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Luftfahrt-Spezialisten in Polen
Für die Luftfahrtbranche ist Polen ein attraktives Pflaster. Der Standort der MTU in dem Land wächst und wächst. Jetzt kommt ein neues Joint Venture hinzu.
01.2018 | Autor: Thorsten Rienth | 6 Min. Lesezeit
Autor:
Thorsten Rienth
schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT. Seine technikjournalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und Raumfahrtbranche im Bahnverkehr und dem Transportwesen.
Mit pathetischen Worten soll man es nicht übertreiben, heißt es. Sondern sie sich für Augenblicke aufheben, wenn sie wirklich passen. Für Dr. Uwe Zachau ist gerade einer dieser Momente. Von einem Meilenstein für beide Unternehmen spricht er. Von einem ambitionierten Hochlaufplan, einem hervorragenden Team, einer riesigen Motivation. Zachau spricht vom neuen gemeinsamen Instandhaltungsunternehmen von Lufthansa Technik und MTU Aero Engines, der Engine Maintenance Europe, kurz: EME Aero. Zachau ist der COO der neuen Firma, Derrick Siebert der CEO. Er sagt: „Wir bringen damit in Europa die Instandhaltung für die neue Generation von Getriebefan-Triebwerken auf den Weg.“ Beide Partner halten jeweils 50 Prozent der Anteile.
Der Standort des Joint Ventures wird in Polen liegen. In Polen hat die MTU bereits langjährige Erfahrungen sammeln können. In einer Sonderwirtschaftszone um Rzeszów ganz im Südosten des Landes, wurde 2007 die MTU Aero Engines Polska gegründet. „Die Zone ist Antriebskraft für die Wirtschaft in der Region“, wirbt die Regionalverwaltung. Etliche Firmen mit klangvollen Namen haben sich dort mit Produktions- und Forschungsstätten niedergelassen. Eigentlich sollte im Jahr 2020 Schluss sein mit den Vorteilen der Sonderwirtschaftszonen in Polen. Dann verlängerte das Land das Sonderwirtschaftszonenrecht bis 2026. Beinahe im Monatstakt kommen neue Firmen hinzu.
Luftfahrtregion mit Tradition
So wie vor neun Jahren die MTU selbst. In gerade einmal neun Monaten hatte sie gleich gegenüber dem internationalen Flughafen in Jasionka bei Rzeszów das 18.000-Quadratmeter-Werksgebäude der MTU Aero Engines Polska hochgezogen – und mit den ersten Maschinen ausgestattet. Über 50 Millionen Euro betrug die Investition. Sogar der polnische Vize-Premier und Wirtschaftsminister kam zur Eröffnung im Mai 2009.
MTU Aero Engines Polska
Der Standort der MTU Aero Engines Polska wurde im Mai 2009 eröffnet. Er liegt im „Aviation Valley“, einer Sonderwirtschaftszone im Südosten von Polen bei Rzeszów, dort haben sich über 80 Firmen mit Produktions- und Forschungsstätten der Luftfahrtindustrie niedergelassen. Zum Video
„Hier in Rzeszów haben wir Luftfahrterfahrung vorgefunden und eine exzellente Infrastruktur“, sagt Krzysztof Zuzak. Der Manager ist Geschäftsführer des Standorts. Und ein Mann der allerersten Stunde. Unter den mehr als 14.000 Studenten der örtlichen Polytechnischen Hochschule ist die Quote der Luftfahrttechnikingenieure besonders hoch. „Rzeszów hat eine lange Tradition im Flugzeugbau“, sagt Zuzak. „Über 60 Prozent unserer Ingenieure kommen vom Polytechnikum hier in Rzeszów.“ Die Fakultät für Mechanik und Aeronautik bietet Luftfahrtindustrie-orientierte Kurse und Studiengänge an. Dr. Joachim Wulf, ehemaliger Entwicklungsleiter des MTU-Standorts, sagte einmal: „Rzeszów ist eine sehr nette Studentenstadt, wie Tübingen.“
Die MTU startete mit der Entwicklung und Fertigung von Leit- und Laufschaufeln für Niederdruckturbinen, der Montage von Niederdruckturbinen und der Teilereparatur. Das Pflaster von Stadt und Umland stellte sich schnell als ein sehr gutes heraus. Auch, oder gerade weil die MTU in Rzeszów erstmals alle drei Bereiche rund um das Triebwerk – Entwicklung, Fertigung, Reparatur – unter einem Dach vereint.
Ausbau ist Teil der MTU-Investitions- und Wachstumsstrategie
Die Belegschaft von 200 Mitarbeitern wuchs schnell. Vier Jahre später, als die Entscheidung für den ersten Ausbau des Standorts fiel, waren es bereits 500; im Jahr 2017 mehr als 750. Außerdem zahlt sich die Weitsicht aus den Planungsjahren aus. „Wir haben das Gebäude von vorneherein so konzipiert, dass es erweiterbar ist, sodass man für die Zukunft gerüstet ist“, sagt Zuzak. Mit den neuen Gebäuden steigt die überbaute Fläche in Jasionka auf fast drei Hektar. Die Erweiterung ist, wie auch die etwa zur gleichen Zeit fertiggestellte Blisk-Fertigungshalle in München und das Logistikzentrum in Hannover, Teil der MTU-Investitions- und Wachstumsstrategie.
Die MTU nutzt den Rzeszówer Ausbau unter anderem für Vorarbeiten für die neuen Getriebefan-Triebwerke und Tätigkeiten, die sich aus der Erhöhung des Programmanteils am A320-Triebwerk V2500 ergeben haben. Das polnische Werk übernimmt dabei im Wesentlichen die Verantwortung in den Bereichen Logistik, Beschaffung, Konstruktion und Qualitätssicherung. Außerdem sind hier die Modulmontage-Aktivitäten für verschiedene ziviler Programme gebündelt. Derzeit wird die Entwicklungsabteilung ausgebaut und wird einmal Arbeitsplätze für insgesamt 140 Ingenieure bieten.
Das Beste aus zwei Welten
Bei der EME Aero arbeiten die Teams derzeit die Details eines ambitionierten Hochlaufplans für den Shop aus. Eine komplexe Sache sei das, erklärt Jana Kotlar, die Projektmanagerin bei der MTU. „Es geht schließlich nicht nur um ein neu zu bauendes Gebäude, sondern auch darum, innerhalb von vergleichsweise kurzer Zeit stabile Prozesse zu implementieren.“
Im Laufe des Jahres sollen die Mitarbeiterqualifikationen starten. Zeitversetzt folgt eine Simulationsphase, die von der Einlastung bis zum Abnahmelauf jedes Detail des Instandsetzungsprozesses auf die Probe stellt. „Bei den Prozessen bedienen wir uns vom Besten aus zwei Welten“, sagt Kotlar. Etwas mehr als ein Dutzend Teilprojekte tragen den Aufbau. „Der Lead liegt bei jeweils einem der Partner, doch die Schnittstellen sind eng verzahnt.“
In ihrer Zusammenarbeit bringen Lufthansa Technik und die MTU einiges an Erfahrung mit. Seit dem Jahr 2003 betreiben sie ein ebenfalls gleichberechtigtes und im Maintenance-Bereich aktives Joint Venture in Malaysia. Spezialisiert ist es auf die Schaufelreparatur von Niederdruckturbinen und Hochdruckverdichtern. „Auch aus Deutschland kennen wir uns gut“, sagt Kotlar, „zum Beispiel durch gegenseitige Unterstützung bei Testläufen und bei der Ersatzteilbeschaffung“.
Das erste instandzusetzende PW1000G-Triebwerk soll im Jahr 2020 durch den Shop gehen, EME Aero nach abgeschlossenem Hochlauf mehr als 1.000 Mitarbeiter beschäftigen.