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Neue Business Jets für Langstrecken stimulieren den Markt
Gulfstream G500 und G600 heißen die wichtigen Neuerscheinungen im Segment großer Businessjets. Dieses wächst am stärksten und erzielt die höchste Wertschöpfung.
06.2019 | Autor: Andreas Spaeth | 6 Min. Lesezeit
Autor:
Andreas Spaeth
ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.
Es gibt endlich neue Impulse auf dem Markt für Businessjets, von der Branche sehnlich erwartet. Noch 2008, bei Beginn der weltweiten Finanzkrise, lag die Anzahl der jährlich ausgelieferten Businessjets bei etwa 1.300. Das waren nicht einmal damals große Stückzahlen, der Markt für Geschäftsreiseflugzeuge ist kein Massenmarkt. Nach der Rezession hat sich die Anzahl jährlicher Auslieferungen etwa bei der Hälfte eingependelt und verharrt dort seit längerem unverändert. Nach fast einem Jahrzehnt stagnierender Produktion ist jede Stimulation willkommen.
Derzeit sind Analysten optimistisch und trauen der Branche für 2019 eine Wende zum Positiven zu. Denn neue Flugzeugtypen regen das Interesse und die Kauflust einer überaus anspruchsvollen Klientel an, in einem Segment, wo es Flugzeuge ab etwa 30 Millionen US-Dollar pro Stück gibt, aber üblicherweise zwischen 40 und 75 Millionen US-Dollar für einen fabrikneuen Langstrecken-Privatjet verlangt werden. Gleich vier Neuerscheinungen, so hoffen Analysten, könnten die Umsätze für 2019 um mehr als zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr steigen lassen.
Aufstrebender Markt: Die MTU möchte ihren Umsatz im Segment der Geschäftsreiseflugzeuge in den nächsten zehn Jahren verdreifachen.
Aufstrebender Markt: Die MTU möchte ihren Umsatz im Segment der Geschäftsreiseflugzeuge in den nächsten zehn Jahren verdreifachen.
PW500: An diesem zivilen Triebwerk für mittelgroße Geschäftsreiseflugzeuge ist die MTU seit 1993 mit einem Programmanteil von 25 Prozent beteiligt.
PW500: An diesem zivilen Triebwerk für mittelgroße Geschäftsreiseflugzeuge ist die MTU seit 1993 mit einem Programmanteil von 25 Prozent beteiligt.
PW800: Das PW800 gehört zur PurePower®-Familie von Pratt & Whitney. An dem Programm hält die MTU Aero Engines insgesamt 15 Prozent.
PW800: Das PW800 gehört zur PurePower®-Familie von Pratt & Whitney. An dem Programm hält die MTU Aero Engines insgesamt 15 Prozent.
Langjährige Erfahrung: Die MTU Aero Engines hat bereits rund 7.000 Module für die Businessjet-Antriebe PW300 und PW500 von Pratt & Whitney Canada geliefert.
Langjährige Erfahrung: Die MTU Aero Engines hat bereits rund 7.000 Module für die Businessjet-Antriebe PW300 und PW500 von Pratt & Whitney Canada geliefert.
Mehr Reichweite, mehr Luxus und mehr Platz
„Es gibt ein signifikantes, unstillbares Verlangen nach mehr Reichweite, mehr Luxus und mehr Platz an Bord unter Businessjet-Käufern“, sagt David Tyerman von Cormark Securities in Toronto. „Wir haben das bereits bei der Gulfstream G650 gesehen, und die Bombardier Global 7000 geht sogar noch ein Stück weiter. Jedes Mal, wenn ein Hersteller ein neues, noch leistungsfähigeres Produkt herausbringt, scheint da ein Markt zu sein, von dem wir gar nicht wussten, dass er existiert.“ Die Reichweite der Global 7000 wurde jetzt auf 14.200 Kilometer oder 7.700 nautische Meilen gesteigert, damit können bis zu 19 eilige Passagiere in größtem Komfort nonstop von New York nach Hongkong oder von Singapur nach München fliegen.
Den Markt für Businessjets auf Langstrecken beherrschen drei Wettbewerber: Bombardier aus Kanada, Gulfstream aus den USA und Dassault aus Frankreich. Bei der größten Reichweite lag bisher die Gulfstream G650ER mit etwas über 13.000 Kilometern Einsatzradius vorn. Jetzt wurde sie an der Spitze abgelöst von der wiederum ausdauernderen Bombardier Global 8000, die über 14.600 Kilometer Distanz ohne Stopp bewältigen kann. Doch wirkliche Inspiration für den Markt liefern zwei neue Varianten von Gulfstream, die G500 und die G600.
Schub für den Markt durch effizientere Triebwerke
Schon äußerlich heben sich Gulfstream-Flugzeuge selbst für Laien erkennbar von Modellen anderer Hersteller durch ihre markanten ovalen Fenster ab. Die entscheidenden Unterschiede jedoch erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Größere Tanks und effizientere Triebwerke sind zwei wichtige Stellschrauben, um Businessjets in ihrer Ausdauer zu verbessern. Die kleinere G500 und ihre längere und mit 12.000 Kilometern noch weiter fliegende Schwester G600 verfügen beide über die neuen PW800-Triebwerke von Pratt & Whitney Canada, an diesem Programm hält die MTU Aero Engines 15 Prozent. Der Münchner Triebwerkshersteller ist für verschiedene Stufen des Hochdruckverdichters sowie für die Niederdruckturbine zuständig.
Die MTU hat bereits langjährige Erfahrung mit Antrieben für Businessjets. „Unser Fokus liegt dabei auf mittelgroßen und großen Varianten“, erklärt Wolfgang Mattig, Leiter für die gemeinsam mit Pratt & Whitney Canada betriebenen Programme bei der MTU in München. An den etwas kleineren Triebwerken PW300 und PW500 ist die MTU mit Programmanteilen zwischen 15 und 25 Prozent beteiligt, „die Flotte mit diesen Triebwerkstypen wächst stark, wir haben bislang bereits rund 7.000 Module an unseren Partner in Kanada geliefert“, berichtet Mattig. So werden die beliebte französische Dassault Falcon 7X und ihr Nachfolgemodell 8X von PW307A - beziehungsweise PW307D-Triebwerken mit MTU-Beteiligung angetrieben.
Ein weiterer Antrieb für große Geschäftsreiseflugzeuge erweitert nun das MTU Portfolio: „Mit unserem Anteil am PW800, ebenfalls von Pratt & Whitney Canada, wollen wir an den Chancen in diesem Segment partizipieren“, so Mattig. Diese Triebwerke haben das gleiche Kerntriebwerk wie jene, die die Passagierjets A320neo, A220, Embraer E2 und Mitsubishi MRJ antreiben. Das PW800 hat künftig noch einen richtigen Businessjet-Abnehmer: Die Dassault Falcon 6X, deren Erstflug für 2021 geplant ist und die zur Grundlage einer neuen Flugzeugfamilie werden soll.
Mach 0,98 und 1,98 Meter Deckenhöhe
Wolfgang Mattig schwärmt von den Neuerscheinungen, an denen als exklusiver Antrieb das PW800 hängt: „Die G500/G600 sind komplett neu entwickelte Flugzeuge und mit Mach 0,9 die schnellsten Jets ihrer Klasse, während die Falcon 6X über die breiteste Kabine und mit 1,98 Meter auch die größte Deckenhöhe verfügen wird.“ Auch das wird sicher bei diesem besonderen Kundenkreis für Aufmerksamkeit sorgen, der zu fast 65 Prozent in Nordamerika beheimatet ist, gefolgt von Europa mit 13 Prozent und Südamerika (12 Prozent).
Bei der MTU blickt man optimistisch auf das Potenzial: „Wir sehen den Markt für große Businessjets sehr positiv“, sagt Wolfgang Mattig, „und erwarten eine Verdreifachung unseres Umsatzes im Segment der Geschäftsreiseflugzeuge in den nächsten zehn Jahren.“ Eine erwartete Belebung dieses Marktes, den die Prognose von Aviation Week stützt: Demnach steigen die weltweiten jährlichen Flugzeug-Auslieferungen in diesem Segment von 792 in 2019 auf 917 in 2028. Interessant daran ist, dass in diesem Zeitraum laut Vorhersage Ultralangstrecken-Businessjets wie die G500/600 oder die Dassault Falcons im Wert von fast 105 Milliarden US-Dollar verkauft werden sollen, mit weitem Abstand gefolgt von großen Businessjets im Wert von 30 Milliarden US-Dollar.