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Nach 56 Jahren: Produktionsende der Boeing 747
Der Erstflug des ikonischen Jumbo Jets startete 1969, nun wurde die letzte und 1.574igste Boeing 747 produziert. Das ist nur einer von vielen Superlativen dieses besonderen Flugzeugs.
01.2023 | Autor: Andreas Spaeth | 7 Min. Lesezeit
Autor:
Andreas Spaeth
ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.
©Archiv Boeing Commercial Airplanes
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Anfang 1970 gingen die ersten Boeing 747 an die amerikanischen Großkunden und Erstbetreiber Pan Am und TWA.
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Anfang 2023 endet eine glanzvolle Ära, nach 56 Jahren ist die Produktion der Boeing 747 beendet. Die letzte ihrer Art ist das 1.574igste gebaute Exemplar, ein 747-8F-Frachter, den Atlas Air für den Logistikkonzern Kühne & Nagel betreiben wird. Die Boeing 747 schaffte den größten Quantensprung in der Geschichte der Passagierluftfahrt – fasste doch ihre Vorgängerin, die Boeing 707, nur bis zu 189 Passagiere. Der Jumbo Jet war dagegen schon anfangs für bis zu 550 Fluggäste zugelassen und konnte später sogar bis zu 660 Reisende befördern.
Es begann bei einem Angelausflug
Schon die Entstehung der 747 ist Legende und Mythos: Im Jahr 1965 besiegelten die beiden einflussreichsten Männer in der Luftfahrt zu jener Zeit, Boeing-Chef William „Bill“ Allen und Pan-Am-Gründer Juan Trippe, während ihrer jährlichen Bootstour zum Lachsfischen ein Gentleman’s Agreement über den Bau des größten Passagierflugzeugs der Welt. Per Handschlag und ohne unterschriebenes offizielles Dokument. Heute kaum zu glauben, dass ein Projekt, das die Zukunft beider Firmen aufs Spiel setzte und Milliarden von Dollar kosten würde, auf derartig informelle Weise zustande kam. „Trippe sagte im Prinzip: ‚Wenn Ihr das baut dann kaufe ich das.’ Und Allen antwortete: ‚Ich baue das, wenn Ihr das kauft.’ Es wurde kein Vertrag unterschrieben, aber damit war das Programm gestartet“, erinnerte sich der 2016 verstorbene Chefingenieur Joe Sutter, der „Vater der 747“.
Im heutigen Digitalzeitalter des Designs am Computer und virtuellen 3D-Modellen, die sich mit wenigen Mausklicks erstellen lassen, ist es kaum vorstellbar, was für einer Herausforderung sich die Boeing 747-Ingenieur:innen Mitte der 1960er Jahre gegenübersahen. Klar war, dass die Fluggesellschaften, allen voran Pan Am, ein viel größeres Flugzeug wollten, als es zuvor je gebaut wurde – also völlig unbekanntes Terrain. Für Juan Trippe war die 707 der Maßstab, deshalb hielt er lange an der Ursprungsidee eines doppelstöckigen Flugzeugs fest. Der Plan war, zwei etwas vergrößerte 707-Rümpfe aufeinander zu montieren. Anfangs gab es mehr als 200 Design-Entwürfe für die 747, von denen viele aus einer Ausschreibung für ein neues militärisches Transportflugzeug stammten, die aber Lockheed mit der C-5A gewonnen hatte. Etwa 50 Entwürfe schaute man sich näher an, fast alle doppelstöckig. Bis Mitte 1965 allerdings hatte man die Idee aufgegeben, die 707 als Basis zu nutzen, weder gestreckt noch doppelstöckig.
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Beim feierlichen Rollout des Boeing 747-Prototyps in Everett 1968 waren Flugbegleiterinnen aller Kunden-Airlines dabei.
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Blick auf die Flight Line in Everett um 1970: Zunächst wurden US-Airline-Kunden mit ihren ersten Boeing 747 beliefert bevor ausländische Gesellschaften drankamen.
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Der Jumbo sollte nur die Zeit bis zur Überschall-Ära überbrücken
Die 747 sollte eigentlich nur ein Übergangsflugzeug für die Zeitspanne werden, bis die meisten Interkontinental-Passagiere mit Überschallgeschwindigkeit fliegen würden – entweder in der Concorde oder der Boeing SST, die zur gleichen Zeit entwickelt wurden. Danach sollte sie als Frachter weiterbeschäftigt werden. Das Cockpit wurde deshalb über das Hauptdeck verlegt, weil man für die einfache Beladung eine nach oben aufklappbare Rumpfnase benötigte. Diese Konfiguration ließ einen kleinen Bereich hinter dem Cockpit entstehen, den berühmten „Buckel“ der 747. Statt wie anfangs erwogen, zwei schmalere Decks übereinander zu bauen, stattete man die 747 mit nur einem Hauptdeck aus. Das allerdings bot mit über sechs Metern die breiteste Kabine, die es je in einem Passagierflugzeug gab, um wahlweise statt Sitzen auch zwei Frachtcontainer nebeneinander unterbringen zu können. Am 13. April 1966 gab Pan Am eine Bestellung über 25 Boeing 747 im Wert von 525 Millionen US-Dollar (heute etwa 4,8 Milliarden Dollar) bekannt, womit das 747-Programm offiziell startete.
Die Vorgaben im Vertrag mit Pan Am sahen ein Flugzeug für 370 Passagiere und ihr Gepäck vor, das eine Reichweite von mindestens 8.263 Kilometern bei einer Geschwindigkeit von Mach 0,877 erreichen sollte – fast 88 Prozent der Schallgeschwindigkeit. Im Juni 1966 kaufte Boeing etwa 315 Hektar bewaldetes Sumpfland in der Nähe des Flughafens Paine Field in Everett im Staat Washington, nördlich von Seattle, um die Produktionsstätte für die 747 zu bauen. Noch heute ist es das vom Volumen größte Gebäude der Welt. Zum Vergleich: Auf Rang vier rangiert aktuell die ehemalige Cargolifter-Luftschiffhalle in Brandenburg. Das heutige Tropical Islands Resort in Berlin würde zweieinhalb Mal in die 747-Fertigungshallen hineinpassen. Sie zu errichten war ein gnadenloses Rennen mit den rein analogen Hilfsmitteln jener Zeit. Die Fabrik wurde zur gleichen Zeit gebaut während noch die Arbeit am 747-Design lief.
Ohne Holzmodelle des Flugzeugs ging es nicht
Dafür bauten die Ingenieur:innen Holzmodelle einzelner Teile und des ganzen Flugzeugs, um so Funktionsweise und Produktionsabläufe zu testen. Alles war minutiös geplant – der Prototyp sollte innerhalb von zwei Jahren fliegen, für den 30. September 1968 war der Rollout für die Boeing 747 festgesetzt worden. Weniger als drei Jahre nachdem Pan Am die Absichtserklärung über eine Bestellung unterzeichnet hatte und nur zweieinhalb Jahre nachdem man sich auf das Großraum-Design verständigt hatte. Und der extrem ehrgeizige Plan wurde eingehalten: Genau zum vorgesehenen Zeitpunkt erschien die neue Königin der Lüfte.
Das „Spacious Age“, „geräumiges Zeitalter“, wie die 747-Ära genannt wurde, begann tatsächlich am 9. Februar 1969 mit dem Erstflug. Er dauerte eine Stunde und 16 Minuten und verlief ungewöhnlich problemlos. Allerdings wurden die riesigen Pratt & Whitney JT9D-Triebwerke in ihren noch ungeahnten Dimensionen zu einem der größten Probleme der 747-Flugtests, und es waren auch die Motoren, die den ersten 747-Passagierflug für Erstbetreiber Pan Am auf der Route von New York nach London am 21. Januar 1970 verzögerten. Trotzdem machte sich die 747 schnell einen Namen, mit unglaublicher Geschwindigkeit ging sie bei Airlines in der ganzen Welt in den Liniendienst.
Bis 1975 hatte die globale 747-Flotte bereits den 100-millionsten Passagier befördert. Die wahrscheinlich wichtigste Entscheidung für ein langes Leben der 747 wurde 1985 mit dem Start der 747-400 getroffen, die bereits zwölfte Version des Jumbos, aber bei weitem seine erfolgreichste. Während von der 747-200 fast 400 Exemplare verkauft wurden, schaffte die verbesserte 747-400 mit ihrem „Glascockpit“, längerem Oberdeck, verbesserten Turbofan-Triebwerken (Pratt & Whitneys PW4000 oder GE’s CF6) und Winglets in den nächsten zwei Jahrzehnten fast 700 Bestellungen. Sie startete erstmals 1989 in den Liniendienst. Im Oktober 1993 erreichte Boeing den wichtigen Meilenstein der tausendsten 747-Auslieferung – sie ging an Singapore Airlines.
2005 legten Boeing und Lufthansa die runderneuerte 747-8 auf
Es ist ein Beweis für die Langlebigkeit des Originalkonzepts aus den 1960er Jahren, dass sich Boeing zusammen mit Erstkunde Lufthansa 2005 entschied, nochmals eine neue 747-Generation aufzulegen – obwohl es nun mit dem Airbus A380 einen durchgängig zweistöckigen Wettbewerber gab. Die Boeing 747-8 entstand unter aktiver Mitwirkung der immer noch rüstigen 747-Legende Joe Sutter. Vier Jahrzehnte, nachdem die erste 747 produziert worden war, wurde nun erstmals der Rumpf gestreckt. Damit war die 747-8 das längste Flugzeug der Welt. Die Boeing 777-9 wird diesen Rekord übernehmen, wenn sie in den nächsten Jahren in den Liniendienst geht.
Die 747-8 bekam neue Tragflächen und Triebwerke, beide übernommen vom erfolgreichen Dreamliner, der Boeing 787. Aber dann war es genau diese neue Generation von ultraeffizienten Zweistrahlern, die der Produktion aller vierstrahligen Langstrecken-Großraumjets ein Ende setzte. Die Boeing 747 wird aber weiter eine Hauptrolle spielen – spätestens wenn die beiden neuen Präsidentenflugzeuge der US Air Force fertig sind. Sie werden vermutlich ab 2027 abheben.
©Boeing
Prototyp der Boeing 747-8I in der Passagierversion, die am 20. März 2011 ihren Erstflug hatte und seit 1. Juni 2012 bei Lufthansa fliegt.
Fast Facts zur Boeing 747
75.000 technische Zeichnungen der Ingenieur:innen und 15.000 Stunden im Windkanal waren nötig, um die erste Boeing 747 zu bauen
Eine Boeing 747-400 besteht aus sechs Millionen Teilen, die Hälfte davon sind Nieten
Der Triebwerkslärm der Boeing 747-400 von 1989 war nur noch halb so laut wie jener der ersten 747-100 von 1969
Mit einem Volumen von 876 Kubikmetern bot die Boeing 747-400 damals den größten Innenraum (später übertroffen von 747-8 und dem Airbus A380), das entsprach mehr als drei Häusern von jeweils 135 Quadratmeter Wohnfläche
Die Flügel einer Boeing 747-400 umfassen eine Fläche von 524,9 Quadratmetern, genug Platz, um 45 Mittelklassewagen zu parken
Die Spannweite einer Boeing 747-8 entspricht der Länge von zwei Boeing 737-700 hintereinander
Das Leitwerk einer Boeing 747 ist mit 19,50 Meter so hoch wie ein sechsstöckiges Haus
274 Kilometer Kabel verlaufen durch eine Boeing 747-400
Über 5,6 Milliarden Menschen waren bis 2017 in der Boeing 747 geflogen – rechnerisch über 80 Prozent der damaligen Weltbevölkerung
Die weltweite 747-Flotte hatte bis 2017 über 78 Milliarden Kilometer zurückgelegt, was 101.500 Reisen zum Mond und zurück entspricht
Das Cockpit der Boeing 747-400 verfügt nur noch über 365 Schalter, Zeiger und Lämpchen - in der Boeing 747-100 waren es noch 971