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MTU und Bundeswehr feiern 20 Jahre EJ200-Kooperation
Bei der erfolgreichen Instandhaltungskooperation zwischen der MTU und Luftwaffe sind Soldaten wie MTU-Mitarbeiter in die Abläufe des Modells integriert.
05.2022 | Autor: Thorsten Rienth | 5 Min. Lesezeit
Autor:
Thorsten Rienth
schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT. Seine technikjournalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und Raumfahrtbranche im Bahnverkehr und dem Transportwesen.
Die beiden sind Kollegen, soviel ist klar: Der erste steuert die Hebevorrichtung. Der zweite steht mit den Augen auf Höhe der Lücke, die sich gleich zwischen Hoch- und Niederdruckverdichter schließen soll. Ein paar Zeichen mit den Fingern genügen, dann liegen die Befestigungspunkte der beiden zuvor getrennt voneinander instandgesetzten Module übereinander. Dennoch unterscheidet die beiden Teile des eingespielten Tandems in einer Halle des MTU Aero Engines-Betriebsteils auf dem Erdinger Fliegerhorst grundsätzliches: Der eine steht in Bundeswehrmontur am Triebwerk. Der andere im MTU-Overall.
20 Jahre erfolgreiche Kooperation
„Bis vor 20 Jahren war eine solche Zusammenarbeit kaum vorstellbar“, sagt Oberstleutnant Stephan Schmidt. „Militär und Industrie, das waren Auftraggeber und Auftragnehmer. Der eine zahlte, der andere lieferte.“ Dann, im Jahr 2002, wurde die Trennung erstmals aufgehoben – zumindest was von da an die Instandhaltung des Eurofighter-Triebwerks EJ200 angeht. Mit ihm starteten Bundeswehr und die MTU eine völlig neue Art der Kooperation, bei der Soldaten der Bundeswehr wie MTU-Mitarbeiter in die Abläufe des Unternehmens integriert werden. Oberstleutnant Schmidt ist heute der militärische Leiter des europaweit einmaligen Modells.
Schmidts – wenn man so will: ziviler – Counterpart heißt Mario Külgen. Er ist für das Vertragswerk zwischen Triebwerkshersteller und Bundeswehr zuständig und kümmert sich um die systemische Integration der Soldaten in die MTU. „Während die Gesamtverantwortung für das Instandhaltungspaket bei der MTU liegt, sind die Soldatinnen und Soldaten – in erster Linie technische Offiziere und Triebwerksmechaniker – disziplinarisch weiter der Luftwaffe zugeordnet“, beschreibt Mario Külgen das Konstrukt.
Vervollständigt wird das Triumvirat durch Michael Hergeth. Er leitet den MTU-Betriebsteil Erding und ist verantwortlich für die Umsetzung der Instandhaltungsarbeiten. „Neben der eigentlichen Triebwerksinstandhaltung gehören Ersatzteilmanagement und -prognose, Schadensuntersuchungen, Produktbeobachtung und Qualitätssicherung zum Arbeitspaket“, erklärt er, „diese werden aber am MTU-Standort in München wahrgenommen, wo ebenfalls Soldatinnen und Soldaten der Kooperation in die entsprechenden Teams integriert sind.“ Neben dem Wechsel der Triebwerke am Flugzeug sind nur kleinere Checks und der Tausch von Anbaugeräten Aufgabe der Soldatinnen und Soldaten am jeweiligen Einsatzstandort der Luftwaffe.
Triebwerksspezialist: In aller Regel war die MTU bereits bei der Entwicklung der militärischen Triebwerke für die Luftwaffe mit an Bord - so wie hier beim EJ200 für den Eurofighter.
Bei der Suche nach einem Industriepartner ist die MTU für die Bundeswehr die erste Wahl
Die Grundzüge der Kooperation initiierten Ende der 1990er Jahre das Bundesministerium der Verteidigung, die Luftwaffe, das damalige Beschaffungsamt der Bundeswehr (BWB) und der Bundesverband der Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Nicht mehr nur der Anschaffungspreis des Jagdfliegers sollten von nun an relevant sein. Auch die Betriebskosten standen jetzt auf dem Prüfstand. Ein großes Stück vom Kostenkuchen entfällt dabei auf die Triebwerksinstandhaltung.
Bis dahin hatte die Bundeswehr einen Teil ihrer Triebwerke stets in Eigenregie instandgehalten. Der andere ging an die Industrie. Für ein und dieselbe Arbeit wurde also die doppelte Infrastruktur vorgehalten – einmal in den Shops der MTU, ein andermal an den Luftwaffenstandorten. Wäre es da nicht besser, sich an einem Ort zusammenzuschließen? Kompetenzen zu bündeln, anstatt das jeder sein eigenes Süppchen kocht?
„Natürlich“, antwortet Oberstleutnant Schmidt. Wichtig dabei aus Perspektive der Bundeswehr: „Wir geben zwar die Instandhaltungsleistungen, aber nicht alle Kompetenzen ab. Wir sind weiterhin in die Triebwerksmuster involviert und bleiben ein intelligenter Kunde.“ Das sei wichtig, um in allen Lagen und in fernen Einsatzgebieten über eigenständige Expertise zu verfügen und jederzeit handlungsfähig zu sein.
Bei der Suche nach einem Industriepartner ist die MTU für die Bundeswehr die erste Wahl. Mit Beginn des Lizenzbau des Triebwerks J79 für den Starfighter ab 1959 beginnt die Zusammenarbeit der Streitkräfte mit dem Unternehmen. Es folgen der „Tornado“-Antrieb RB199. Und das Tyne-Triebwerk für die Transall genauso wie ihr Nachfolger, der Airbus A400M mit seinen vier TP400-D6-Triebwerken. Noch etwas spielt in die Überlegungen hinein: In aller Regel war die MTU bereits bei der Entwicklung der Triebwerke mit an Bord. „Und wer, wenn nicht jemand von den Herstellern selbst, wäre besser geeignet für die Instandhaltung der Triebwerke?“, fragt MTU-Betriebsteil-Leiter Hergeth.
Vom Zweckbündnis zur exzellenten Partnerschaft
Hergeth, Schmidt und Külgen sind sich einig: Die Kooperation sichert für die Bundeswehr Planbarkeit und wirtschaftlichen Materialerhalt und für die MTU die enge Systempartnerschaft sowie eine stabile Vertragsbasis.
Das gilt nicht nur für die EJ200-Antriebe, sondern mittlerweile auch für das RB199 und für das MTR390 des Tiger-Hubschraubers. Sie wurden in den Folgejahren in die Kooperation aufgenommen. Bis zu neun EJ200 durchlaufen die Instandhaltungskooperation im Monat, bis zu fünf Triebwerke sind es beim RB199, bis zu drei beim MTR390.
Am Anfang war die Kooperation in erster Linie als Zweckbündnis betrachtet worden, das ist kein Geheimnis. „Aber längst sind wir richtige Partner geworden – nicht nur im Handeln, auch in der Denkweise“, erzählt Hergeth. „Unsere Ziele sind ja absolut deckungsgleich: Die Triebwerke in der bestmöglichen Qualität zu möglichst geringen Kosten so schnell wie möglich wieder an die Flügel – oder beim Tiger: unter die Rotoren – zu bekommen.“ Als messbar erfolgreich darf sich die Kooperation obendrein bezeichnen: „In den ersten 10 Jahren der Kooperation haben wir etwa die On-Wing-Time des RB199 verdoppelt“, berichtet Hergeth. „Ihre Zuverlässigkeit stieg im gleichen Zeitraum um 20 Prozent. Diese Werte sind bis heute weitgehend stabil geblieben.“
„Wir kommen immer zu einer gemeinsamen Lösung.“
Vieles, das wird beim Gang mit Schmidt und Hergeth durch die Hallen der Kooperation auf dem Erdinger Fliegerhorst schnell klar, liegt an der Chemie, die in der Zusammenarbeit herrscht. „Die Bundeswehr kenne ich noch aus dem Grundwehrdienst. Ich mag den gegenseitigen Respekt und die pragmatische Mentalität, mit der sich die Leute dort gegenüberstehen,“ sagt Hergeth. Schmidt wiederum schätzt an Hergeth, dass dieser die Arbeitsweise bei der Bundeswehr schätzt. Dass er versteht, dass der militärische Betrieb manchmal anderen Regeln folgen muss als der industrielle. Ihre beiden Büros liegen in Rufweite zueinander. Befehlston? Fehlanzeige.
Und auch für Mario Külgen ist die enge Bindung zwischen der MTU und Bundeswehr ein wesentlicher Aspekt der erfolgreichen Zusammenarbeit: „Seit 25 Jahren bin ich mit einem Fuß in der Truppe. Als Reserveoffizier. Wir wissen hier einfach gut, woran wir miteinander sind.“
Die beiden Module, an denen der Bundeswehrsoldat und der MTU-Triebwerksmechaniker arbeiteten, sind mittlerweile verbunden. Schließlich stoßen noch die anderen Triebwerksmodule dazu: Fan, Brennkammer, Turbine, Nachbrenner – sukzessive wird das Triebwerk wieder „aufgebaut“. Zurück an die Eurofighter kommen die Triebwerke dann aber doch noch über einen kleinen Umweg. Am EJ200-Teststand bei der MTU in München stehen noch die Abnahmeläufe der frisch instandgesetzten Triebwerke an.