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Mit dem Segelflugzeug auf Rekordjagd

Während das Fliegen in der Leewelle für Segelflieger die Kür ist, sind die atmosphärischen Schwingungen für Verkehrsflieger mitunter gefährlich.

07.2022 | Autor: Daniel Hautmann | 6 Min. Lesezeit

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Daniel Hautmann ist freier Journalist und war als Jugendlicher selbst Segelflieger. Inzwischen ist er als passionierter Surfer aber lieber auf dem Wasser als in der Luft. Dem Wind hat er gleich ein ganzes Buch gewidmet „Windkraft neu gedacht“.

Effizienz-Meister: Segelflugzeuge schaffen eine Gleitzahl von 1:70. Heißt: Mit einem Meter Höhe gleiten sie bis zu 70 Meter weit.

Stille. Himmlische Stille. Eben noch war die Luft turbulent, schüttelte das Flugzeug und hob die Passagiere aus den Sitzen. Die Tragflächen bogen sich und die Flügelspitzen zitterten im Wind. Es pfiff und dröhnte. Über den Wolken dann: Ruhe.

„Jetzt sind wir in der Welle“, sagt Pilot Klaus Ohlmann und liefert die Erklärung für die plötzliche Stille. In die zu kommen war mühsam. Denn eigentlich ist das Wetter an diesem Maitag in den südfranzösischen Alpen viel zu schlecht zum Segelfliegen. Gewitter sind angekündigt, die Wolken hängen tief, der Wind ist schwach. Rekordpilot Ohlmann spornt das eher an: „Das ist mein Training. Bei guten Bedingungen kann jeder fliegen.“

Und so demonstriert er die hohe Kunst des Fliegens: Nach einem zweiminütigen Motorstart segelt er im Hangaufwind des 1.000 Meter hohen Arambre in Südfrankreich, gleich neben dem Flugfeld. Knapp über den Bäumen und scharf an der Felskante steuert er den Flieger entlang. Leichtes steigen. Dann schraubt er sich in der Thermik in engen Kurven weiter hoch. Auf 2.400 Metern findet Ohlmann schließlich den Einstieg in die Leewelle.

Leewellen bilden sich, wenn Wind vom Gelände, etwa Bergen, abgelenkt wird. Dabei entstehen atmosphärische Schwingungen. Je stärker der Wind und je höher das Hindernis, desto höher steigen die Wellen auf – teils bis zu 100 Kilometer weit. Es sind laminare Strömungen, auf denen die Seglerinnen und Segler surfen.

Gefahr für Verkehrsflugzeuge

Für Verkehrsflieger können Leewellen gefährlich werden. Ihre Turbulenzen können Maschinen schädigen oder Passagiere verletzen. Die Wellen können brechen – genau wie Meereswellen am Strand. Karten oder Vorhersagen gibt es bislang kaum, doch das soll sich ändern. Die Segler in ihren Experimentalflugzeugen erkunden das Phänomen und sammeln Daten.

Wenn Ohlmann anderen Pilotinnen und Piloten erklärt, was es mit den unsichtbaren Strömungen auf sich hat, nimmt er sie mit zu einem Bach: „Das Wasser fließt nicht einfach runter, sondern bildet hinter Steinen Strudel und verwirbelt. Mitunter strömt es in die entgegengesetzte Richtung. Dasselbe passiert mit der Luft.“

Tanz auf der Welle: Bläst ein starker Wind über einen ausgedehnten Gebirgszug, dann können auf der zur Windrichtung abgewandten Seite (Leeseite) Luftwellen entstehen, ähnlich den Wasserwellen in einem Bach hinter einem Hindernis im Bachbett: Dort fließt das Wasser nicht einfach runter, sondern bildet hinter Steinen Strudel und verwirbelt. Das Gleiche passiert in der Luft. Je stärker der Wind und je höher das Hindernis, desto höher steigen die Wellen auf – teils bis zu 100 Kilometer weit. In den aufsteigenden Bereichen der Leewelle können Segelflieger so in riesige Höhen steigen. Scharf abgegrenzte, linsenförmige Wolken (Lenticularis) markieren die Wellen„berge“.

Wellen“berge“: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Wellen“berge“: Oft können Leewellen anhand besonderer Wolkenformationen, die bereits optisch eine wellenförmige Luftbewegung andeuten, erkannt werden.

Linsenform: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Linsenform: Die sogenannten Lenticularis (lateinisch: linsenförmig) sind Wolken, die häufig sehr langgestreckt sind und gewöhnlich klar definierte Begrenzungen haben.

Der kommerziellen Luftfahrt 20 Jahre voraus

Segler sind Effizienz-Meister. Sie schaffen eine Gleitzahl von 1:70. Heißt: Mit einem Meter Höhe gleiten sie bis zu 70 Meter weit. Das erreichen moderne Verkehrsflugzeuge nicht ansatzweise. Sie kommen mit einem Höhenmeter nur 20 Meter weit – und verbrauchen dann noch immer viel Sprit. Rund 2,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen gehen zu Lasten der Fliegerei. Mit Hochdruck arbeitet die Branche an tiefgreifenden Lösungen, die die Luftfahrt nachhaltig verbessern.

Und die schaut sie sich auch bei den Seglern ab. „Wir sind einerseits ein sehr technischer Sport. Andererseits setzen wir Naturressourcen sparsam ein und nutzen die Naturkräfte intelligent“, sagt Tilo Holighaus, Chef des Segelflugzeug-Herstellers Schempp Hirth in Kirchheim Teck. Genau genommen weisen die Segler den Verkehrsflugzeugen technisch und aerodynamisch den Kurs: „Wir sind der kommerziellen Luftfahrt oft 20 Jahre voraus.“

1957 stand das erste Kunststoffflugzeug am Start: Der Segler fs 24 Phönix. Vor 30 Jahren bereits ließ sich der Segelflug auf die nächste Faserrevolution ein: Carbon. Die extrem stabilen, gleichzeitig aber leichten Flugzeuge bieten sich zudem an, neue Antriebsarten zu testen. Elektro-, Hybrid- und Brennstoffzellenantriebe wurden zunächst in Seglern eingebaut.

„Alle segelfliegenden Berufspiloten haben ein deutlich besseres Bild von Wettervorgängen, da sie unmittelbar von den Bewegungen der Atmosphäre abhängen“, sagt Ohlmann. Flugkapitäne sind dadurch im Notfall routinierter. Das kann Leben retten, wie die spektakuläre Notlandung eines Airbus im Winter 2009 zeigte. Nach einem Triebwerksschaden landete der erfahrene Segler Chesley Sullenberger seinen Airbus A320 sicher auf dem New Yorker Hudson River – im Segelflug.

Stemme S10 VT: Durch einen Elektroantrieb und einen Range-Extender, einen kleinen Verbrennungsmotor, steigt die Reichweite auf bis zu 3.000 Kilometer.

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26 Meter Spannweite, 830 Kilo

Das Flugzeug, das Ohlmann in die Leewelle über Südfrankreich steuert, ist ein Nimbus 4DM, ein 830 Kilo leichter Hochleistungssegler mit 26 Meter Spannweite, Gleitzahl 1:60. „Eines der besten Segelflugzeuge der Welt. Mit diesem Typ habe ich zig Rekorde geflogen“, sagt er, während er die Kontur der Wolkenkante entlangsegelt – mit Tempo 135 und zwei Meter Steigung.

Segelflugzeuge eignen sich insbesondere für Experimental- und wissenschaftliche Messflüge: Ihr Betrieb ist günstig und sie halten enormen Kräften stand. Das zeigte der 2018 aufgestellte Höhenrekord der „Airbus Perlan Mission 2“, der bei 23.200 Meter lag. In der dünnen Luft müssen die Maschinen extrem schnell fliegen, um genügend Auftrieb zu erzeugen. Während sie in Bodennähe mit rund 200 Stundenkilometern unterwegs sind, sind es oben bis zu 450. Das birgt Gefahren: Strömungsabriss, Flattern. Hinzu kommen Eiseskälte und Sauerstoffmangel. Deshalb flogen die beiden Perlan-Piloten in einer Druckkabine. Auch bei diesem Höhenflug ging es um die Erforschung von Leewellen. Und darum, Daten für die Klimaforschung zu sammeln.

Klaus Ohlmann: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Klaus Ohlmann: Er hält 66 Weltrekorde, sieben WM-Titel und kann über 30.000 Flugstunden vorweisen.

Höher, weiter, schneller

Auch Ohlmann geht es nicht nur um Rekorde. Er ist ein Detektiv, ein Forscher auf der Suche nach den „Missing Links“. So nennt er Streckenabschnitte, die verschiedene Wellen miteinander verknüpfen. Darin ist er geschickter als jeder andere Segler. Wo das hinführen kann, zeigte er im Mai 2021. Da segelte er aus 6.000 Metern Höhe von Südfrankreich aus zunächst über das Meer bis nach Korsika. Dann weiter in die italienischen Apenninen, runter in den Süden des Stiefels. Von dort glitt er aus 7.500 Metern Höhe die 300 Kilometer hinüber nach Griechenland – wo ihn die nächste Welle empfing. Die trug ihn bis nach Thessaloniki. Nach 15 Stunden und rund 1.750 Kilometern landetet er. „Für so einen Flug muss das Wetter passen wie ein Maßanzug“, sagt er. Jahre bereitete er sich darauf vor, beobachtete das Wetter, studierte die Wellen. Und damit nicht genug. Sein Traum ist ein 2.000-Kilometer-Flug in Europa: Bei nächster Gelegenheit will er seinen Rekordflug von Thessaloniki bis nach Kreta verlängern.

Auf den Spuren Lindberghs

Seit mehreren Jahren hat er sich auch dem elektrischen Motorflug verschrieben. Um die oben genannten Missing Links besser handeln zu können – und um seinen Beitrag für eine nachhaltige Luftfahrt zu leisten. Gerade bekommt sein Segler Stemme S10 VT einen Elektroantrieb und einen Range-Extender, einen kleinen Verbrennungsmotor, der mit Sustainable Aviation Fuel betrieben wird und die Akkus im Flug lädt. Damit steigt die Reichweite bei gleichem Tankvolumen um mehr als das Doppelte des Originals. Immerhin bis zu 3.000 Kilometer. Damit will Ohlmann den Globus umrunden und hier und dort Höhenrekorde aufstellen. Etwa im Himalaja: „Alle acht Achttausender von Nepal an einem Tag.“ Später soll den Verbrenner dann eine Brennstoffzelle ersetzen – damit will er erneut um die Welt fliegen.

Und dann steht noch ein ganz besonderer Flug an: Auf den Spuren Charles Lindberghs. Der flog 1927 nonstop 5.808,5 Kilometer von New York nach Paris. Lindbergh hatte auf seinem 33,5 Stunden langen Flug mit der „Spirit of St. Louis“ 1.705 Liter Sprit im Tank. Klaus Ohlmann ist sicher, dass er das viel effizienter hinbekommt: mit nur 250 Litern.

Klaus Ohlmann

Klaus Ohlmann, 70, fliegt seit 50 Jahren. Gelernt hat der gebürtige Mittelfranke das in Braunschweig. Dort machte er eine Ausbildung zum Zahntechniker. Später studierte er in Göttingen. Mit 50 verkauft er seine Zahnarztpraxis, wird Profiflieger und zieht ins Fliegerparadies Südfrankreich.

Heute hält er 66 Weltrekorde, sieben WM-Titel und kann über 30.000 Flugstunden vorweisen. Er flog über den Anden, 12.500 Meter hoch und 3.000 Kilometer weit. Als erster Mensch segelte er über den Mount Everest und flog mit mehr als 1.000 Kilometern die längste Strecke in einem E-Flieger.

„Segelfliegen ist permanentes Risikomanagement“, sagt Ohlmann. „Du musst das Wetter beobachten, ständig neu einschätzen, dich selbst überprüfen und immer wieder anpassen – das macht es so spannend.“ Er beschreibt das als „Akkumulation von Erfahrung.“ Und sich selbst als „angewandten Meteorologen“. Sein Wissen gibt er auch weiter. Man kann mit ihm Fliegen, seine Vorträge besuchen, oder ihn als Key Note Speaker erleben.

Wann immer ein Forschungsinstitut wie das DLR oder ein Flugzeugbauer einen erfahrenen Piloten braucht, rufen sie ihn. Erst im April erflog er zwei neue Weltrekorde mit dem hybrid-elektrischen Forschungsflugzeug e-Genius der Universität Stuttgart.

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