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Der A321XLR revolutioniert die Langstrecke

Der Airbus A321XLR ist eine neue Klasse für Langstrecken – erstmals kann ein Schmalrumpf-Jet bis zu elf Stunden in der Luft bleiben.

07.2022 | Autor: Andreas Spaeth | 6 Min. Lesezeit

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Andreas Spaeth ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.

A321XLR Erstflug: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

A321XLR Erstflug: Nach der Landung begrüßen gut hundert Gäste und Angestellte mit lautem Jubel die Besatzung.

Alle Augen der am Rande des Vorfelds aufgereihten Mitarbeiter:innen und Gäste richten sich ans Ende der Startbahn in Richtung Elbe. Noch wenige Minuten zuvor war genau hier mit der „Queen Mary 2“ eines der größten Kreuzfahrtschiffe der Welt vorbeigeglitten. Und gleich steht in Hamburg-Finkenwerder ein wichtiger Moment in der jüngeren Airbus-Geschichte an: Der Erstflug des neuen Bestsellers Airbus A321XLR, des ersten Schmalrumpf-Flugzeugs für Langstrecken mit bis zu elf Stunden Flugzeit. Äußerlich unterscheidet sich die A321XLR nicht von einem gewöhnlichen Airbus A321 und dessen Nachfolgemodell A321neo.

Plötzlich geht alles ganz schnell an diesem sonnigen Junimorgen – eigentlich soll zuerst das Begleitflugzeug starten. Doch unerwartet für die Zuschauer setzt sich der A321XLR-Prototyp, Baunummer 11000, Kennzeichen F-WXLR, zuerst in Bewegung, beschleunigt und hebt dann am 15. Juni 2022 um 11.05 Uhr fast direkt vor den aufgereihten Beobachtern ab. 18 Monate lang hatten 1.500 Mitarbeiter:innen des Flugzeugherstellers und seiner Zulieferer darauf hingearbeitet. „Wir haben diesem Augenblick entgegengefiebert, das ist ein besonderer Moment und das spüre ich auch“, sagt Michael Menking, der Programmleiter der A320-Flugzeugfamilie, kurz vor dem Abheben neben der Bahn in Hamburg.

©Airbus SAS 2022

Geringere Betriebskosten, weniger wirtschaftliches Risiko

Fast drei Jahrzehnte nach dem Erstflug an gleicher Stelle erlebt das A321-Programm in seiner neuen Langstreckenvariante (XLR steht für Extra Long Range) nun einen Boom, auch weil es voraussichtlich ab Anfang 2024, nach Abschluss des jetzt beginnenden Testprogramms, ein völlig neues Marktsegment besetzen kann: Echte Langstrecken von bis zu 8.700 km Distanz mit voller Zuladung können dann bewältigt werden. Und das als Schmalrumpfflugzeug mit nur einem Mittelgang, nicht wie bisher mit zwei Gängen bei auf solchen Segmenten sonst eingesetzten Großraumjets. Das birgt für die Airlines nicht nur geringere Betriebskosten, sondern vor allem viel weniger wirtschaftliches Risiko: Weil in den für Langstrecken geplanten Kabinen-Konfigurationen (meist mit luxuriöser Business Class inklusive Flachbett-Abteilen) nur 174 bzw. 187 Sitzplätze zu füllen sind, nicht weit über 200 oder sogar mehr als 300 oder 400 wie in derzeitigen Großraumjets.

Alleskönner: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Alleskönner: Nach drei Stunden und 45 Minuten landet der Prototyp und rollt unter dem Wassersalut der Flughafenfeuerwehr vor das Auslieferungszentrum.

Langstrecken-Komfort für die Schmalrumpf-Jets

Nur wenige Kilometer vom Erstflug-Ort entfernt läuft zur gleichen Zeit die Kabinenmesse Aircraft Interiors Expo auf dem Hamburger Messegelände. Auch dort sind Narrowbodies für Langstrecken ein großes Thema, viele Sitzhersteller liefern sich ein Wettrennen, um ihre eigentlich für Großraumflugzeuge konzipierten Luxus-Abteile auch für kleinere Jets zu adaptieren, inklusive Schiebetür. Wie heute schon die amerikanische Fluggesellschaft JetBlue auf Transatlantikstrecken mit einer A321LR (LR steht für Long Range) werden künftig viele Airlines die erste Reihe in den Schmalrumpf-Jets mit zwei geräumigen Suiten bestücken.

Den Passagieren erspart die neue Flugzeugklasse auf Langstrecken lästiges Umsteigen und ermöglicht Nonstop-Verbindungen, die sich für Fluggesellschaften bisher nicht gerechnet hätten. Ab Hamburg nennt Airbus folgende Beispiele möglicher Routen ohne Zwischenstopp: Orlando (USA), Punta Cana (Dominikanische Republik), Nassau (Bahamas), Mahé (Seychellen), Male (Malediven) oder Vancouver (Kanada) könnten Zielorte sein, die sich aus Westeuropa ohne Umsteigen erreichen ließen. Bereits heute fliegen Fluggesellschaften wie Aer Lingus, SAS und TAP Air Portugal mit dem Vorgängermodell, der ersten für Langstrecken tauglichen A321LR (7.400 km Reichweite) über den Nordatlantik und bis nach Brasilien. Am Tag des XLR-Erstflugs sind genau 508 Flugzeuge des neuen Typs bestellt. Wichtigste Kunden sind IndioGo, United und American Airlines, aus Europa Wizzair und Iberia.

Flug Crew: Philippe Pupin, Gabriel Diaz de Villegas Giron, Mehdi Zeddoun, Thierry Diez, Frank Hohmeister (von links nach rechts)

Zunehmende Fragmentierung der Langstrecke absehbar

„Wir werden damit eine zunehmende Fragmentierung der Langstrecken sehen, was in Summe zu einem erweiterten Marktpotenzial und -wachstum führt“, sagt Marko Niffka, Experte für Business Development – MRO bei der MTU Aero Engines. „Dieses Marktsegment wird neue Routen ermöglichen und damit auch weitere Mitbewerber anlocken, etwa aus Indien mit Flügen in Richtung Osteuropa.“ Eine Triebwerksoption bei der A321XLR ist das PW1100G-JM aus der Pratt & Whitney GTF™ Triebwerksfamilie, der schon dieses Jahr am zweiten Testflugzeug erprobt wird. „Das ist für uns als MTU ein sehr attraktives Weltmarktsegment und wird weiter zum Erfolg des Getriebefans (GTF) beitragen – schon dadurch, dass neue Airlines in den Markt kommen und bestehende Akteure mehr und mehr auf dieses Segment ausweichen“, so Marko Niffka. „Seine Treibstoffeffizienz macht den GTF hier so wertvoll, denn früher musste man mehr Sprit mitnehmen, was in einem Narrowbody für Langstrecken aufgrund des begrenzten Platzes nicht ausreichend möglich gewesen wäre.“

Damit nennt der MTU-Experte den entscheidenden Unterschied gegenüber dem Standardmodell: zusätzliche Tankkapazitäten. Eine übliche A321 fasst 19 Tonnen Kerosin, das XLR-Modell hat zusätzlich im hinteren Unterflurbereich einen fest eingebauten Extratank, der 12.900 Liter oder ca. 10,6 Tonnen Sprit fasst. Wenn XLR-Kunden wirklich die volle Reichweite ausreizen wollen, haben sie die Möglichkeit, einen weiteren Extratank vor den Tragflächen wie einen Gepäckcontainer im Frachtraum zu installieren, der nochmal 3.120 Liter oder 3,2 Tonnen fasst. Etwa die Hälfte aller Kunden hat sich dafür entschieden. Durch fast 14 Tonnen Extra-Treibstoff kann das Flugzeug viel weiter fliegen, wird aber auch um bis zu acht Tonnen schwerer. Daher benötigt die A321XLR auch ein neues Fahrwerk und verfügt für verbesserte Manövrierfähigkeit in der Luft über eine neue Flügelklappe an den hinteren Tragflächenkanten.

15. Juni 2022: Mit dem Erstflug des Airbus A321XLR eröffnen sich neue Marktpotentiale:
Zukünftig können mit dem Narrowbody-Jet Distanzen von bis zu 8.700 km bewältigt werden.

Alleskönner für die Passagierluftfahrt

Nach drei Stunden und 45 Minuten mit langen Flugbahnen über Norddeutschland und der Nordsee auf Höhen zwischen 1.500 und 9.000 Metern dreht der Prototyp, eines von künftig drei Testflugzeugen, die in rund tausend Teststunden die Zulassung erreichen sollen, noch eine spektakuläre Steilkurve über dem Werksflugplatz. Danach setzt sie auf und rollt unter dem Wassersalut der Flughafenfeuerwehr vor das Auslieferungszentrum, wo gut hundert Gäste und Angestellte mit lautem Jubel die Besatzung begrüßen. Kapitän des Erstflugs war der Franzose Thierry Diez mit über 8.000 Stunden Flugerfahrung. „Dieses Flugzeug ist so universell wie ein Schweizer Messer, damit können wir mit der gleichen Piloten-Musterberechtigung Kurz-, Mittel- und Langstrecke fliegen“, freut sich Diez.

Starker Antrieb für den Airbus A321XLR

Mit einem maximalen Schub von 35.000 Pfund wird das PW1100G-JM bereits in der A320neo-Familie eingesetzt und zukünftig auch den neuen Langstreckenjet antreiben. Es ist Teil der höchst erfolgreichen Getriebefan-Triebwerksfamilie von Pratt & Whitney.

Die MTU Aero Engines verantwortet mit einem Programmanteil von 18 Prozent die schnelllaufende Niederdruckturbine und die ersten vier Stufen des Hochdruckverdichters sowie die Endmontage eines Drittels der Serien-PW1100G-JM für die A320neo an ihrem Standort in München. Die Instandhaltung des Antriebes wird bei der MTU Maintenance Hannover, der MTU Maintenance Zhuhai, bei EME Aero und bei der MTU in München durchgeführt.

Die GTF-Familie überzeugt vor allem durch Effizienz und Sparsamkeit: Gegenüber der Vorgängergeneration senkt die GTF-Triebwerksfamilie Treibstoffverbrauch und Kohlenstoffdioxid um je 16 Prozent und verringert den Lärmteppich um 75 Prozent.

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