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„Neue Technologien brauchen starke Partnerschaften“
IATA CEO Alexandre de Juniac über neue Technologien, Politik in der zivilen Luftfahrt und die Rückkehr des Glamours
05.2017 | Autor: Andreas Spaeth
Autor:
Andreas Spaeth
ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.

Herr de Juniac, die IATA hat den Treibstofflosen Flug von Solar Impulse um die Welt unterstützt. Was lernen wir daraus über das Potenzial der Luftfahrt?
Alexandre de Juniac: Das lehrt uns verschiedene Dinge. Zuerst sagt es uns, dass die Luftfahrt an vorderster Front steht bei Innovationen. Das war historisch gesehen schon immer der Fall. Wir bereiten den Weg für saubere Energien im Verkehrswesen und zum Erhalt unseres Planeten, indem wir andere Treibstoffe als fossile benutzen. Zweitens setzt es ein Zeichen der Hoffnung, dass die Menschheit Dinge besser machen kann. Und drittens haben Bertrand Piccard und André Borschberg gezeigt, dass Beharrlichkeit der absolut entscheidende Faktor beim Verfolgen einer Idee oder eines Traums ist. Bedenken Sie: Die beiden starteten dieses Projekt vor über zwölf Jahren.
Welche Lehren ziehen Sie daraus für die Airline-Industrie?
de Juniac: Das Projekt Solar Impulse zeigt, wie wir in dieser Branche innovativ sein müssen, vor allem um die Umwelt zu schützen und CO2-Emissionen zu reduzieren. Es zeigt, dass das Ziel erreichbar ist und wir es erreichen werden. Es macht uns optimistisch für das, was wir für die Umwelt tun innerhalb der IATA und in Kooperation mit der ICAO. Das ist sehr wichtig, denn das ist ein enormes Programm, das wir vor uns haben und für das wir alle wichtigen Beteiligten in dieser Industrie brauchen. Solargetriebene oder sogar voll elektrisch angetriebene, kommerzielle Verkehrsflugzeuge werden noch mal eine Herausforderung auf einem ganz anderen Niveau sein. Aber Solar Impulse zeigt, dass diese Branche ihre Zusagen und Zielvorgaben ernst nimmt und verfolgt.
„Wir brauchen sehr starke Partnerschaften mit Flugzeug- und Triebwerksherstellern sowie Systemlieferanten, um zu zeigen, dass solche neuen Technologien in neuen Flugzeugen funktionieren können.“
Welche Arten von Partnern brauchen die Fluggesellschaften, um die von der IATA gesetzten Umweltziele zu erreichen?
de Juniac: Wir brauchen sehr starke Partnerschaften mit Flugzeug- und Triebwerksherstellern sowie Systemlieferanten, um zu zeigen, dass solche neuen Technologien in neuen Flugzeugen funktionieren können. Und wir brauchen starke Partnerschaften mit Flughäfen, Regierungen und Flugsicherungs-Anbietern, um zu zeigen, dass wir das Fliegen am Himmel und am Boden ordentlich durchführen können. All das muss im Einklang stehen mit unserem Ziel der CO2-Reduktion, etwa in dem wir mehr direktere Flugstraßen und Anflüge nutzen oder auf dem Vorfeld „grünes Rollen“ praktizieren.
Können die Beziehungen zwischen Flugzeugbetreibern, den Airlines und den Triebwerksherstellern verbessert werden?
de Juniac: Diese Beziehungen sind schon sehr gut, das ist eine multilaterale Partnerschaft. Sie kaufen ein Flugzeug und Triebwerke für mindestens 20 Jahre, Sie bringen ein Flugzeug zwei oder drei Mal während seiner Lebensdauer auf den neuesten Stand, deshalb brauchen Sie eingespielte Beziehungen, etwa auch für die technische Unterstützung und die Modernisierung. In dieser Branche geht nichts ohne enge Beziehungen zwischen Lieferanten und den Airlines.
Wie können Triebwerkshersteller dazu beitragen, die Klimaziele der IATA zu erreichen?
de Juniac: Wir verlangen eine Menge. Die heutigen Triebwerke sind hochgradig effizient im Verbrauch und bemerkenswert verlässlich. Trotzdem müssen sie künftig noch effizienter und zuverlässiger werden, um dabei zu helfen, unsere CO2-Ziele zu erreichen, mit größerer Nutzung von wiederverwendbarer Technologie. Lärm ist auch ein Punkt. Wir müssen weiterhin das Lärmniveau senken. Natürlich sind dabei schwierige Kompromisse nötig, was die Auswirkungen auf die Umwelt betrifft. Aber wie gesagt, dies ist eine innovative Industrie, und ich bin zuversichtlich, dass diese Herausforderungen angenommen werden.
Welches sind Ihre Prioritäten in Ihrem neuen Job an der Spitze der IATA, was sind gegenwärtig die größten Herausforderungen der Passagierluftfahrt?
de Juniac: Ich denke, wir haben drei große Herausforderungen vor uns. Zuerst unsere wirtschaftliche und finanzielle Gesundheit zu erhalten und zu verbessern. Zweitens haben wir große Sicherheits-Themen in der Terrorabwehr. Und der dritte Bereich ist die Infrastruktur. Wenn wir das Nachfragewachstum nach unserem Produkt unterstützen wollen, brauchen wir eine effiziente und bezahlbare Infrastruktur mit ausreichender Kapazität.
Die Luftfahrt bleibt eine Wachstumsindustrie, aber die Infrastruktur wächst nicht in gleicher Weise mit. Was können Sie tun, um das zu verbessern?
de Juniac: Wir müssen diese Botschaft immer wieder an die Regierungen senden, damit sie einen langfristigen Plan für die Luftfahrt-Infrastruktur entwickeln und verfolgen, um das Wachstum zu bewältigen. Um die Infrastruktur zu verbessern, bedarf es langfristiger Planung. Obendrein gibt es Widerstände von verschiedenen Seiten, vor allem wenn es um den Bau neuer Flughäfen oder Pisten geht.
Stimmt es, dass viele Staaten der Luftfahrt noch keinen hohen Stellenwert einräumen?
de Juniac: Luftfahrt sollte für jede Regierung weit oben auf der Agenda stehen. Einige Länder haben entschieden, Luftfahrt zum Herzstück ihrer nationalen Strategie zu machen, etwa einige der Golf-Staaten oder Singapur, Südkorea und die Niederlande. Leider ist das eine Minderheit. Wir drängen auch andere Regierungen, eine Luftfahrtstrategie zu entwickeln und umzusetzen. Vor allem weil hier langfristige Planung gefragt ist, benötigen sie eine strategische Vision für die nächsten zehn oder zwanzig Jahre. Sonst gerät das zum Albtraum. Wie kann es sein, dass es so viele Probleme mit dem neuen Flughafen in Berlin gibt? Warum müssen wir seit 70 Jahren auf eine dritte Start- und Landebahn in London-Heathrow warten? Oder 35 Jahre auf eine schnelle Zugverbindung vom Flughafen Charles de Gaulle ins Zentrum von Paris? Wir müssen Regierungen überzeugen, dass Luftfahrt ein Schlüsselelement für Wohlstand ist. Wir sind das Geschäft der Freiheit, das Jobs, Wirtschaftswachstum, Glück und Optimismus bringt.
Glauben Sie, dass in zehn Jahren noch die gleichen Themen wie heute auf der Agenda der IATA stehen werden?
de Juniac: Manche Themen werden bleiben. Vermutlich werden die Engpässe bei der Infrastruktur nicht komplett behoben sein. Bei unserer Umweltagenda bin ich optimistisch, dass wir große Fortschritte erreicht haben werden. Innovation wird immer ganz oben auf unserer Agenda stehen.
Die IATA hat sehr unterschiedliche Mitglieder, von Fluggesellschaften auf kleinen Inseln bis hin zu großen Airline-Gruppen. Ist es schwer, einen gemeinsamen Weg für alle zu finden?
de Juniac: Nein, das ist es nicht. Während meiner Zeit als CEO von Air France haben wir die Lobbygruppe A4E gegründet, Low Cost- und Netzwerk-Airlines gemeinsam. Das wurde als unmöglich betrachtet, weil man davon ausging, dass wir kaum gemeinsame Interessen haben dürften. Aber das war völlig falsch. Die Interessengleichheit der beiden größten Low Cost-Gesellschaften mit drei Netzwerk-Airlines lag bei 80 bis 90 Prozent der Themen, mit denen wir uns befasst haben. Und das gilt in gleicher Weise für unsere IATA-Mitglieder. Natürlich gibt es spezifische Themen für kleine Gesellschaften aus kleinen Inselstaaten, und andere für große Netzwerkgesellschaften in Industrieländern. Aber die gemeinsamen Interessen repräsentieren über 60, 70 oder sogar 80 Prozent der Themen. Deshalb wächst die IATA auch. Schon von seiner DNA her ist dies ein globales Geschäft.
Neben der IATA ist die andere globale Luftfahrtorganisation die ICAO der Vereinten Nationen. Wie kommen Sie miteinander zurecht?
de Juniac: Wir brauchen uns gegenseitig. ICAO ist die „gesetzgebende“ Organisation, die Regeln entwirft und gestaltet, die dann von Staaten umgesetzt werden. Wir sind die Instanz für Fachwissen, Lösungen und Empfehlungen, um diese Regeln zu unterfüttern und mit Branchenwissen und Erfahrung zu ergänzen. Die letzte Session war dafür ein perfektes Beispiel, als die ICAO die Klimakompensation für die Luftfahrt beschlossen hat.
Oft heißt es, die ICAO agiere sehr langsam...
de Juniac: Zuerst einmal handelt der Luftfahrtsektor generell nicht sehr schnell. Und wie jede zwischenstaatliche Organisation hat die ICAO ihren eigenen Rhythmus. Eine der IATA-Pflichten ist es, die ICAO zu raschem Handeln zu bewegen und sie mit genügend Fachwissen auszustatten, damit sie geschickt und effizient handelt.
Aber ist es nicht auch Aufgabe der IATA, gemeinsame Verfahrensweisen der Airlines festzulegen?
de Juniac: Ja, unser Job ist es, globale Standards zu gestalten und umzusetzen, die von der ganzen Industrie anerkannt und angewandt werden. Das machen wir zum Beispiel mit unserer Initiative „ONE order“. Damit erzeugt man einen Datensatz pro Passagier, und nicht zwei oder fünf oder sieben wie bisher üblich. Das sorgte für Verwirrung oder führte manchmal auch zu Fehlern.

ONE Order
ONE Order ist eine IATA Initiative zur Modernisierung des Order Management Prozesses der Flugindustrie. Zum Video
Derzeit fliegen fast vier Milliarden Passagiere pro Jahr. Gibt es da immer noch den Glamour des Fliegens oder können Sie ihn irgendwie zurückbringen?
de Juniac: Tatsächlich kehrt ein gewisser Glamour beim Fliegen gerade zurück. Bis in die 1970er Jahre war Fliegen meist eine Fortbewegungsform für Geschäftsreisende und die oberen Schichten der Bevölkerung. Es war teuer, aber auch schnell und komfortabel. Dann kamen die großen Flugzeuge wie die 747, Fliegen wurde ein Massenverkehrsmittel, deshalb sank im Zusammenspiel mit Deregulierung und Liberalisierung das Komfortniveau. Zu jener Zeit verschwand an vielen Stellen das Jet Set-Image der Fliegerei. Erst am Ende der 1990er Jahre haben viele Airlines, vor allem jene mit einer längeren Geschichte, die Notwendigkeit wiederentdeckt, ihre viel zahlenden Passagiere entsprechend bevorzugt zu behandeln. Und seit damals hat es enorme Investitionen in Produkte des oberen Marktsegments gegeben. Aber die Economy Class wurde nicht vergessen. Die Passagiere finden dort oft WLAN, einen hochauflösenden Bildschirm, oder sie können ihr Smartphone anschließen. Für jene, die ein wenig mehr möchten, haben viele Airlines jetzt die Premium Economy eingeführt. Und wir sehen, was alle Airlines am Boden getan haben. Die Lounges sind jetzt ein Traum. Das ist alles viel besser als früher.