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Mit dem Airbus A340 in die Antarktis

02.2024 | Autor: Andreas Spaeth | 7 Min. Lesezeit

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Andreas Spaeth ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.

Von den Vorbereitungen in Kapstadt bis zur Landung auf der Eispiste: Andreas Spaeth erzählt von einer außergewöhnlichen Reise mit einem Airbus A340 in die Antarktis.

Mein Flug wird vorverlegt: Er startet zwölf Stunden vor der geplanten Abflugzeit bereits am frühen Morgen statt am frühen Abend. Bei Linienflügen wäre das undenkbar. Doch Flug 3L 801 von Kapstadt nach Wolf’s Fang ist alles andere als ein normaler Linienflug: Es ist die weltweit erste Linienverbindung mit einem großen Passagierflugzeug in die Antarktis. Und da zählt nur eines: Das Wetter muss stimmen. Und heute führen Satellitenbilder und Daten von Wetterstationen im ewigen Eis dazu, dass es früher losgeht. Wer in die Südpolarregion reist, muss flexibel sein.

Als sich hinter dem Tafelberg die aufgehende Sonne ankündigt, besteigen wir einen Airbus A340-313X, eine Version mit erhöhtem Startgewicht, Baujahr 1997. Im Cockpit sitzen zwei griechische Piloten und ein Erster Offizier aus Portugal. Daher stammt auch der Betreiber, das Charterunternehmen Hi Fly. „Gemeinsam mit dem Reiseveranstalter White Desert haben wir in den vergangenen drei Jahren sehr aufwendig alle Verfahren für diese einzigartige Verbindung entwickelt“, erklärt mir Pilot Adam Latsos.

„Gemeinsam mit dem Reiseveranstalter White Desert haben wir in den vergangenen drei Jahren sehr aufwendig alle Verfahren für diese einzigartige Verbindung entwickelt“

Adam Latsos

Pilot

15. Landung auf der Eispiste

Für ihn ist es bereits das 15. Mal, dass er aus dem Hochsommer in Kapstadt nach Süden zur 4.200 Kilometer entfernt gelegenen Eispiste von Wolf’s Fang fliegt. Im November 2021 landete mit dem Airbus A340 von Hi Fly erstmals ein vierstrahliges, ziviles Großraumflugzeug überhaupt in der Antarktis. Schon vorher hatten andere Betreiber für die Versorgung von Forschungsstationen einzelne A320-Flüge sowie Missionen mit den Boeing-Typen 737, 757 und 767 unternommen. Im November 2023 landete erstmals eine norwegische Boeing 787 auf der Troll-Eispiste zur Versorgung der gleichnamigen Station. Doch einen regelmäßigen Verkehr mit einem Langstrecken-Flugzeug bietet nur Hi Fly an: etwa 15-mal pro Saison, die von November bis Februar dauert.

Flugzeuge operieren auf dem höchstgelegenen, windigsten, kältesten und einsamsten Kontinent der Erde seit weniger als hundert Jahren. 1911 erreichte der Norweger Roald Amundsen als erster Mensch den Südpol, aber erst 1929 wurde der südlichste Punkt der Erde zum ersten Mal überflogen. Seitdem hat sich viel getan, denn ohne Flugzeuge könnte die Wissenschaft im Südpolargebiet nicht tätig sein. So kommen für Flüge innerhalb der Antarktis kleinere Turboprop-Flugzeuge zum Einsatz. Die reguläre Anbindung an die Zivilisation mit einem vierstrahligen Großraumflugzeug dagegen begründet eine neue Ära.

Die Entfernung von Kapstadt zur Eispiste von Wolf’s Fang beträgt 4.200 Kilometer.
Der Flug von Kapstadt bis zur Landung in Wolf’s Fang dauert circa fünf Stunden.
Die Eispiste erstreckt sich über drei Kilometer und besteht aus rund 700 Meter dickem Gletschereis.
Wolf’s Fang liegt südlich des 71. Breitengrades und ist 2.064 Kilometer vom Südpol entfernt.

Im Cockpit zeigt mir Kapitän Latsos unsere Route auf einem Tablet: Die blaue Linie führt direkt nach Süden – der elfte Wegpunkt ist das Ziel. Wolf’s Fang ist die einzige private Eispiste in der Antarktis. Sie wird vom Veranstalter White Desert betrieben, der von hier aus mit kleineren Flugzeugen pro Saison rund 220 Touristen in zwei Camps sowie etwa 250 wissenschaftliche Stationsmitarbeiter:innen zu ihren Arbeitsplätzen bringt. „Jeder Flug ist anders. Auch wenn das Wetter gut ist, gibt es keine Routine. Aber ich weiß genau, was ich tue“, versichert mir der Kapitän.

Er hat 86 Tonnen Kerosin getankt, gut zehn Tonnen weniger, als die Tanks fassen können, aber deutlich mehr, als wir für Hin- und Rückflug plus Sicherheitsreserve brauchen. Am Ziel wird nämlich immer etwas Kerosin abgepumpt. So fungiert die A340 auch als fliegender Tanker, der die Stationen mit Treibstoff versorgt. Kurz vor sieben Uhr rollen wir auf die Startbahn, ich sitze hinter dem Ersten Offizier. „Moonraker 801, you are cleared for takeoff“, ertönt es im Kopfhörer, denn Hi Fly trägt ein Funkrufzeichen nach dem gleichnamigen James-Bond-Film von 1979.

Voller Frachtraum, nahezu leere Kabine

Mit gut 226 Tonnen Startgewicht liegt die Maschine noch rund 50 Tonnen unter dem Maximum. Der Frachtraum ist voll mit Lebensmitteln und Ausrüstung, in der Kabine sitzen 54 Passagiere - Gäste, Mitarbeiter:innen und Antarktispersonal – sowie 14 Besatzungsmitglieder. Nach wenigen Minuten im Steigflug leuchtet unter uns das Kap der Guten Hoffnung auf, danach kommt nur noch Ozean. Für mich heißt es jetzt erst einmal, in der Kabine zu frühstücken und den Flug zu genießen. Eine Stunde vor der Landung bin ich wieder im Cockpit; gerade rechtzeitig, um unter uns die ersten Eisberge im blauen Wasser treiben zu sehen. In der Kabine wird schon die Temperatur heruntergekühlt. „Bitte legen Sie jetzt die Polarausrüstung an“, sagt eine Flugbegleiterin. Ich trage bereits die erste Schicht Skibekleidung.

So weit im Süden wie hier sind die Pilot:innen weitgehend auf sich allein gestellt. Latsos: „Hier unten gibt es keinen anderen Flugverkehr, deshalb dürfen wir in einem bestimmten Bereich sogar unsere Flughöhe frei wählen.“ Wettermeldungen kommen als Textnachrichten aus einem Drucker, der zwischen den beiden Piloten positioniert ist. Sie melden nachlassenden Schneefall und ausreichende Bremswerte auf der Eispiste. Um überhaupt landen zu können, muss es mindestens minus sechs Grad Celsius kalt sein, denn bei höheren Temperaturen wird die Oberfläche zu weich.

Flug 3L 801 stellt die weltweit erste regelmäßige Linienverbindung mit einem vierstrahligen zivilen Großraumflugzeug in die Antarktis dar. Der Flug wird von Hi Fly mit einem Airbus A340-313X durchgeführt.
Die erste Landung eines vierstrahligen zivilen Großraumjets in der Antarktis im November 2021 war ein besonderes Ereignis. Zuvor wurden vor allem kleinere Flugzeuge für die Versorgung von Forschungsstationen eingesetzt.

Antarktislandung: reine Handarbeit

Der schwierigste Teil des Fluges ist die Landung, denn neben der Temperatur müssen auch die Sichtverhältnisse stimmen. „Vom Boden aus gibt es keine Funknavigationshilfen, wir fliegen Sichtanflüge. Das sind die Pilot:innen heute nicht mehr gewohnt, denn bei großen Jets sind Instrumentenanflüge üblich. Wir müssen hier im Endanflug manuell fliegen“, erklärt der Kapitän. Eine halbe Stunde vor der Landung hat das Cockpit ersten Funkkontakt mit der Station in Wolf’s Fang und meldet die verbleibende Zeit bis zur Landung. „Die haben kein Radar und können uns nicht sehen, außerdem brauchen wir das letzte Wetter-Update“, informiert Latsos. Das sieht gerade gut genug aus, denn die Wolkenuntergrenze liegt bei 4.800 Fuß (ca. 1.460 Meter) über Grund, „4.000 Fuß wären das absolute Minimum für eine Landung“, sagt der Kapitän.

Eine halbe Stunde vor dem Ziel leitet er den Sinkflug ein, während bei mir die Anspannung steigt. Ziemlich genau wie vorhergesagt sinken wir bei 4.800 Fuß durch die Wolkendecke. Darunter ist überall Grauweiß zu sehen, nur die Bergkette vor uns gibt den für die Orientierung so wichtigen Blick auf den Horizont frei. Ich bin etwas enttäuscht, denn ich hatte auf einen strahlenden Polartag gehofft. Der Wetterbericht hatte aber nur mittlere bis geringe Kontraste vorhergesagt und das ungeübte Auge hat Mühe, am Boden überhaupt etwas zu entdecken, geschweige denn die Landebahn. „Die Landung basiert hier auf Erfahrung, denn wegen der Reflexion durch das Eis ist der Radiohöhenmesser unzuverlässig“, so Latsos. „Wenn man die Piste nicht sieht, geht man nicht in den Endanflug.“

Der A340-313X transportiert nicht nur Passagiere und Ausrüstung, sondern dient auch als fliegender Tankwagen, der Treibstoff für die Stationen liefert.
Die Navigation und Landung in der Antarktis erfordern aufgrund des Fehlens von Funknavigationshilfen und der schwierigen Wetterbedingungen besondere Erfahrung und Geschicklichkeit. Piloten müssen sich auf Sichtanflüge verlassen und die Landung manuell durchführen.

Piste aus Gletschereis

Im Gegensatz zu meinem vergeblich suchenden Blick haben die geschulten Augen der Piloten die Eispiste bereits 15 Meilen vor dem Aufsetzpunkt entdeckt. Sie hat keine Befeuerung, sondern nur ein paar kleine Fähnchen als Markierung. Das Weiß der geräumten Landebahn hebt sich kaum vom Schnee der Umgebung ab. Mindestens vier Tage braucht eine Flotte von Pistenraupen, wie sie auch in Skigebieten zum Einsatz kommen, um die drei Kilometer lange Bahn aus rund 700 Meter dickem Gletschereis für eine einzige Landung zu präparieren. Zehn Meilen vor dem Aufsetzen beginnt der Endanflug. Erst jetzt erkenne ich den Landeplatz und das Camp – ein paar Hauszelte im weißen Nichts.

Genau fünf Stunden und 17 Minuten nach dem Start im Hochsommer landen wir auf dem antarktischen Eis in Wolf’s Fang, südlich des 71. Breitengrades und immer noch 2.064 Kilometer entfernt vom Südpol gelegen. Beim Ausrollen macht der riesige Jet kleine Sprünge, so glatt wie Beton ist die natürliche Eispiste trotz aller Pflege nicht. „Aber man kann hier erstaunlich gut bremsen, das ist vergleichbar mit einer nassen Landebahn anderswo“, sagt Latsos. Am Ende der Piste, die er nur zur Hälfte nutzt, machen wir eine 180-Grad-Wende. Bei solchen Wendemanövern ist es manchmal etwas rutschig, aber auch heute klappt‘s.

Fast zehn Minuten dauert es, bis wir im Schritttempo zum Anfang der Start- und Landebahn zurückrollen. „Heute habe ich es zum ersten Mal geschafft, genau am vorgesehenen Punkt aufzusetzen“, freut sich der griechische Kapitän. Dann schaltet er die Triebwerke ab - bis auf Triebwerk Nummer eins und die APU-Hilfsturbine. Beide bleiben eingeschaltet und laufen während der viereinhalb Stunden am Boden, damit die anderen später wieder anspringen können - sicher ist sicher.

Vierstrahler ins ewige Eis

Auf ihren Flügen in die Antarktis hat sich Hi Fly bewusst für ein vierstrahliges Flugzeug entschieden. Der Grund dafür ist die bessere Sicherheit: Ein Triebwerk vor Ort im ewigen Eis auszutauschen oder zu reparieren, ist logistisch sehr anspruchsvoll. Dank seiner vier Antriebe könnte der Airbus A340 im Schadensfall auch ohne Passagiere mit nur drei Triebwerken von der Eispiste abheben und nach Kapstadt zurückkehren. Der Airbus A340 ist mit vier CFM56-Triebwerken von CFM International, einem Joint Venture von GE Aerospace und Safran Aircraft Engines, ausgestattet. Die CFM56-Triebwerksfamilie besteht aus fünf Modellen, die den Schubbereich von 18.500 bis 34.000 Pfund abdecken. Zwei Versionen werden bei der MTU Maintenance Zhuhai, der MTU Maintenance Hannover und der MTU Maintenance Berlin-Brandenburg instand gehalten.

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