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50 Jahre Tornado – Mit dem RB199-Triebwerk zum Erfolg

09.2024 | Autor: Patrick Hoeveler | 7 Min. Lesezeit

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Patrick Hoeveler ist freiberuflicher Luftfahrtjournalist und unter anderem für die FLUG REVUE tätig.

Drei Nationen schufen einen Jagdbomber, der die europäische Militärluftfahrt fünf Jahrzehnte maßgeblich prägte. Noch heute leistet der Tornado mit seinem RB199 wertvolle Dienste.

In nur knapp 30 Meter Höhe schießen die Tornados der Luftwaffe über das Gelände. Von der eindrucksvollen Weite Alaskas kommen im Cockpit bei einer Geschwindigkeit von mehr als 800 Stundenkilometern nur verschwommene Konturen an. Mit äußerster Präzision nähern sich die Jagdbomber während des Manövers „Pacific Skies 2024“ ihrem Ziel – kaum zu glauben, dass das erste Flugzeug dieses Typs fast genau 50 Jahre zuvor zu seinem Jungfernflug gestartet war: Am 14. August 1974 hoben die Testpiloten Paul Millett und Nils Meister im bayrischen Manching mit dem Prototyp eines Kampflugzeugs ab, das in Europa eine neue Ära einleitete: dem Multi Role Combat Aircraft (MRCA). Wie die Bezeichnung schon andeutet, sollte das später auf den Namen Panavia Tornado getaufte Muster ein breites Aufgabenspektrum abdecken. Dazu taten sich mit Deutschland, Großbritannien und Italien erstmals drei Nationen in einem Konsortium zusammen.

Max. Startgewicht: max. 28,5 Tonnen
Länge: 17,23 Meter
Schubkraft mit Nachbrenner: bis zu 69.000 Newton

Kampf und Aufklärung – auch im Tiefflug

Der PA-200 Tornado ist ein trinational entwickeltes, allwetterfähiges, zweisitziges Kampfflugzeug, das ab 1980 von Deutschland, Großbritannien und Italien in die Streitkräfte eingeführt wurde. Die Auslieferung der ersten PA-200 Tornados an die Bundeswehr begann im Jahr 1981 und wurde 1992 mit der Übergabe des letzten PA-200 Tornado abgeschlossen. Ausgeliefert wurden insgesamt 357 Mehrzweckkampfflugzeuge an die Luftwaffe, aber auch an die Marine.

Anspruchsvolle Anforderungen

Die Herausforderungen damals waren erheblich, schließlich sollte das Produkt des neugeschaffenen Panavia-Verbunds bei Abfangmissionen im Überschallbereich mit bis zu Mach 2,2 unterwegs sein. In der Bodenkampf-Rolle stand jedoch das Zurücklegen von weiten Strecken und eine extreme Tiefflugfähigkeit bei geringem Kraftstoffverbrauch auf der Anforderungsliste. Zudem musste der Entwurf kurze Start- und Landestrecken aufweisen. Keine leichte Aufgabe zu einer Zeit, als noch Rechenschieber und Zeichentische statt Computer an der Tagesordnung waren. Beim Flugzeugentwurf entschieden sich die Konstrukteure unter anderem für das spätere Markenzeichen des Jets – wegen seiner schwenkbaren Flügel auch „Klapp-Drachen“ genannt.

Auch beim Triebwerk mussten Innovationen her, um den Spagat zwischen hohem Schub und niedrigem Verbrauch zu schaffen. Im September 1969 fanden sich mit Fiat Avio, der MTU Aero Engines und Rolls-Royce drei Partner im Turbo-Union-Konsortium zusammen. Damit waren der Tornado im Flugzeugbau und das RB199 auf dem Antriebssektor die ersten großen Konsortialprojekte in der militärischen Luftfahrt in Europa. „Das Vorhaben hat so den Weg bereitet für alle Projekte, die danach gefolgt sind. Egal ob Tiger-Hubschrauber, Eurofighter oder A400M, alles basiert auf den beim Tornado gemachten Erfahrungen“, weiß Markus Becker, der heutige Managing Director der Turbo-Union. „Die europäische Luftfahrt hat immens profitiert, weil viel Entwicklungsarbeit erfolgte, aber auch weil sich Firmen in ihrer Zusammenarbeit fanden.“

Mit drei Wellen zum Erfolg

Schon im September 1971 lief das erste RB199 auf dem Prüfstand. Das Rekordtempo lässt sich damit erklären, dass Rolls-Royce bereits einige Vorarbeiten geleistet hatte. Um die sehr variablen Schubanforderungen zu gewährleisten, wählten die Ingenieure die damals noch ungewöhnliche Auslegung mit drei Wellen. Einige Vorgänger-Antriebe, wie das von der MTU in Lizenz gefertigte J79 der F-4 Phantom, verfügten sogar nur über eine Welle.

Das dreiwellige Konzept hat den Vorteil, dass sich jede Komponente im Hoch-, Mittel- und Niederdrucksegment in ihrem optimalen Geschwindigkeitsbereich (U/min) betreiben lässt. „Daher benötigen die jeweiligen Verdichter nicht so viele Stufen und das ganze Triebwerk wird kleiner und leichter“, erklärt Rasmus Merkler, Chef-Ingenieur RB199 bei der MTU. Zudem handelt es sich beim RB199 um einen Turbofan, der zur Verbrauchsreduzierung bereits ein Nebenstromverhältnis von über 1 besaß – damals eine absolute Innovation.

Entwicklung und Fertigung: Die MTU trug zu diesem erfolgreichen Triebwerk bei, indem sie erstmals eigenverantwortlich entwickelte und gebaute Komponenten lieferte - wie den Mitteldruckverdichter, Hochdruckverdichter oder die Mitteldruckturbine.

Eine weitere Anforderung lag in der einfachen und kostengünstigen Instandsetzung. Dafür erdachten die Planer ein modulares Konzept: Das Triebwerk bestand aus 16 leicht austauschbaren Modulen. Im Rahmen ihres Programmanteils von 40 Prozent erhielt die MTU die Verantwortung für den Mittel- und den Hochdruckverdichter sowie die Mitteldruckturbine, das Getriebe, das Öl-System und den Schubumkehrer. Bis zu diesem Zeitpunkt produzierte die damals junge MTU – sie war erst 1969 aus dem Zusammenschluss der Triebwerkssparten von Daimler-Benz und MAN entstanden – nur in Lizenz. „Mit dem RB199 haben wir den Einstieg in die Entwicklung militärischer Triebwerke geschafft“, resumiert MTU-Programmleiter Martin Majewski. „Hier haben wir quasi das Konstruieren gelernt. Wenn wir nur weiter in Lizenz gefertigt hätten, wären wir nicht da, wo wir heute sind.“ Beim RB199 entwickelte das Unternehmen neue Verfahren und Technologien, die später ihren Weg in andere Militärprogramme oder die zivile Welt fanden. So konnten die Techniker:innen etwa die für den Tornado-Antrieb erfundene Bürstendichtung als Erfahrungsschatz in weitere Programme einbringen. Aktuell prominentestes Beispiel ist der Getriebefan von Pratt & Whitney und der MTU.

RB199: Antrieb für den Tornado

Das RB199 wurde ab 1969 in Zusammenarbeit mit Rolls-Royce und Avio Aero für den Einsatz im Mehrzweck-Kampfflugzeug Panavia Tornado entwickelt und produziert. Die 2.504 gelieferten RB199-Triebwerke haben mittlerweile über 7,18 Millionen Flugstunden (Stand: Dez. 2023) absolviert. Das RB199 ist das einzige militärische Triebwerk der Welt mit integriertem Schubumkehrer.
Nachbrennerschub (Bodenstand): 16.000 – 17.000 lbf
Max. Schub ohne Nachbrenner: 9.217 lbf
Druckverhältnis: 23:1
Nebenstrom­verhältnis: 1:1,3
Länge: 3,2 m
Gewicht (mit Schubumkehrer): 1.082 kg

Aller Anfang ist schwer

Die Neuerungen und das hohe Entwicklungstempo forderten aber auch ihren Tribut: Bis zur Einsatzreife mussten die Techniker:innen einige Kinderkrankheiten überwinden. So bedingten die drei ineinander drehenden Wellen eine komplexe Lagerstruktur mit vielen Dichtungen und verursachten spätere Änderungen am Ölsystem. Auch der Mitteldruckverdichter machte anfangs Schwierigkeiten bei der aerodynamischen Stabilität. Die entsprechenden Modifikationen trugen aufgrund der nötigen Leistungsrechnungen und Auslegefähigkeiten erheblich zum heutigen Knowhow bei.

Nach der problematischen Startphase hat sich das RB199 laut Bernd Kramer, Leiter Customer Support bei der MTU, zu einem sehr zuverlässigen Triebwerk entwickelt. „Die Technologien des RB199 haben dem Flugzeug damals ein Leistungsvermögen gegeben, das andere Muster nicht hatten.“ Auch beim automatischen Tiefflug musste das Triebwerk mitspielen und kurzzeitige Höchstbelastungen vertragen. „Heute ist das nichts Besonderes mehr, aber damals hat das RB199 alle Anforderungen in vorbildlicher Weise dargestellt.“ Im Lauf der Zeit steigerten die MTU-Spezialist:innen zudem die Leistungsfähigkeit des Hochdruckverdichters um insgesamt zwölf Prozent und ersetzten Mitte der 1980er-Jahre die mechanische Triebwerkssteuerung durch eine digitale Regelung – beides Bereiche, die heute zu den Kernkompetenzen der MTU gehören.

Hand in Hand: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Hand in Hand: Bei der sehr erfolgreichen Instandhaltungskooperation arbeiten Soldaten der Bundeswehr und MTU-Mitarbeiter eng miteinander zusammen.

Instandhaltung: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Instandhaltung: Die MTU übernimmt im Rahmen der Kooperation mit der Bundeswehr die Instandhaltung der Tornado-Triebwerke.

Säule in der Instandsetzung

Mit insgesamt mehr als 2.500 gebauten Exemplaren erwies sich das RB199 auch wirtschaftlich über viele Jahre hinweg als tragende Säule. Und das nicht nur in der Produktion, sondern vor allem auch in der Instandsetzung. Für die deutsche Luftwaffe ist die MTU nach wie vor der Hauptansprechpartner. Jeder der drei Partner hat die Triebwerke für die jeweilige Nation endmontiert – die MTU also rund 700 Exemplare in Deutschland – und betreut deren Aggregate komplett. „Das Muster bot in unserer militärischen Instandsetzung das bisher mit Abstand größte Volumen, sowohl bei den Stückzahlen als auch bei der Auslastung“, erläutert Stefan Burger, Programmsteuerung Instandsetzung RB199 / EJ200. So hat die MTU für die Bundeswehr bisher 1.660 Instandsetzungen von Tornado-Antrieben durchgeführt. Mittlerweile erfolgen die Arbeiten wie auch bei den anderen Programmen im Rahmen der „Instandsetzungskooperation Triebwerk“ gemeinsam mit der Bundeswehr.

Von Beginn an legte die MTU besonderen Wert auf die Entwicklung von Reparaturverfahren: „Beim RB199 entstand der größte Umfang der Teilereparaturfähigkeit. Innerhalb der Turbo-Union haben wir uns diesbezüglich einen Namen gemacht. Das hat sich beim EJ200 des Eurofighters fortgesetzt“, meint Burger. Dazu zählt etwa das Laserpulver-Auftragsschweißen an Schaufelspitzen oder die Durchführung von Maßkorrekturen mit Hilfe von Spritzschichten.

„Diese Verfahren haben wir erst beim RB199 industrialisiert, viele hier entwickelte Reparaturen erwiesen sich später auch im zivilen Bereich als sehr wertvoll.“

Gerhard Hackl

Instandsetzungsplaner beim RB199

Flugbetrieb bis 2030

In der Hochzeit durchliefen rund 60 Triebwerke pro Jahr den Instandhaltungs-Shop. Nun sind es deutlich weniger, denn die Karriere des europäischen Jagdbombers neigt sich langsam dem Ende zu: Die Royal Air Force hat sich schon im Jahr 2019 von dem Muster verabschiedet – damit gibt es aktuell noch drei Betreiber. Als nächstes will Italien den Jet 2027 für immer abstellen, während Deutschland und Saudi-Arabien damit noch voraussichtlich bis 2030 fliegen. Bis dato hat die Gesamtflotte des RB199 rund 7,2 Millionen Flugstunden absolviert.

Aktuell auf Hochtouren läuft die Planung für die Ersatzteilbeschaffung, die aufgrund der immer kleiner werdenden Stückzahlen zunehmend schwieriger wird. So finden teilweise bereits jetzt schon so genannte Endbevorratungen statt, bei denen aufgrund des geschätzten Bedarfs eine letzte Großbestellung erfolgt. Darüber hinaus verfügt die Bundeswehr über einen großen Bestand von Komponenten, die MTU-Spezialist:innen aus nicht mehr benötigten Triebwerken im Rahmen der Hochwertteilegewinnung ausgebaut, befundet und instandgesetzt haben.

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EJ200 übernimmt

Parallel zum Abschmelzen des Volumens beim RB199 wächst beim Münchner Triebwerkshersteller das Aufkommen des Eurofighter-Triebwerks EJ200. Schließlich weicht der Tornado bei der Luftwaffe der F-35 Lightning II aus den USA – und weiteren Eurofightern. Derzeit laufen noch einige Exportkampagnen des europäischen Produkts. Deutschland, Italien und Spanien haben weitere Tranchen bestellt beziehungsweise planen weitere Beschaffungen, wie Programmleiter Majewski ausführt: „Auch wenn das EJ200 bei den Stückzahlen noch nicht in die Regionen des RB199 vorstößt, erlebt es zurzeit einen deutlichen Aufschwung.“ Noch hat der Eurofighter drei Jahrzehnte Zeit zum Aufholen – oder vielleicht noch mehr.

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