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100 Jahre Pratt & Whitney – MTU wächst mit
Im Lauf ihrer immer engeren Kooperation haben die beiden Unternehmen gemeinsam faszinierende Entwicklungen in die Luft gebracht. Und die Reise geht weiter.
Autorin: Eleonore Fähling | 4 Min. Lesezeit veröffentlicht am: 14.08.2025
Autorin:
Eleonore Fähling
gehört seit 2014 zum Redaktionsteam des AEROREPORT und ist seit 1999 verantwortlich für die MTU-Mitarbeiterzeitung. Zu ihren luftfahrtjournalistischen Schwerpunkten gehören Luftfahrtgeschichte und Branchenthemen.

Die Schwarz-Weiß-Fotografien im Firmenarchiv der MTU Aero Engines wirken deutlich älter als 40 Jahre: Nichts darauf erinnert an die bunte Fröhlichkeit der 1980er, als sie aufgenommen wurden. Gesetzte Herren in gedeckten Anzügen und Krawatten, Sektgläser in den Händen, blicken dem Anlass entsprechend freundlich-seriös in die Kamera.
Der Ort: ein Besprechungszimmer bei der MTU in München. Der Tag: 16. September 1983. Der Anlass: die Unterzeichnung des Kooperationsvertrags eines neuen Triebwerkskonsortiums aus fünf Unternehmen und Nationen auf drei Kontinenten – International Aero Engines (IAE). Die Partner damals: Pratt & Whitney (P&W), Rolls-Royce, Japanese Aero Engines Corporation (JAEC), Fiat Avio und die MTU. Ihr gemeinsames Ziel war die Entwicklung eines Triebwerks mit 25.000 Pfund Schub – ausgelegt für Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge der sogenannten „Volumenklasse“. Denn schon damals waren Schmalrumpfflugzeuge mit 100 bis 200 Sitzen die meistgefragten Modelle weltweit.
Das neue Triebwerk erhielt den Namen „V2500“: Das „V“ steht für die fünf beteiligten Unternehmen, die Zahl 25 für die angestrebte Schubklasse.

Historischer Meilenstein bei MTU in München: Am 16. September 1983 unterzeichnen fünf internationale Partner – darunter MTU, Pratt & Whitney, Rolls-Royce, JAEC und Fiat Avio – den Kooperationsvertrags eines neuen Triebwerkskonsortiums zur Entwicklung eines Triebwerks für Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge.
Neue Player für den Single-Aisle-Markt
Boeing und McDonnell-Douglas – damals noch eigenständige Unternehmen, dominierten den Markt mit ihren Modellen 727, 737 und MD-80. Der wachsende europäische Wettbewerber Airbus schickte sich gerade erst an, ein eigenes Single-Aisle-Modell zu entwickeln. Offizieller Programmstart für die heutige A320-Familie war im März 1984. Etwa zur gleichen Zeit begann auch die Entwicklung des V2500-Triebwerks. Es basierte auf dem PW2000 von Pratt & Whitney, bei dessen Entwicklung sich die MTU bereits als verlässlicher Partner bewährt hatte. Daher war sie auch beim neuen Projekt wieder mit an Bord – als sogenannter Risk-and-Revenue-Sharing-Partner (RRS), der sowohl am Gewinn als auch am Risiko beteiligt ist. Anfangs hielt die MTU einen Anteil von 12,1 Prozent, der vor allem die Niederdruckturbine umfasste. Als Rolls-Royce im Jahr 2012 aus dem Programm ausstieg, erhöhte die MTU ihren Anteil auf 16 Prozent. Laut Michael Schreyögg, Vorstand Programme bei der MTU, „eine der größten Akquisitionen in der MTU-Geschichte“.
Im September 1988 debütierte die soeben erst zugelassene Airbus A320 mit V2500-Triebwerken auf der Farnborough Air Show. Beide Programme wuchsen zunächst nur langsam: Die Verkaufsprognosen lagen bei ein paar hundert Flugzeugen. Adria Airways, eine Charterfluggesellschaft aus Ljubljana in Slowenien, erhielt 1989 das erste Flugzeug. Im IAE-Jubiläumsjahr 2023 waren 7.850 Triebwerke ausgeliefert, davon 5.280 noch im Einsatz.

©IAE
Adria Airways, eine Charterfluggesellschaft aus Ljubljana in Slowenien, erhielt 1989 das erste Flugzeug.
Entwicklungsziel Spriteinsparung
Mit ihrer digitalen Fly-by-Wire-Steuerung und dem modernen Cockpit setzte sich die A320 deutlich vom rund 20 Jahre älteren Wettbewerber Boeing 737 ab – nicht zuletzt auch durch neue Triebwerke, die eine spürbare Kraftstoffeinsparung ermöglichten. Spätestens seit der Ölkrise der 1970er Jahre war klar: Die Entwicklung neuer Antriebe musste vor allem darauf abzielen, Treibstoffverbrauch zu reduzieren.
Noch während der Serienproduktion des V2500 begannen Pratt & Whitney, MTU und die damalige Fiat Avio mit ersten Voruntersuchungen für ein Getriebefan-Triebwerk. Die Idee: Ein Getriebe zwischen Fan und Niederdruckturbine sollte den Wirkungsgrad beider Komponenten verbessern – und damit den Kraftstoffverbrauch weiter senken.
Start frei für den Getriebefan
Bei dem Technologieprojekt Advanced Technology Fan Integrator (ATFI) auf Basis eines PW6000-Kerntriebwerks setzten P&W und MTU ihre Voruntersuchungen Anfang der 2000er Jahre fort. Sie schufen damit die Basis für das patentierte Getriebefan-Programm, das 2008 startete. Das Versprechen: 15 Prozent weniger Spritverbrauch.
Auch hier herrschte anfangs Skepsis im Markt. Ein erster Schritt kam aus Japan: Mitsubishi wählte das Getriebefan-Triebwerk als Exklusiv-Antrieb für seine geplante Neuentwicklung Mitsubishi Regional Jet (MRJ) aus. Bombardier zog mit der CSeries (inzwischen A220) nach, die russische Irkut MS-21 sollte mit Getriebefan-Antrieb fliegen, Embraer wählte GTF-Triebwerke exklusiv für die E2-Serie aus. Den eigentlichen Durchbruch brachte jedoch Airbus 2010 mit seiner A320neo, für die wahlweise das LEAP von CFM International oder das PW1100G-JM aus der GTF-Familie angeboten wird. „Vom V2500 haben wir ungefähr 8.000 Exemplare verkauft, beim Getriebefan werden es rund 15.000 sein“, erklärte Schreyögg erst kürzlich auf der Paris Air Show 2025.
Der Erstflug des GTF Advantage an einer A320neo fand im Oktober 2022 in Toulouse statt. © Airbus SAS 2022
Gemeinsam in die grüne Zukunft
Beflügelt von diesen Erfolgen bauen P&W und die MTU ihre Partnerschaft weiter aus – mit Kurs auf nachhaltiges Fliegen. Seit 2021 arbeiten sie an technischen Verbesserungen des Getriebefans, zum Beispiel mit einer leistungsstärkeren aktiven Spaltkontrolle in der schnelllaufenden Niederdruckturbine. Der Erstflug des GTF Advantage mit Hochdruckverdichter und Niederdruckturbine sowie Remote-Unterstützung von der MTU fand im März 2021 im Mirabel Aerospace Centre von Pratt & Whitney in Kanada statt; der Erstflug an einer A320neo im Oktober 2022 in Toulouse. Das optimierte Triebwerk bietet eine bessere Kraftstoffeffizienz und geringere CO2-Emissionen. Im Februar 2025 hat die FAA ihm die Musterzulassung erteilt. Die erste Auslieferung ist laut P&W für Ende 2025 geplant.
Das soll noch lange nicht das letzte Kapitel der gemeinsamen Geschichte sein. „Der IAE-Kollaborationsvertrag wurde schon vor Jahren bis 2045 verlängert und die Getriebefans sind jetzt erst richtig im Hochlauf“, sagt Dr. Christian Winkler, GTF-Programmleiter bei der MTU. „Wir sind da durchaus für höhere Programmanteile offen.“ Auch bei künftigen Antriebstechnologien, etwa mit synthetischen Kraftstoffen, elektrischer oder Wasserstoff-Unterstützung, wollen MTU und P&W zusammenarbeiten.
Partnerschaft bei Widebody-Antrieben
Das PW4000 gehört zu den größten und schubstärksten Triebwerken der Welt. Pratt & Whitney entwickelte es Anfang der 1990er Jahre für die „Triple Seven“-Modelle von Boeing, die 777-200, 777-200ER und 777-300 – und holte für die Niederdruckturbine erneut den bewährten Partner MTU mit ins Boot. 1995 nahm das weltweit erste Triebwerk, das von Anfang an eine 180-Minuten-ETOPS-Zulassung hatte, den Liniendienst auf.
Ein Jahr später, 1996, gründete Pratt & Whitney gemeinsam mit dem Widebody-Spezialisten GE Aviation das Joint Venture „Engine Alliance“, um ein neues Großtriebwerk zu entwickeln. Dieses war ursprünglich für die geplanten Boeing-747-Versionen -500 und -600 vorgesehen. Doch Boeing stellte diese Pläne ein – zeitgleich mit dem Entwicklungsstart des Airbus-Großraumflugzeugs A3XX. Für dessen spätere Serienversion, die A380, wurde schließlich das GP7000-Triebwerk entwickelt. Die MTU war bereits damals mit beiden Herstellern in bewährten Partnerschaften verbunden und erhielt beim GP7000 einen Programmanteil von 22,5 Prozent.