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Das Ende der Riesen. Der letzte Airbus A380 hat das Werk verlassen.

Das größte Verkehrsflugzeug der Welt setzte Maßstäbe und begeisterte Passagiere, nun wurde der letzte Airbus A380 gebaut und ausgeliefert.

02.2022 | Autor: Andreas Spaeth | 7 Min. Lesezeit

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Andreas Spaeth ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.


Schon Stunden zuvor waren die ersten Schaulustigen am Aussichtshügel neben der Werkspiste von Airbus am Elbdeich in Hamburg-Finkenwerder eingetroffen. 2007 hatte Airbus die ersten Exemplare des größten Verkehrsflugzeugs der Welt ausgeliefert, an diesem klaren Dezembernachmittag 2021 nun würde es die 251. und letzte für einen Airline-Kunden gebaute A380 sein, gleichzeitig die finale und 123. für den mit Abstand größten Kunden Emirates. Der Mond stand bereits am Winterhimmel, als um 16.41 Uhr die letzte je ausgelieferte A380 zum Überführungsflug nach Dubai abhob. Zum großen Bedauern aller Beteiligten ganz ohne Ehrengäste und Feierlichkeiten – die Pandemie hatte es verhindert. 14 Jahren nach der ersten Auslieferung an Singapore Airlines war Schluss mit der Produktion des fliegenden Doppelstöckers.

Die Tatsache, dass die Piste in Finkenwerder überhaupt bis hierher, wo jetzt die Planespotter und Mitarbeiter standen, verlängert wurde, geht auch auf die A380 zurück. Das Programm hat das Gesicht des gesamten Stadtteils erheblich verändert, so war Anfang des Jahrtausends eine ganze Elbbucht zugeschüttet worden, um darauf neue Werkshallen für die A380-Produktion zu errichten. Und nicht nur in Hamburg hat der Riese erhebliche Spuren hinterlassen, auch in Toulouse und anderswo – die Logistik der über ganz Europa verteilten Produktion war unfassbar komplex. Dazu gehörten eigene Flotten an See- und Flussschiffen sowie überdimensionierte Beluga-Transportflugzeuge, die die A380-Segmente zwischen den Standorten beförderten.

Endlich ein Gegengewicht zu Boeings Monopol

Zu Beginn des Jahrtausends wollten die Europäer endlich der Boeing 747 etwas entgegensetzen. Der legendäre Jumbo Jet steht seit 1970 im Liniendienst, aber auch seine Produktion endet 2022. Während die Verkaufszahlen der Jumbos damals schon stagnierten, setzte Airbus voll auf den Riesenflieger, in der Hoffnung, endlich Boeings lukrativem Monopol etwas entgegenzusetzen. Die Europäer gingen davon aus, dass es erheblichen Bedarf für ein Flugzeug gab, das zwischen den großen Drehkreuzen theoretisch bis zu 853 Passagieren auf zwei Decks befördern konnte. Doch bald kam alles anders, als die A380 mit erheblichen Verzögerungen ab 2008 auf den ersten Linienverbindungen eingesetzt wurde. Boeing brachte 2011 bereits ihren 787 Dreamliner auf den Markt, viel kleiner und effizienter, der auch Langstrecken von Sekundärflughäfen aus nonstop wirtschaftlich bedienen konnte. Airbus folgte mit der A350. Plötzlich konnte man etwa ab Düsseldorf aus ohne Umsteigen nach Tokio oder Hongkong fliegen.

Boeings Monopol: Die CF6-Triebwerke der Boeing 747 haben seit ihrer ersten kommerziellen Inbetriebnahme im Jahr 1971 fast 430 Millionen Flugstunden absolviert.

Neue Strategie: Boeing's viel kleinerer und effizientere 787 Dreamliner konnte bereits 2011 nonstop Sekundärflughäfen bedienen.

Viel Schub für Riesenflieger: Das GP7000 der Engine Alliance ist eine der beiden möglichen Varianten für den Airbus A380.

Die Passagiere wollten nicht mehr an großen Drehkreuzen das Flugzeug wechseln, für die Airlines erwiesen sich direkte Verbindungen mit den neuen Zweistrahlern als gutes Geschäft. Das Nachsehen hatte die A380 – groß, schwer und mit vier Triebwerken. Bei einer der beiden Optionen, dem GP7000, ist die MTU Aero Engines für die Entwicklung, Fertigung und Montage der kompletten Niederdruckturbine und des Turbinenzwischengehäuses sowie die Fertigung von Hochdruckturbinen-Komponenten zuständig. Die meisten A380-Kunden hatten Schwierigkeiten, ihre A380 mit jeweils über 500 Sitzen zu füllen, ihr Betrieb war teuer. Nur für eine Netzwerkgesellschaft wie Emirates mit ihrem Mega-Drehkreuz in Dubai erwies sich die A380 als das perfekte Flugzeug.

Ein zweiter Frühling im Spätherbst

Im Herbst 2021 allerdings stiegen die Verkehrszahlen so sprunghaft an, dass einige Airlines auf ihre abgestellte A380-Flotte zurückgriffen, die jetzt perfekt zur akuten Problemlösung taugte. Ein zweiter Frühling für das Riesenflugzeug mitten im Spätherbst. „Aber sobald wieder mehr Geschäftsreiseaufkommen herrscht, wird stärker wieder die Frequenz der Flüge eine Rolle spielen. Damit wird dann ein täglicher A380-Flug oft wieder durch mehrere Dienste der effizienten Zweistrahler ersetzt werden“, prophezeit Marko Niffka, Experte für Business Development-MRO bei der MTU.

Ende einer Ära: Im Dezember 2021 verabschiedete sich der letzte Mega-Flieger Richtung Dubai - für Emirates wird die A380-Flotte noch einige Jahre fliegen werden.

Wettbewerbsdruck der Kleinen auf die Großen

Das Marktsegment für große Verkehrsflugzeuge wird künftig kleiner werden, vermuten die Expert:innen der MTU. „Weil Narrowbodies wie der Airbus A321XLR nachdrängen, die nun erstmals auch für weitere Langstrecken eingesetzt werden können“, sagt Marko Niffka, Experte für Business Development – MRO bei der MTU. Gerade in diesem Segment ist die MTU durch ihren Beitrag zu den Getriebefan-Triebwerken, wie dem bei der A321XLR eingesetzten PW1100G-JM, hervorragend positioniert. „Die langstreckentauglichen Narrowbodies verstärken noch den Trend zur Fragmentierung des Marktes“, erklärt Niffka. Er erwartet, dass dadurch die bisher auch als potenzieller A380-Markt wichtigen großen Drehkreuz-Flughäfen weiter unter Druck geraten werden. Das Marktvolumen für sehr große Flugzeuge wird nach der Prognose der MTU-Fachleute weiter schrumpfen, aber trotzdem wird sich das Segment am oberen Ende des Marktes behaupten. „Diese großen Jets, wie künftig die Boeing 777-9, sind vor allem wichtig für volle Flughäfen, auf denen kaum noch Zeitfenster für Starts und Landungen frei sind. Für diesen Bereich wird der Markt großer Flugzeuge relevant bleiben“, sagt Marko Niffka.

Gleichzeitig lieben die Passagiere bis heute die A380, viele nehmen immer noch Umwege in Kauf um damit fliegen zu können. Die extrem lärmarme Kabine ist ein Grund, der – je nach Kabinenklasse und Ausstattung – großzügige Platz an Bord ebenfalls. Airbus-Chef Guillaume Faury sagte aus Anlass der letzten Auslieferung: „Die A380 hat mit den neuen Maßstäben, die sie in Sachen Flug- und Reiseerlebnis gesetzt hat, das Leben so vieler Passagiere berührt. Ich bin zuversichtlich, dass dies auch in den kommenden Jahrzehnten zumindest bei Emirates weiter der Fall sein wird.“ Bis Mitte der 2030er Jahre soll deren noch junge A380-Flotte zumindest ab Dubai weiter fliegen.

Eine letzte Verbeugung

Bei der A380 stieß man immer wieder auf Hindernisse. Ein Hauptproblem waren die jahrelangen Verzögerungen bei der Entwicklung und Fertigung der A380, es zeigte sich damals schmerzlich, dass die Airbus-Werke in Deutschland und Frankreich mit nicht kompatiblen Computersystemen arbeiteten. Als die A380 dann endlich ab 2008 auf den Markt kam, war das Timing extrem schlecht, die damalige SARS-Pandemie und die folgende weltweite Finanzkrise ließen die Nachfrage nach Großflugzeugen kollabieren. Dennoch, das versichern Flugzeughersteller und Branchenkenner einhellig, war der Lerneffekt durch die A380 immens. Airbus war gezwungen zusammenzuwachsen und erstmals als einheitliches Unternehmen zu handeln und aufzutreten.

Am Zaun von Finkenwerder herrschte bei der letzten Auslieferung eine Mischung aus Wehmut und trotziger Begeisterung. „Ich fühle mich so geehrt sie nach Hause zu bringen“, hatte Flugkapitän Dwayne Walker vor dem Start in den sozialen Medien gepostet. Nachdem er den Riesen ins letzte Abendlicht am Himmel gesteuert hatte, drehte er eine Schleife, kam zurück und legte mit aufgeblendeten Scheinwerfern eine spektakuläre Beinahe-Landung vor der Kulisse der leuchtenden Werksgebäude hin. Es sah fast aus wie eine letzte Verbeugung des Riesenflugzeugs vor einem seiner Entstehungsorte.

Das A380-Triebwerk GP7000

Die Luftfahrtgeschichte erlaubt sich gelegentlich kleine ironische Wendungen. Denn dass es das GP7000, eines von zwei für das weltgrößte Verkehrsflugzeug angebotenen Triebwerksmustern, überhaupt gibt, verdanken Airbus und die A380-Kunden nicht zuletzt – Boeing. Die Amerikaner hatten Mitte der Neunzigerjahre ihren ersten von mehreren Versuchen gestartet, auf Basis der 747-400 ein Verkehrsflugzeug mit noch größerer Kapazität auf den Markt zu bringen. Das Problem war nur, dass keiner der drei großen Triebwerkshersteller über einen geeigneten Antrieb für die geplanten Super-Jumbos 747-500X und 747-600X verfügte – und keiner besonderes Interesse hatte, sich mit der Entwicklung eines solchen Triebwerks zu befassen.

Deshalb nahmen GE Aviation, Pratt & Whitney und Boeing zum Jahreswechsel 1995/1996 Gespräche über ein mögliches Joint Venture der beiden US-Triebwerksproduzenten auf, mit dem Ziel, wenigstens einen geeigneten neuen Antrieb zu entwickeln. Im Mai 1996 wurden der Kooperationsvertrag für die Engine Alliance unterzeichnet und gleich darauf die Arbeiten an einem neuen Triebwerk mit der Bezeichnung GP7000 aufgenommen.

Auch wenn das Vorhaben 747-500X/600X schnell wieder zu den Akten gelegt wurde, waren die investierten Dollars nicht umsonst gewesen, denn im Mai 1998 wurde im Rahmen einer Absichtserklärung festgelegt, dass die Engine Alliance das GP7000 für das damals noch als A3XX bezeichnete weltgrößte Verkehrsflugzeug entwickeln würde.


Stolze 2,9 Meter: Ganz schön groß machen muss man sich beim Einschaufeln der Fanschaufeln – der GP7000-Fan hat fast 3 Meter Durchmesser.

Volle Power: Die Schubkraft eines GP7000 liegt bei knapp 80.000 Pfund - was hier im Prüfstand bei voller Leistung getestet wird.

Maintenance-Profis am Werk: Bei der MTU wird die Niederdruckturbine des GP7000 instandgehalten.

Anspruchsvolle Komponente: Beim Turbinenzwischengehäuse kann die MTU besonders viel Know-how vorweisen – so auch bei dessen Entwicklung und Fertigung für das GP7000.


Ein Meilenstein für die MTU

Für das GP7000 fanden sich zwei Welten zusammen: Für Hochdruckturbine und -verdichter war GE zuständig, wobei man sich ausgiebig beim 777-Antrieb GE90 bediente, die einzelnen Komponenten aber an den geringeren Schubbedarf der A380 anpasste. Auch Pratt & Whitney nutzte für Niederdruckturbine und -verdichter Komponenten aus dem eigenen Produkt für die 777, dem PW4000.

Auch wenn die Engine Alliance ein Joint Venture von GE Aviation und Pratt & Whitney ist, bedeutet das nicht, dass die beiden Unternehmen auch das komplette Triebwerk fertigen. Im Gegenteil: Die meisten Anteile sicherte sich die MTU Aero Engines. Insgesamt 22,5 Prozent des GP7000 stammen von Deutschlands führendem Triebwerkshersteller, dem Entwicklung, Fertigung und Montage der kompletten Niederdruckturbine und des Turbinenzwischengehäuses sowie die Fertigung von Schaufeln und Scheiben der Hochdruckturbine übertragen wurden. In München findet zusätzlich die Instandsetzung der Niederdruckturbine statt.

Für die MTU bedeutete das GP7000-Programm einen weiteren Meilenstein. Es hat den Münchnern zum Einstieg in die nächste Generation von Widebody-Antrieben verholfen, denn dem Auftrag für Entwicklung und Fertigung des Turbinenzwischengehäuses für das GP7000 folgten entsprechende Arbeiten für das GEnx (787, 747-8) und das GE9X (Boeing 777-8X und -9X). Und nicht zuletzt profitiert auch die MTU Maintenance von Aufträgen und vom Knowhow-Gewinn bei der Instandhaltung von Widebody-Triebwerken.

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