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Flugerprobung: Als Flight Test Engineer dem Triebwerk ganz nah

MTU-Experte Tarun Sondhi betreut als Senior Flight Test Engineer Triebwerke in der Flugerprobung bei Airbus in Toulouse. Ein Gespräch über den typischen Tagesablauf und Tests bei minus 38 Grad Celsius.

07.2023 | Autorin: Nicole Geffert | 3 Min. Lesezeit

Autorin:
Nicole Geffert arbeitet seit 1999 als freie Journalistin mit den Themen Forschung und Wissenschaft, Geld und Steuern, Ausbildung und Beruf.


„Es gibt keinen typischen Tagesablauf, das ist der Reiz. Jeder Flug will sorgfältig vorbereitet sein. Vor jedem Erprobungsflug bin ich mit dem Team eine Stunde vorher am Flugzeug. Ich inspiziere die Triebwerke, dann steige ich in das Flugzeug.“

Tarun Sondhi

Senior Flight Test Engineer im Flight Test Center von Airbus in Toulouse

Wie sind Sie Senior Flight Test Engineer bei der MTU geworden?

Ich habe Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität in München studiert. 1998 habe ich meine Karriere bei der MTU Aero Engines in München gestartet. Es hat nicht lange gedauert, bis sich die Chance bot, ins Flugerprobungsteam für das Eurofighter-Triebwerk EJ200 einzusteigen, das bei der damaligen EADS in Manching – etwa 70 Kilometer nördlich von München – stationiert war. Ich erinnere mich noch gut an den abwechslungsreichen Job da draußen, als die Eurofighter täglich über unsere Köpfe gedonnert sind. Es hieß damals, wer dort arbeitet, hat Kerosin im Blut.

Der Job in der Flugerprobung hat Sie nie mehr losgelassen?

Richtig. Nirgends in der MTU ist man dem fliegenden Triebwerk so nah wie in der Flugerprobung. Das begeistert mich. Deshalb habe ich auch keine Minute gezögert, als es darum ging, ab 2007 das TP400-D6-Flugerprobungsteam für den Militärtransporter A400M zu verstärken. Seit 2008 arbeite ich im Flight Test Center von Airbus in Toulouse/Frankreich. 2014 wechselte ich dann erstmals vom militärischen in das zivile Programm. Seitdem arbeite ich als MTU-Mitarbeiter in Toulouse, um Airbus bei der Erprobung und Zertifizierung des PW1100G-JM zu unterstützen, das die Airbus A320neo-Familie antreibt.

Wie sieht ein typischer Tagesablauf bei Ihnen aus?

Es gibt keinen typischen Tagesablauf, das ist der Reiz. Aber es gibt durchaus festgelegte Abläufe und Prozesse. Jeder Flug will sorgfältig vorbereitet sein. Vor jedem Erprobungsflug bin ich mit dem Team eine Stunde vorher am Flugzeug. Wir tragen Sicherheitskleidung wie Leuchtwesten, Helm und Sicherheitsschuhe. Ich inspiziere die Triebwerke, dann steige ich in das Flugzeug. Sitzreihen gibt es keine. Den Platz beanspruchen etwa Monitore und Geräte für die umfangreiche Messtechnik. Ich starte die Engine Monitoring Station (EMS), das elektronische Aufzeichnungsgerät für die Triebwerksparameter, und bereite alles für die Aufzeichnung der Triebwerksdaten vor.

Sind Sie während der Erprobungsflüge mit an Bord?

Erstflug A320neo mit Pratt & Whitney GTF Advantage. (©Airbus SAS 2022)

Nein, in der Regel übernehmen das die Ingenieur:innen der Triebwerksregelung, die ebenfalls Teil unseres Flugerprobungsteams sind. Diese kümmern sich um alle Themen rund um die FADEC (Full Authority Digital Engine Control). Sobald das Flugzeug wieder gelandet ist, lese ich die Triebwerksdaten aus, die von der EMS während des Fluges gesammelt und aufgezeichnet wurden. Die komplette Auswertung der Daten nimmt allerdings einige Zeit in Anspruch. Wann immer erforderlich, bekomme ich die volle Unterstützung meiner MTU-Kolleg:innen aus allen Disziplinen. Wir kümmern uns zudem um die komplette Triebwerks-Dokumentation, füllen Formulare aus und schreiben Wochenberichte.

Welcher Einsatz gehört zu Ihren persönlichen Highlights?

In diesem Frühjahr haben wir Kaltwettertests in Iqaluit im Norden Kanadas absolviert. Beim Überführungsflug nach Kanada war ich mit an Bord. In Igaluit waren nicht nur wir, sondern auch das Flugzeug und die Triebwerke, Außentemperaturen von rund minus 38 Grad Celsius ausgesetzt. Die Flugerprobung zielt darauf ab, die volle Funktionalität der Systeme unter extremen Wetterbedingungen nachzuweisen. Ich war zum ersten Mal dort, die Woche bleibt für mich ein unvergessliches Erlebnis. Wir wurden mit einer speziellen Ausrüstung ausgestattet, die uns vor der extremen Kälte geschützt hat, wenn wir draußen am Flugzeug und an den Triebwerken gearbeitet haben.

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A321XLR Erstflug - Überprüfung vor dem Start

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A320neo Kaltwettertest auf dem Flughafen Iqaluit.

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Airbus A400M Test auf unbefestigter Landebahn.

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Erstflug des zweiten A321XLR-Testflugzeugs.

Als Senior Flight Test Engineer sind Sie auch künftig gefragt?

Ja, denn immer, wenn es am Flugzeug oder Triebwerk große Modifikationen gibt, müssen diese auch im Flug erprobt und zertifiziert werden. Oder anders gesagt: Technische Neuerungen müssen sich bei uns in der Flugerprobung bewähren. Wir sind die ersten, die die High-tech-Produkte, die unsere Expert:innen entwickelt und gefertigt haben, im praktischen Einsatz am Flugzeug erleben.

Ihr Job wird also nie zur Routine?

Tatsächlich nie! Von meinem Schreibtisch aus kann ich direkt auf das Gebäude blicken, vor dem die Airbus-Flugzeuge ihre Parkposition einnehmen. Ich habe also die komplette Flotte vor Augen. Das riesige Areal stellt für viele, die hier zum ersten Mal sind, alles bisher Gesehene in den Schatten. Startende und landende Flieger gehören zwar seit Jahren zu meinem Berufsalltag. Und trotzdem schaue ich jedes Mal wieder hoch, wenn ein Flugzeug startet und abhebt.

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