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Data Scientist für die Luftfahrt von Morgen
Er wertet aus, entschlüsselt, verknüpft. Datenwissenschaftler Dr. Oliver Arnold managt die Schnittstelle zwischen Informationstechnologie und Fertigungstechnologie.
06.2019 | Autor: Thorsten Rienth | 3 Min. Lesezeit
Autor:
Thorsten Rienth
schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT. Seine technikjournalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und Raumfahrtbranche im Bahnverkehr und dem Transportwesen.
Nichts geht im Triebwerksgeschäft über Bauteilqualität. Bei einer Blisk zum Beispiel, einem integral aus Scheibe und Schaufeln gefertigten Hochtechnologie-Bauteil, kann schon das Hundertstel eines Millimeters entscheidend sein. Im schlimmsten Fall bleibt vom gesamten Bauteil nur noch der Materialwert übrig. Wirklich sicher sind sich die Fertigungsingenieure bislang erst, wenn die Blisk aus der Schlusskontrolle kommt, wenn der stundenlange Spanprozess schon lange zu Ende ist.
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Was, wenn sich kritische Abweichungen schon viel früher detektieren ließen? Zum Beispiel, um noch während des Fertigungsprozesses auf eine sich abzeichnende Toleranzabweichung reagieren zu können. Eine aufwendige und kostspielige Nacharbeit wäre wohl verhindert.
Daten, die Fertigungsmaschinen während ihrer Arbeit erstellen, abrufen oder verarbeiten, könnten für die Lösung entscheidend sein. Doch die Informationsmenge ist enorm. Um sie nutzen zu können, braucht es jemanden, der Relevantes von Irrelevantem trennt. Der auswertet, entschlüsselt, verknüpft.
So jemand ist für die Blisk-Fertigung der MTU Aero Engines Dr. Oliver Arnold. Vor etwa einem Jahr war der heute 34-jährige Physiker und Datenwissenschaftler vom CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung, nach München gewechselt. Im Kanton Genf hatte er an Hochenergieexperimenten in der physikalischen Grundlagenforschung mitgearbeitet. Bei der MTU will er Algorithmen schaffen, die wertvolle Daten über das extrem komplexe Blisk-Fertigungsverfahren bündelt.
„Vereinfacht gesagt: Wir schauen uns Maschinendaten an, die bei einer Blisk-Zerspanung anfallen“, erklärt Arnold. „In ihnen versuchen wir Muster und Abhängigkeiten zu erkennen, die sich womöglich erst Fertigungsschritte später negativ in der Bauteilqualität niederschlagen.“ Mit belastbar extrahierten Trends würden den Fertigungsingenieuren fundierte Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung gestellt. Um früher zu reagieren, um Prozesse zu verbessern und um Kosten zu sparen.
Das Ziel klingt leichter, als der Weg dorthin in Wirklichkeit ist. Wie gelingt es, aus den unzähligen Maschinendaten die tatsächlich relevanten Informationen zu extrahieren? In welcher Frequenz werden sie passenderweise abgegriffen? Welche Datengüte ist für welche Kausalitäten nötig? Und welche zusätzliche Sensorik könnte dazu in Zukunft einmal dringend nötig werden – und sollte deshalb schon jetzt ins Lastenheft der zur Beschaffung anstehenden neuen Maschinen aufgenommen werden? „Wir sind noch relativ am Anfang“, sagt Arnold. „Aber wir tasten uns Schritt für Schritt an die Antworten heran.“
Die Entwicklung dieses komplett datengetriebenen Prozessverständnisses ist noch eine sehr junge Wissenschaft. Die Technische Universität München (TUM) war etwa eine der ersten Universitäten überhaupt, die im Jahr 2015 einen Masterstudiengang in Data Science gestartet hat. Vier Jahre später schon ist das Berufsfeld aus keiner Hightech-Industrie mehr wegzudenken.
„Das Spannende ist für mich ganz klar der interdisziplinäre Ansatz“, sagt Arnold. „Ich allein kann ohne die Kollegen aus der Fertigung die Daten nicht verstehen. Die Kollegen aus der Fertigung bringen das Prozesswissen mit. Wir überführen es – zusammen mit den Daten – in ein Modell.“ Wenn man so will, ist Arnold ein Dolmetscher: An der Schnittstelle zwischen Informationstechnologie und Fertigungsstrategie unterstützt er durch seine Analysen die Entscheidungsfindung.