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„Jedes Flugzeug weltweit enthält Technologie made in Germany“
Deutsche Luftfahrthersteller haben technologisch und wirtschaftlich eine Schlüsselposition, sagt BDLI-Präsident Klaus Richter im Interview.
11.2018

Herr Dr. Richter, die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie beschäftigt aktuell rund 110.000 Mitarbeiter. In der deutschen Automobilindustrie arbeiten hingegen 820.000 Menschen. Warum ist die Luftfahrtindustrie Ihrer Ansicht nach dennoch eine Schlüsselindustrie für Deutschland und Europa?
Dr. Klaus Richter: Wir kennen Deutschland als Autoland, aber kaum als Flugzeugland. Dabei kommen sieben Prozent aller Autos weltweit aus Deutschland, aber 17 Prozent aller Flugzeuge. Der Grund für diesen Erfolg liegt in der Innovationskraft: Die Luft- und Raumfahrtindustrie investiert ein Zehntel ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung – nahezu doppelt so viel wie andere Branchen. Die Abstrahleffekte der Industrie sind erheblich. Sei es der „Autopilot“ oder der Leichtbau in der Automobilindustrie oder aber das Anti-Blockier-System oder die Haifischhaut für Windenergieanlagen – zahlreiche technologische Innovationen kommen aus der Luft- und Raumfahrt. Andere Industrien und der gesamte Standort Deutschland profitieren somit von den Pionierleistungen unserer Branche.
Wie beurteilen Sie die Position der deutschen Luftfahrtindustrie auf dem Weltmarkt, in der weltweiten Wertschöpfungskette des Flugzeugbaus?
Richter: Jedes weltweit ausgelieferte Flugzeug enthält Technologie made in Germany. Heute wird jedes sechste weltweit hergestellte Passagierflugzeug in Deutschland ausgeliefert, also etwa 300 pro Jahr! Am derzeitigen Hochlauf ist die deutsche Zulieferindustrie stark beteiligt. Mich freut besonders, dass unsere mittelständisch geprägte Zulieferindustrie – die „hidden champions“ unserer Branche – zunehmend Programmbeteiligungen auf dem Weltmarkt gewinnt. Die Luftfahrt ist ein internationaler Wachstumsmarkt. Ihre Wachstumsperspektiven mit fünf Prozent pro Jahr sind glänzend: Aufträge für über 30.000 Großraumflugzeuge erwarten uns in den kommenden beiden Jahrzehnten. Dies entspricht einem beeindruckenden Wert von fünf Billionen Dollar. Wir müssen heute alles daran setzen, dass unsere Flugzeuge auch in fünf, zehn oder zwanzig Jahren die besten, sparsamsten und effizientesten der Welt sind, denn nur dann haben wir am Weltmarkt Erfolg.
Neben den Big Playern Airbus, MTU Aero Engines, Lufthansa Technik und Rolls-Royce Deutschland gehören eine ganze Reihe mittelständischer Zulieferbetriebe zur deutschen Luftfahrtindustrie. Welche Herausforderungen bestehen für diese nationale Supply Chain?
Richter: Die Zulieferbranche wächst stark und profitiert vom Hochlauf der Produktion und von dem Wachstum des globalen Luftverkehrs. Natürlich gibt es Herausforderungen. Die Zulieferer sollten stärker zusammenarbeiten, sich internationalisieren und ihre operative Leistungsfähigkeit durch neue Technologien und Digitalisierung steigern. Um diese Industrie optimal zu unterstützen, haben BDLI, Regionalverbände und die industrielle Organisation SPACE Germany gemeinsam die „Supply Chain Excellence Initiative“ ins Leben gerufen. Ziel der Initiative ist es, die Zulieferer fit für die Zukunft zu machen.
Technologischer Fortschritt ist das eine, eine stabile, verlässliche Produktion von Flugzeugen das andere. Hier gibt es vielfältige Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen Herstellern und Lieferanten. Wie belastbar ist dieses Netz?
Richter: Alle fünfzehn Jahre verdoppelt sich der weltweite Luftverkehr. Die damit verbundene Nachfrage ist ohne Zweifel eine Herausforderung für die Produktionskapazitäten in der gesamten Industrie. Die vollen Auftragsbücher der Hersteller geben den Zulieferern aber auch eine jahrelange Planungssicherheit, und gleichzeitig wird das Netz von Herstellern und Lieferanten stärker. Zudem bietet die Internationalisierung vielen mittelständischen Zulieferern die Möglichkeit, ihre Kapazitäten auf eine breitere Basis zu stellen und so wettbewerbsfähiger zu werden.
Was ist wichtig, damit die Supply Chain im Flugzeugbau auch künftig funktioniert?
Richter: Damit wir unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht aufs Spiel setzen, sollte Deutschland als Hochlohnland unbedingt von weiteren Belastungen für die Industrie absehen. Da wir vor allem für den Export produzieren – die Exportquote liegt in unserer Branche bei über 70 Prozent – treffen uns diese Belastungen mehr als andere Branchen, die in Deutschland einen großen Heimatmarkt haben. Und natürlich müssen gutes Fachpersonal und wettbewerbsfähige Arbeitsbedingungen gewährleistet sein.
Jede Wertschöpfungskette beginnt mit guten Ideen. Wer treibt heute deren Entwicklung voran? Die Hersteller? Die Kunden? Start-ups? Forschungseinrichtungen?
Richter: Wir alle zusammen, unser Motto lautet: „Nonstop Innovation“! Vor allem das Luftfahrtforschungsprogramm übernimmt hier eine wichtige Rolle und bringt Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Die Flugzeugbauer sind heute nicht mehr Flugzeughersteller im klassischen Sinne, sondern vielmehr Systemarchitekt und -integrator innerhalb der Wertschöpfungskette. Doch das ist nur ein Teil des innovativen Wandels. Airbus holt beispielsweise Start-ups ins Haus, arbeitet aber auch selbst an revolutionären Konzepten, so zum Beispiel im Zentrum für angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) in Hamburg. Vor allem das Thema Industrie 4.0 ist für die Luftfahrt interessant. Für unsere komplexen Produkte haben digitale Lösungen, die den gesamten Lebenszyklus von der Entwicklung bis zum Betrieb abdecken, enormes Potential. Deutschland muss deshalb bei der Digitalisierung Treiber und nicht Beobachter sein.
Sie waren selbst in der Automobilindustrie tätig. Was können die Flugzeugbauer von den Autobauern lernen?
Richter: Wir können viel voneinander lernen. Ein Flugzeug ist deutlich komplexer als ein Auto. Ein Automobil besteht aus bis zu 15.000 Einzelteilen – ein Großraumflugzeug aus mehreren Millionen. Andererseits sind die Stückzahlen in der Autoindustrie viel größer. Deshalb gibt es vor allem im Bereich der industriellen Serienfertigung viel von der Automobilindustrie zu lernen. Das moderne Automobil ist geprägt durch komplexe Software und vernetzte Systeme – genau wie ein Verkehrsflugzeug. Gemeinsam ist beiden Branchen, dass sie äußerst komplexe Produkte mit einem enorm hohen Elektronikanteil sowie einem Höchstmaß an Anforderungen bezüglich funktionaler Sicherheit herstellen. Elektrik und Elektronik sind die wichtigsten Treiber für bis zu 70 Prozent aller Innovationen.
Geben Sie uns einen Ausblick: Was können wir von der Luftfahrt in den nächsten Jahrzehnten Neues erwarten?
Richter: Die Luftfahrtbranche forscht so intensiv wie kein anderer Industriezweig. Wir arbeiten am nahezu emissionsfreien Fliegen. Bei kleineren Flugzeugen funktionieren elektrische Antriebe schon, und wir arbeiten daran, dass ab 2030 Hybride mit bis zu 100 Sitzen abheben. Der zweite große Durchbruch ist das autonome Fliegen, sei es durch Lastdrohnen oder Lufttaxis. Die Luft- und Raumfahrtindustrie ist Technologietreiber. Denn nirgendwo sind die Anforderungen so hoch wie in der Luft und im All.
Hier finden sie weitere Informationen zur Luft- und Raumfahrtrepublik Deutschland