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Baltischer Überflieger

Als weltweit erste Airline mit reiner Airbus A220-Flotte steht Air Baltic in Krisenzeiten besser da als andere. Innovation ist ein Markenzeichen der Fluggesellschaft aus Riga.

11.2021 | Autor: Andreas Spaeth | 6 Min. Lesezeit

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Andreas Spaeth ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.

Air Baltic hat ein Alleinstellungsmerkmal unter den Fluggesellschaften: Hier fliegt der Chef manchmal persönlich die Passagiere, als vermutlich einziger CEO einer größeren Airline weltweit. Martin Gauss ist von Haus aus Pilot, flog früher die Boeing 737-300. Und ausgerechnet mitten in der Pandemie erreichte er einen weiteren persönlichen Meilenstein und erwarb seine Typenberechtigung als Flugkapitän des Airbus A220. „Ich habe schon fast hundert Flugstunden auf der A220, fliege immer unter der Supervision eines Check-Kapitäns“, erklärt Gauss. Je nach Zeitplan absolviert er ein- oder zweimal im Monat auf dem Air Baltic-Streckennetz einen Umlauf. Das Restpensum zum Lizenzerhalt erledigt er im firmeneigenen Simulator.

Weniger Verkehr, hohe Pünktlichkeit

„Home of Air Baltic“ steht in großen schwarzen Lettern am Dach des Verwaltungsgebäudes der Fluggesellschaft am Flughafen Riga. Air Baltic ist in den letzten Jahren zum Marktführer im Baltikum mit seinen gut sechs Millionen Einwohnern in drei Ländern geworden und tritt entsprechend selbstbewusst auf. Gleich unter dem Schild verläuft eine Fensterfront, hinter der Pauls Cālītis steht, ebenfalls Pilot und Chief Operations Officer der Fluggesellschaft. Auf großen Bildschirmen an der Wand ist jeder einzelne Flug des Tages mit allen wichtigen Daten aufgeführt, inklusive der aktuellen Passagierzahlen, die wieder etwas ermutigender sind. Aber auch im Spätsommer 2021 ist noch längst nicht wieder alles normal. Die Auslastung der angebotenen Flüge lag zuletzt bei 67 Prozent, immer noch wird viel weniger geflogen als vor Beginn der Corona-Pandemie üblich. Mit einem Lächeln zeigt Pauls Cālītis auf die hohe Pünktlichkeitsrate von weit über 90 Prozent. „Das sind Weltklassewerte, die es sonst nie im Sommer gibt, aber der Grund ist einfach: Es gibt viel weniger Verkehr am Himmel.“

„In Airline und Land verliebt“

Die Aufschrift am Gebäude von Air Baltic passt auch zu Martin Gauss, denn für den deutschen Airline-Chef sind Lettland und Riga inzwischen zur Heimat geworden. Der 53-jährige startete seine Luftfahrtkarriere 1992 als Copilot auf der Boeing 737-300 bei der Deutschen BA in München, war später einer der Geschäftsführer. Anschließend führte er Cirrus Airlines und Malév, bevor er im November 2011 Chef von Air Baltic wurde. „Ich habe mich total in diese Airline und in dieses Land verliebt. Hier ist mein zu Hause und das gibt mir Energie. Ich habe ein starkes Team mit dem wir durch die Krise gegangen sind,“ sagt er.

Air Baltic hat schon zu Beginn der Krise so ziemlich alles anders gemacht als andere Airlines. „Wir haben uns damals hier im Hauptquartier eingeschlossen“, berichtet Gauss. „Wir mussten in der Zeit eine neue Strategie und ein Produkt entwickeln, das nach der Krise für die Passagiere akzeptabel sein würde“, sagt der Firmenchef. „Natürlich hatten wir zunächst Zweifel, ob wir das überleben“, räumt er ein. Glücklicherweise verfügte Air Baltic über große Bargeldreserven, von denen die Airline immer noch zehrt, dazu kamen insgesamt 340 Millionen Euro an Kapitalerhöhung durch die lettische Regierung.

Air Baltic: Die Airline ist weltweit der einzige Betreiber einer reinen A220-Flotte und besitzt die meisten A220-300.

Im März 2020 wurde der Flugbetrieb für zwei Monate völlig ausgesetzt, radikale Einschnitte waren nötig. Die Airline wurde aus dem Stand um 40 Prozent verkleinert – fast 700 Mitarbeiter mussten gehen, aber alle mit Wiedereinstellungsgarantie bei wieder anlaufendem Geschäft, einige sind heute bereits wieder zurück. Auch die Flotte wurde verkleinert und von vorher drei auf einen Flugzeugtyp vereinheitlicht. Hier kam Air Baltic zugute, dass die Fluggesellschaft bereits 2012 stark auf die damalige Bombardier C-Series gesetzt hatte. Damals orderte man in Riga bis zu 20 Flugzeuge der verlängerten Version, inzwischen Airbus A220-300 genannt. Heute stehen 50 Festbestellungen aus dem Baltikum in den Büchern, bis September 2021 wurden insgesamt 32 Maschinen ausgeliefert, acht weitere folgen 2022. Bis 2024 sollen dann alle 50 bestellten A220 in Riga sein. „Seit der Corona-Pandemie zeigt sich, dass ein 145-sitziges Flugzeug genau das richtige ist. Denn diese Kapazität passt jetzt für sehr viele Strecken auf denen früher größeres Fluggerät flog“, sagt Martin Gauss. „Die Krise hat unseren Umstieg auf eine reine A220-Flotte beschleunigt. Wir haben jetzt vollzogen was eigentlich erst 2023 passiert wäre“, erklärt er den schnellen Wandel.

Die jüngste Flotte der Welt

Air Baltic hat jetzt die jüngste Flotte der Welt mit einem Durchschnitt von 1,9 Jahren. Und die Airline wird noch jünger werden, denn weitere A220 sollen hinzukommen. Sie ist damit weltweit der einzige Betreiber einer reinen A220-Flotte und besitzt die meisten A220-300. Diese werden auf dem Streckennetz aus allen drei baltischen Hauptstädten eingesetzt. Die Airline betreibt bereits einen eigenen A220-Simulator und die Vorbereitungen für den Bau der größten Halle des Baltikums als neues Instandhaltungszentrum laufen. „Da werden bis zu sieben A220 hineinpassen. Wir führen dann die gesamte Instandhaltung bis auf die Triebwerke selbst durch, als einzige Airline auch den C-Check für diesen Flugzeugtyp, und wollen dies künftig auch für Fremdkunden anbieten“, so Gauss.

Air Baltic und der Airbus A220, das ist eine ganz besondere Symbiose. Die Airline war immer überzeugt, dass dieses Flugzeug in einer möglichen Krise seine Vorteile ausspielt, denn selbst dann kann es auf Kurz- als auch Langstrecke eingesetzt werden. „Wir sehen jetzt bereits, dass das funktioniert. Etwa mit unseren neuen längsten Routen ab Herbst 2021 von Riga nach Teneriffa und nach Dubai, was jeweils rund sechs Stunden dauert“, erklärt Pauls Cālītis.


„Klimaschutz wird das große Thema bleiben, wir wollen hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Mit der A220 haben wir einen Flugzeugtyp, der uns da begünstigt. Das Triebwerk übertrifft bereits unsere Erwartungen. Die Performance und die Einsparungen bei Spritverbrauch und CO2 sind höher als wir gedacht haben.“

Martin Gauss

CEO Air Baltic

GTF™ Triebwerksfamilie: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

GTF™ Triebwerksfamilie: Die neuen Triebwerke bieten Verbesserungen im zweistelligen Prozentbereich bei Kraftstoffverbrauch, Schadstoff- und Lärmemissionen sowie Betriebskosten.

Auf dem Weg zur grünen Airline

Äußerlich, von ihren Firmenfarben her, ist Air Baltic schon heute eine „grüne“ Airline – und Nachhaltigkeit ist der Fluggesellschaft aus dem besonders naturschönen Baltikum auch ein wichtiges Anliegen. „Klimaschutz wird das große Thema bleiben, wir wollen hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Mit der A220 haben wir einen Flugzeugtyp, der uns da begünstigt“, erklärt Gauss. Als Firmenchef mit eigener Cockpiterfahrung kann er sich besser als fast jeder andere auch ein Bild von den Leistungen des in der A220 zum Einsatz kommenden neuen PW1500G-Antriebs aus der Pratt & Whitney GTF™ Triebwerksfamilie machen. „Das Triebwerk übertrifft bereits unsere Erwartungen. Die Performance und die Einsparungen bei Spritverbrauch und CO2 sind höher als wir gedacht haben“, schwärmt er. „Und die Technologie wird noch besser werden.“ Hinzu kommt, dass 6 Prozent des bei Air Baltic verbrauchten Kerosins bereits heute aus sogenannten Sustainable Aviation Fuels (SAFs) besteht.

In Riga jedenfalls fühlt man sich auch in schwierigen Zeiten gut aufgestellt: „Was klar ist: Die Luftfahrt kommt zurück“, sagt Gauss, „Wir sind aktuell mit der Entwicklung zufrieden und erwarten 2021 rund zwei Millionen Fluggäste, nach 1,34 Millionen in 2020 und noch fünf Millionen 2019“. Und Pauls Cālītis bereitet bereits die nächsten Abholungsflüge für neue A220 aus Montréal vor – allein im Herbst 2021 treffen fünf zusätzliche Jets im Baltikum ein. Eine davon wird Martin Gauss persönlich über den Atlantik bringen, auch für ihn etwas ganz Besonderes.

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