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MTU-Partner Bundeswehr besteht seit 70 Jahren
70 Jahre Bundeswehr, fast ebenso lange die Partnerschaft mit der MTU: Seit den ersten „Starfighter“-Triebwerken ist die MTU ein fester Bestandteil der deutschen Luftwaffengeschichte.
Autorin: Eleonore Fähling | 6 Min. Lesezeit veröffentlicht am: 02.12.2025
Autorin:
Eleonore Fähling
gehört seit 2014 zum Redaktionsteam des AEROREPORT und ist seit 1999 verantwortlich für die MTU-Mitarbeiterzeitung. Zu ihren luftfahrtjournalistischen Schwerpunkten gehören Luftfahrtgeschichte und Branchenthemen.
Wie ein Brett liegt der „Tornado“ in der Luft – vor allem im Tiefflug. Daran erinnert sich Gernot Sell ganz genau. Bis 2011 war er im Cockpit des Mehrzweckkampfflugzeugs quasi zu Hause, zuletzt im Fliegerischen Ausbildungszentrum der deutschen Luftwaffe auf der Holloman Air Force Base in New Mexico, USA. Mehr als 20 Jahre diente der heute 55-Jährige bei der Bundeswehr. Schon als Kind vom Fliegen fasziniert, bewarb er sich direkt nach dem Abitur für die Fliegerische Laufbahn in der Bundeswehr. „Im fliegerischen Auswahlverfahren war ich allerdings bei meinem ersten Soloflug ziemlich nervös, sodass es am Ende ‚nur‘ die Verwendung als Waffensystemoffizier (WSO) im hinteren Cockpit des Tornados wurde“, erinnert er sich. Doch spätestens im Undergraduate Navigator Training bei der US Air Force in Kalifornien wurde ihm klar, wie entscheidend jedes Besatzungsmitglied für den Erfolg taktischer Einsätze ist.
„Zwock“ und „Gary“ – wie „Maverick“ und „Goose“
Gernot Sells Rufname war „Gary“. Zusammen mit Pilot „Zwock“ diente er nach seiner Ausbildung von 1999 bis 2008 in der 2. Fliegenden Staffel des Jagdbombergeschwaders „Boelcke“ – heute Taktisches Luftwaffengeschwader 31 – in Nörvenich. „Er war sozusagen Maverick, ich war Goose – Filmfans wissen, was ich meine“, beschreibt er in Anspielung auf den Film „Top Gun“, der ihn als Jugendlichen nachhaltig beeindruckte. „Wir haben zahlreiche Stunden gemeinsam im Cockpit verbracht“, sagt Sell und gibt einen Einblick in ihren Flugalltag: „Beim Training von Luftkampfmanövern im Tornado erreichten wir oft Annäherungsgeschwindigkeiten von über 30 Kilometern pro Minute.“ Aufgabe des WSO bei diesen Manövern ist es unter anderem, anfliegende Feindflugzeuge per Radargerät oder Sicht rechtzeitig zu erkennen, damit der Pilot ausweichen kann. „Bei extremen Tiefflugeinsätzen, etwa während unserer Kommandozeit in Goose Bay, Labrador, Kanada, flogen wir teils mit mehr als 830 km/h in nur rund 30 Meter über dem Boden – da rauscht die Landschaft förmlich vorbei und Hindernisse tauchen blitzschnell auf“, sagt Sell. „In solchen Situationen war es für den Piloten unerlässlich, einen Punkt am Horizont frühzeitig zu erkennen, der sich in Sekundenbruchteilen von einem winzigen Fleck zu einem Hindernis entwickelte. Und als Waffensystemoffizier im hinteren Cockpit musste man vor allen Dingen Vertrauen in die Fähigkeiten des Piloten haben, da man nur eine eingeschränkte Sicht direkt nach vorne hat.“
Seit 2016 arbeitet „Gary“ bei der MTU, inzwischen als Geschäftsführer der MTU Maintenance Fort Worth in Texas – und „Zwock“ ist nur anderthalb Autostunden entfernt Fluglehrer auf der Sheppard Air Force Base in Wichita Falls im Euro NATO Jet Pilot Training Program (ENJJPT). Beruflich sind die beiden unterschiedliche Wege gegangen, doch die Kameradschaft verbindet weiterhin. Ähnliche Geschichten können etliche Mitarbeiter:innen bei der MTU erzählen. Denn viele haben neben den beruflichen auch persönliche Verbindungen zum MTU-Partner Bundeswehr, der dieses Jahr 70-jähriges Bestehen feiert.
Take-off mit dem „Startfighter”
Am 12. November 1955 wurden in der Bonner Ermekeil-Kaserne die ersten 101 Freiwilligen der neu gegründeten Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland vereidigt. Am 1. April 1956 erhielt die Verteidigungsmacht den Namen „Bundeswehr“. Von der früheren Wehrmacht unterschied sie sich vor allem durch das viel zitierte „Konzept der Inneren Führung“: „Der ‚Staatsbürger in Uniform‘ ist seinem Gewissen verpflichtet und handelt selbstverantwortlich“, heißt es beim Bundesministerium der Verteidigung, das kurz zuvor gegründet worden war.
Fast von Anfang an waren die heutige MTU Aero Engines und ihre Vorgängerunternehmen enge Partner vor allem der Luftwaffe. Diese Partnerschaft begann 1959 mit einem ersten Vertrag über die Instandhaltung von J79-Triebwerken für die Lockheed F-104G, die deutsche Version des „Starfighters“, den die Bundeswehr mit BMW Triebwerkbau GmbH schloss. Ab 1960 baute das Vorgängerunternehmen der MTU in München mehr als 600 J79-Triebwerke für den „Starfighter“ und später die „Phantom II“ in Lizenz. Eine weiterentwickelte Version trug sogar „MTU“ im Namen: Das J79-MTU-J1K mit Verbesserungen an Brennkammer und Nachbrenner kam ab 1971 zum Einsatz. Bis in die frühen Nullerjahre hinein setzte die MTU J79-Triebwerke der Luftwaffe instand. Das RB199 für den Tornado, das MTR390 für den Kampfhubschrauber Tiger, das EJ200 für den Eurofighter Typhoon oder das TP400-D6 für den Militärtransporter A400M sind nur die herausragendsten Beispiele für die weitere Zusammenarbeit der beiden Partner.
Meilensteine:
©Bundespresseamt
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1955: Gründung der Bundeswehr. Erste Soldaten werden vereidigt und der Bedarf an modernem Fluggerät entsteht.
©Bundespresseamt
Pilot Noble vom Taktischen Luftwaffengeschwader 74
Pilot Noble schildert seine Pilotenausbildung – und betont, wie sehr ihn die Zuverlässigkeit des EJ200-Triebwerks beeindruckt.
Kooperation in neuer Dimension
Die frühen Nullerjahre markieren den Beginn eines neuen Kapitels in der Partnerschaft: die Instandhaltungskooperation, in deren Rahmen Soldat:innen Seite an Seite mit zivilen Angestellten bei der MTU Triebwerke der Luftwaffe instand setzen. Die MTU trägt die Gesamtverantwortung, Luftwaffen-Techniker:innen bringen ihr Praxiswissen ein. Dieses Modell wurde zunächst für das EJ200 eingeführt und später auf RB199 und MTR390 erweitert. Das Resultat: schnellere Durchlaufzeiten, niedrigere Kosten und deutlich höhere Einsatzbereitschaft der Triebwerke.
Auf diesem Weg kam der Luftfahrzeugtechnische Offizier Christoph Eschlbeck zur MTU. Er erzählt: „Insgesamt war ich 16 Jahre lang Soldat bei der Luftwaffe. Zuletzt war ich in der Instandsetzungskooperation eingesetzt.“ Eines seiner schönsten Erlebnisse war ein Bremslauf, den er im Eurofighter-Cockpit erleben durfte. Dabei wird ein Flugzeug auf der Startbahn beschleunigt, um anschließend die Radbremsen und das Bremsverhalten zu testen. „Ich wollte dem Eurofighter beziehungsweise dem EJ200 treu bleiben, deshalb war der Schritt zur MTU nach meiner Dienstzeit bei der Bundeswehr nur logisch für mich“, sagt er. Sein Arbeitsweg blieb der gleiche, denn sein Einsatzort als MTU-Mitarbeiter in der EJ200-Instandhaltung ist nach wie vor im Betriebsteil Erding auf dem dortigen Fliegerhorst.
Die Gründung der Bundeswehr – historischer Hintergrund
Vorausgegangen waren der Bundeswehr-Gründung und dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik in den frühen 1950er Jahren kontroverse Diskussionen um die Wiederbewaffnung Deutschlands. Bundeskanzler Konrad Adenauer etablierte bereits in seinem ersten Kabinett eine Kommission von Militärexperten, die sich mit Ideen für eine mögliche Streitmacht in einem demokratischen, föderal organisierten Staat beschäftigte. Ein Konzept legte die Expertengruppe mit der zunächst geheimen „Himmeroder Denkschrift“ vom 9. Oktober 1950 über „die Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen einer übernationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas“ vor, in der Strukturen und Umfänge beschrieben wurden.
Die Angst vor dem Verteidigungsfall war nicht ganz unbegründet. Bereits im Dezember 1946 hatte die Sowjetunion im von ihr besetzten Teil Deutschlands mit dem Aufbau einer bewaffneten und militärisch organisierten Grenzpolizei begonnen. Nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 wurden systematisch weitere bewaffnete Streitkräfte aufgestellt. Im Westen fürchtete man daher, dass die DDR-Truppen die Bundesrepublik Deutschland angreifen könnten – ähnlich wie in Korea, wo im Juni 1950 nordkoreanische Einsatzkräfte mit Unterstützung der Sowjetunion und der Volkrepublik China in Südkorea einmarschierten.
Wesentlicher Bestandteil der Bundeswehr waren von Anfang an Luftstreitkräfte. Bereits im Sommer 1955 begann die Ausbildung von Strahlflugzeugführern in den USA und Großbritannien. Die ersten fliegenden Verbände wurden mit dem Lufttransportgeschwader 61 in Erding, später Landsberg/Lech, und dem Jagdbombergeschwader 31 in Nörvenich etabliert.
©1956 Bundeswehr / Baumann
Die ersten Wehrpflichtigen in Marschkolonne auf dem Kasernengelände in Andernach 1956.