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Der weite Weg nach Teneriffa – Erfahrungen mit der A220 auf ihrer längsten Linienstrecke
Die Airbus A220 wurden wegen ihrer Flexibilität zum Erfolg, sowohl kurze Hüpfer als auch lange Strecken fliegen zu können. Bei Air Baltic erlebt der AEROREPORT ihre Ausdauer.
04.2022 | Autor: Andreas Spaeth | 4 Min. Lesezeit
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Andreas Spaeth
ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.
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Es ist ein sonniger, aber sehr kalter Märzmorgen in Riga. Das Thermometer war in der Nacht zuvor auf minus 9°C gefallen, genau deshalb wird das Air Baltic-Werbeplakat außen am Flughafenterminal zur Verheißung, wirbt es doch für die Warmwasserziele „Dubaija“ und „Tenerife“. Tatsächlich sind die beiden Routen an den Persischen Golf und auf die Kanarischen Inseln im breiten Air Baltic-Streckennetz diejenigen mit der größten Entfernung. Außerdem ist die Verbindung von Riga nach Teneriffa derzeit die längste mit dem Airbus A220 geflogene Linienverbindung der Welt. Die lettische Fluggesellschaft mit ihrer Heimat in einem kleinen Land an der östlichen Grenze Europas hat sich zum weltweit zweitgrößten Betreiber des Airbus-Zweistrahlers entwickelt, hinter dem US-Giganten Delta Air Lines. Bis März 2022 bildeten 33 Flugzeuge die reine A220-Flotte von Air Baltic, sieben weitere sollen noch 2022 folgen. Dass sich eine Airline ausschließlich auf das neueste Airbus-Produkt verlässt, das noch unter dem Namen CSeries von Bombardier entwickelt worden war, ist beispiellos.
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Erfahrenes Duo: Chefpilot Gerhard Ramcke, fast 10.000 Flugstunden im Logbuch, und sein Erster Offizier Kalev Tarma bringen die A220-300 sicher ans Ziel.
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4.774 km, sechs Stunden und zwölf Minuten: Die Air Baltic Route von Riga nach Teneriffa ist die bisher längste geflogene Linienstrecke mit einem Airbus A220.
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An Gate B7 steht das heutige Flugzeug mit dem Kennzeichen YL-AAV zum Flug nach Teneriffa bereit, ausgeliefert im Dezember 2019. Die A220 bietet bei Air Baltic 148 komfortable Sitze und obwohl noch keine Schulferienzeit ist, sind 143 davon auf Flug BT761 an diesem Morgen besetzt. Der Kapitän nach Teneriffa ist heute Chefpilot Gerhard Ramcke, ein Deutscher aus Hamburg, der fast 10.000 Flugstunden im Logbuch hat – davon 3.100 auf der A220 – und seit 17 Jahren für Air Baltic fliegt. Es gibt vermutlich keinen anderen Flugkapitän, der so viel Erfahrung mit der A220 auf sehr langen Strecken hat. Er hat bereits die erste CS300 weltweit (wie die heutige A220-300 damals hieß) beim Hersteller in Montréal-Mirabel abgeholt und über den Atlantik nach Hause geflogen, weitere Ablieferungsflüge folgten. Noch mehr Meriten auf A220-Langstrecken erwarb er sich bei einer ausgedehnten Vorführungstour 2019, als Airbus ein Flugzeug von Air Baltic mietete um es den ganzen Weg von Riga nach Australien und weiter nach Neuseeland und einigen anderen Südseestaaten sowie in asiatische Länder zu fliegen. „Das war schon ganz besonders“, erinnert sich Ramcke mit einem Lächeln.
Heute morgen ist die Route für ihn viel weniger exotisch. Die Distanz nach Teneriffa wurde mit 2.578 nautischen Meilen (4.774 km) berechnet, inklusive eines kleinen Umwegs, um den von Russland verwalteten Luftraum über Kaliningrad südwestlich von Riga zu umgehen, dessen Überflug wegen des Ukraine-Kriegs verboten ist. „Das ist nur ein kleiner Umweg für uns, vielleicht nochmal 50 oder 80 km zusätzlich auf diesem ohnehin längsten A220-Passagierflug. Aber weil wir jetzt manchmal niedriger oder Umwege fliegen müssen haben wir heute 0,3 Tonnen mehr Sprit getankt“, erklärt der Kapitän. Ansonsten ist es eine Route die in fast gerader Linie den äußersten Nordosten Europas mit den Kanarischen Inseln vor der afrikanischen Küste verbindet, „da gibt es normalerweise sehr wenig Variationen“, weiß Ramcke. Insgesamt sind heute 14,1 Tonnen Sprit an Bord, während die Kapazität Platz für 17 Tonnen geboten hätte. Das Startgewicht liegt bei 63,7 Tonnen, dreieinhalb Tonnen unter dem maximalen Startgewicht. Es ist offensichtlich, dass die A220 eine beträchtliche Reichweite hat: Schon früher hatte Air Baltic-Chef Martin Gauss betont, dass sie ohne Probleme sogar Addis Abeba oder Delhi aus Riga erreichen könnte.
Um 8.49 Uhr Ortszeit hebt die A220 in Riga ab und begibt sich auf einen südwestlichen Kurs, überfliegt Litauen und überquert dann Polen. Von dort aus überquert Flug BT761 Deutschland, berührt dabei ganz kurz einen Zipfel der Tschechischen Republik, dann geht es direkt über Stuttgart in die Schweiz. Dort werden Passagiere auf der linken Seite mit einem Alpenpanorama verwöhnt, bevor die Route weiter über Frankreich führt und danach den spanischen Luftraum von Nord nach Süd durchquert. „Wir verbrauchen jetzt knapp unter 1,8 Tonnen Sprit pro Stunde, das ist ein extrem guter Wert im Vergleich zu anderen Flugzeugtypen“, freut sich Gerhard Ramcke. „Und einer der großen Vorzüge der Getriebefan-Antriebe PW1500G, die anderen sind der geringe Lärm und weniger Emissionen.“ Und die Piloten sind auch ganz angetan von ihrem Arbeitsplatz: „Das ist eine ganz andere Nummer als in einer Boeing 737, wo sich ja das Cockpit nicht weiterentwickeln konnte und daher eng und völlig überladen ist, wenn es um Instrumente und Bedienelemente geht. Deswegen können wir hier in der A220 mit einer einzelnen Besatzung ohne weiteres auch mal sechs Stunden sitzen“, erklärt der Chefpilot.
Nachdem die Flugroute über der spanischen Costa del Sol auf den Atlantik hinaus und dann entlang der nordafrikanischen Küste führt, ist es schließlich Zeit für den Anflug. Direkt über Gran Canaria reihen sich Captain Ramcke und sein estnischer Erster Offizier Kalev Tarma in die Anflugsequenz für den Flughafen Teneriffa Süd ein, was in einer steilen Rechtskurve und schließlich in den Endanflug mündet. Um 13.01 Uhr Lokalzeit setzt Flug BT761 nach einer Flugzeit von sechs Stunden und zwölf Minuten auf der Landebahn auf. Als er sein Flugzeug am Gate geparkt hat, ist Gerhard Ramcke zufrieden: „Es war ein sehr entspannter Flug im besten Büro der Welt, das wir hier in der A220 haben.“