ab 0,2 mm nachweisbar.
Auflösung ab 0,2 mm.
Auflösung ab 0,2 mm.
Auflösung 0,2 mm.
Auflösung ohne Lupe ab 0,2 mm.
Auflösung ab 0,2 mm, wandstärkenabhängig.
Auflösung ab 0,1 mm, wandstärkenabhängig.
Auflösung ab 0,5 mm, abhängig vom Abstand zur Oberfläche.
Anwendungen
Untersuchung der Fehlerfreiheit des Grundwerkstoffs.
Rissprüfung.
Aufspürung von chemischen Inhomogenitäten.
Rissprüfung.
Untersuchung von magnetisierbaren Stahlbauteilen.
Prüfung aller Bauteile.
Aufspürung von Fremdkörpereinschlüssen und Poren.
Messung von Wandstärken und Innen-Geometrien, z. B. Rückwand-Anbohrungen, die beim Laserbohren auftreten können.
Prüfung der Verbindung zwischen Metall und Keramik. Noch relativ neues Verfahren.
Anwendung in der Triebwerksindustrie
Scheiben und Blisks der Bauteilklasse 1.
Alle Bauteilklassen.
Scheiben und Blisks der Bauteilklasse 1.
Bohrungen in Scheiben und Gehäusen der Bauteilklassen 1 und 2.
Alle magnetisierbaren Bauteile. Speziell eingesetzt in der Instandhaltung älterer Triebwerke mit Stahlkomponenten aller Bauteilklassen.
Alle Bauteilklassen.
Guss-Bauteile, Schweißnähte, Turbinenschaufeln mit Kühlkanälen der Bauteilklassen 1 und 2.
Turbinenschaufeln mit Kühlkanälen und Verbundwerkstoffe der Bauteilklassen 1 und 2.
Wärmedämmschichten auf Gehäusen und Turbinenschaufeln sowie Einlaufbeläge der Bauteilklassen 1 und 2.
Die Auflagen für die zweite Bauteilklasse, zu der Turbinenschaufeln und Gehäuse gehören, sind nicht ganz so streng. Routinemäßig durchlaufen die Bauteile Eindringstoff- und Röntgen-Prüfung und teilweise sogar die Röntgen-Computertomographie. Letztere konnten die Ingenieure in den letzten Jahren weitgehend automatisieren: Ein Roboter transportiert die Bauteile ins Innere der Röntgenkammer und sortiert am Ende alle aus, die von der Norm abweichen. Der Prüfer muss nur noch diese inspizieren. In einem weiteren Schritt werden Turbinenschaufeln thermographisch untersucht. Dieses noch relativ neue Verfahren zeigt, ob die Keramikbeschichtungen optimal haften und ob die Kühlkanäle offen sind.
Zur dritten Klasse gehören Verblendungen, Verschlüsse und Befestigungen, die nicht sicherheitsrelevant sind und die im Zweifelsfall bei jedem Routine-Check ausgetauscht werden können. Für diese Bauteile genügt eine Eindringstoffprüfung und eine klassische Sichtprüfung – der müssen sich übrigens auch sämtliche Bauteile der Klassen zwei und drei unterziehen. Die Sichtprüfung ist das einzige Verfahren, das bisher nicht standardisiert wurde, weil die Durchführung abhängig ist von der Person des Prüfers. „Hier erwarten wir in Zukunft die meisten Innovationen, etwa durch digitale Prüfpläne, die die Prozesse vorgeben und bei der Dokumentation helfen“, erläutert Baron. Die Industrie 4.0 habe auch hier begonnen. Doch eine radikale Automatisierung und Optimierung, wie sie beispielsweise in der Automobilbranche üblich sei, werde es wegen der hohen Anforderungen in der Luftfahrtindustrie so bald nicht geben.
Durchblick In der Medizin und in der Materialprüfung werden ähnliche bildgebende Verfahren genutzt: Röntgen, Ultraschall und Computertomographie beispielsweise. Die Bilder eines Strahltriebwerks und eines Sternflugmotors mit neun Zylindern, beides Leihgaben des MTU-Museums, wurden im XXL-Computertomographen am Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik erstellt. Die Position der Bauteile ist darauf exakt zu erkennen.
Fehlerfreiheit? Nur eine Frage des Blickwinkels
Wie es weitergeht? „Der Trend zu immer geringeren Fehlertoleranzen dauert an“, weiß Baron. Gleichzeitig schreite die Automatisierung voran. Immer genauer, immer schneller. Dipl.-Ing. Steffen Bessert vom Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren (IZFP) beschreibt den Stand der Forschung: „Die Entwicklung geht derzeit in Richtung Thermographie mit aktiver Anregung, weil diese berührungslos ist und automatisierbar. Kleinste Fehler werden auch zunehmend mit CT aufgespürt, die man immer mehr mit CAD-Konstruktionszeichnungen korreliert. So können Prüfer und Konstrukteure in Zukunft Fehler noch genauer lokalisieren und zuordnen.“
Bis es irgendwann keine Fehler mehr gibt? „Hundertprozentige Fehlerfreiheit lässt sich aus technischen Gründen wohl leider nie erreichen“, weiß Baron. „Doch die Möglichkeit des zuverlässigen Nachweises immer kleinerer Fehler wird weiter zunehmen.“