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Additive Fertigung: Schicht für Schicht zum Bauteil

Mit dem Boroskop­auge führte die MTU als einer der ersten Antriebs­hersteller der Welt die additive Serien­fertigung ein. Strategisch gold­richtig: dem neuen Ver­fahren gehört die Zukunft.

06.2019 | Autor: Denis Dilba | 7 Min. Lesezeit

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Denis Dilba studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Jour­na­listen­schule und gründete das digitale Wissen­schafts­magazin Sub­stanz. Er schreibt über ver­schieden­ste Themen aus Technik und Wissen­schaft.

AEROREPORT-Serie: 50 Jahre Innovation bei der MTU

Das Bo­ro­sko­pau­ge ist ein klei­nes und eher un­schein­ba­res Bau­teil. Es passt un­ge­fähr in ei­ne Faust, hat links und rechts zwei seit­li­che Aus­le­ger mit Loch, ei­ne Öff­nung mit silb­ri­gem Ge­win­de in der Mit­te und an­sons­ten ei­ne matt-gräu­li­che Ober­flä­che. Das An­bau­teil wird auf das Tur­bi­nen­ge­häu­se ge­schraubt und er­laubt es Tech­ni­kern mit ei­ner In­spek­ti­ons­ka­me­ra – dem na­mens­ge­ben­den Bo­ro­skop – in das In­ne­re der Nie­der­druck­tur­bi­ne zu schau­en und so den Zu­stand der Schau­feln zu über­prü­fen. Die al­ler­meis­ten Men­schen wür­den schlicht nicht wis­sen, was sie da vor sich ha­ben, wenn man ih­nen das Bau­teil prä­sen­tiert. Für Dr. Jür­gen Kraus al­ler­dings, den Lei­ter Ad­di­ti­ve Fer­ti­gung bei der MTU Ae­ro En­gi­nes in Mün­chen, hat das Bo­ro­sko­pau­ge ei­ne ganz be­son­de­re Be­deu­tung. „Da­mit ha­ben wir den Durch­bruch in der ad­di­ti­ven Se­ri­en­fer­ti­gung ge­schafft“, sagt Kraus. Wur­den die­se An­bau­tei­le frü­her noch aus dem Vol­len ge­fräst, ent­ste­hen sie heu­te ele­gant per se­lek­ti­vem La­ser­schmel­zen (Selec­tive La­ser Mel­ting = SLM).

Boroskopaugen: sind kleine Öffnungen, durch die Beschau­felungen von Zeit zu Zeit mit einem Boro­skop auf mögliche Ab­nutzungen über­prüft werden. Die PW1100G-JM-Boro­skop­augen stellt die MTU additiv her.

Drei­di­men­sio­na­le Mi­kro­schweiß­vor­gän­ge

Ge­mein­hin wird die­ses Ver­fah­ren dem brei­ten Feld des 3D-Drucks zu­ge­ord­net. Rein tech­nisch be­trach­tet han­delt es sich da­bei al­ler­dings um drei­di­men­sio­na­le Mi­kro­schweiß­vor­gän­ge. Das 3D-Mo­dell des zu fer­ti­gen­den Bau­teils wird da­zu im ers­ten Schritt am Rech­ner in ein­zel­ne 20 bis 40 Mi­kro­me­ter dün­ne Schich­ten zer­legt. Ein star­ker La­ser schmilzt dann pul­ver­för­mi­gen Werk­stoff in ei­ner Bau­kam­mer ex­akt an je­nen Stel­len auf, die ihm die com­pu­ter­ge­ne­rier­ten Bau­teil-Kon­struk­ti­ons­da­ten vor­ge­ben, und ver­bin­det ihn da­durch mit der Schicht dar­un­ter. So wer­den Bau­tei­le Schritt für Schritt auf­ge­baut, stets kommt ei­ne Schicht da­zu. Ex­per­ten wie Kraus spre­chen da­her auch von ad­di­ti­ver Fer­ti­gung. Mit den Bo­ro­sko­pau­gen wird heu­te die Nie­der­druck­tur­bi­ne des A320neo-Ge­trie­be­fans PW1100G-JM aus­ge­rüs­tet. Die MTU ist da­mit ei­nes der ers­ten Un­ter­neh­men in der Luft­fahrt­bran­che, bei der die in­no­va­ti­ve Fer­ti­gungs­tech­nik für die Pro­duk­ti­on von Se­ri­en­bau­tei­len zu­ge­las­sen ist und be­reits ein­ge­setzt wird.

**Schicht für Schicht:** „wachsen“ von diesen Boroskop­augen gleich mehrere auf einem Träger. Nachdem sie von ihm abgelöst sind, folgt die End­kontur­bearbeitung. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Schicht für Schicht: „wachsen“ von diesen Boroskop­augen gleich mehrere auf einem Träger. Nachdem sie von ihm abgelöst sind, folgt die End­kontur­bearbeitung.

Schicht für Schicht: „wachsen“ von diesen Boroskop­augen gleich mehrere auf einem Träger. Nachdem sie von ihm abgelöst sind, folgt die End­kontur­bearbeitung.

**Um viele Ecken:** Mit additiven Ver­fahren können komplexe Bauteil­konturen gefertigt werden, die mit her­kömmlichen Ver­fahren wie Fräsen nur sehr zeit- und material­aufwändig möglich sind. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Um viele Ecken: Mit additiven Ver­fahren können komplexe Bauteil­konturen gefertigt werden, die mit her­kömmlichen Ver­fahren wie Fräsen nur sehr zeit- und material­aufwändig möglich sind.

Um viele Ecken: Mit additiven Ver­fahren können komplexe Bauteil­konturen gefertigt werden, die mit her­kömmlichen Ver­fahren wie Fräsen nur sehr zeit- und material­aufwändig möglich sind.

Be­ginn mit Werk­zeu­gen und ein­fa­chen Roh­tei­len

Der Weg da­hin be­gann schon früh. Be­reits seit den spä­ten 1990er-Jah­ren be­schäf­tigt sich die MTU mit den ad­di­ti­ven Ver­fah­ren, in den ers­ten Jah­ren zu­nächst noch theo­re­tisch, dann aber schnell auch prak­tisch. „Be­gon­nen ha­ben wir mit der Her­stel­lung von Werk­zeu­gen und Ur­mo­del­len für den Fein­guss so­wie ein­fa­chen Ent­wick­lungs­bau­tei­len“, er­in­nert sich Kraus. In der zwei­ten Pha­se wur­den dann Vor­rich­tungs­kom­po­nen­ten pro­du­ziert, die be­ste­hen­de Tei­le er­setzt ha­ben, et­wa Spritz­dü­sen so­wie Schleif­schei­ben zur Fer­ti­gung von Bau­tei­len. In die­se Etap­pe fal­len auch die Ge­trie­be­fan-Bo­ro­sko­pau­gen. „Die ein­fach auf­ge­bau­ten und für die un­mit­tel­ba­re Funk­ti­on ei­nes Trieb­werks un­kri­ti­schen Bau­tei­le wa­ren ide­al ge­eig­net, um zu ler­nen, wie ad­di­ti­ve Fer­ti­gung in Se­rie funk­tio­niert – und so­mit den Weg für kom­ple­xe­re und kri­ti­sche Tei­le zu eb­nen“, er­klärt Dr. Karl-Heinz Du­sel, Lei­ter Ad­di­ti­ve Fer­ti­gung Tech­no­lo­gie bei der MTU. Denn ne­ben der rei­nen Fer­ti­gungs­tech­nik muss­te da­mals auch die ge­sam­te Pro­zess­ket­te neu auf­ge­baut wer­den.

Mischtest: In der ­Simulation eines additiv gefertigten Bauteils kann die Homogenität der Elemente im ­Metall bei additiven Fertigungs­verfahren getestet werden.

Da die MTU zu­vor Roh­tei­le nur ein­ge­kauft und nicht selbst her­ge­stellt hat­te, konn­ten Du­sel und sei­ne Kol­le­gen nicht auf vor­han­de­ne Pro­zes­se, Ver­fah­ren und Struk­tu­ren für die Her­stel­lung und Zu­las­sung zu­rück­grei­fen. „Al­lein die Er­ar­bei­tung des be­nö­tig­ten Norm­sys­tems und die Er­mitt­lung der Werk­stoff­da­ten hat mehr als zwei Jah­re in An­spruch ge­nom­men“, sagt Du­sel. Dar­über hin­aus muss­ten auch neue Me­tho­den zur Bau­teil­prü­fung und Qua­li­täts­si­che­rung ent­wi­ckelt und ein­ge­führt wer­den. Seit der Pro­zess si­cher steht, ar­bei­tet die MTU dar­an, ihn schritt­wei­se auch auf kom­ple­xe­re Bau­tei­le und an­de­re Trieb­werk­s­ty­pen zu über­tra­gen. Ak­tu­el­le Pro­jek­te sind bei­spiels­wei­se neue bio­nisch de­sign­te und da­mit be­son­ders leich­te Hal­te­run­gen für Öl­lei­tun­gen, so­ge­nann­te Bra­ckets, und ein ad­di­tiv ge­fer­tig­ter, stei­fe­rer und kos­ten­güns­ti­ger Dich­tungs­trä­ger. Die­ser In­nen­ring mit in­te­gra­len Ho­nig­wa­ben soll künf­tig im Hoch­druck­ver­dich­ter ver­baut wer­den. Die für die Trieb­werks­funk­ti­on eben­falls kri­ti­schen Bra­ckets ha­ben ei­ne fi­li­gra­ne ge­schwun­ge­ne Form.

Video: High-Tech Fertigungs­ver­fahren im Einsatz bei der MTU: Additive Fertigung Artikel mit Video

High-Tech Fertigungs­ver­fahren im Einsatz bei der MTU: Additive Fertigung

Additive Fertigung: Als eines der ersten Unternehmen in der Triebwerks­branche stellt die MTU per 3D-Druck Serien­bauteile her. Zum Video

Bio­nisch ge­form­te Leicht­bau­tei­le

Ihr neu­es De­sign spa­re ein Drit­tel des Ge­wichts ein, oh­ne dass sich dies ne­ga­tiv auf Fes­tig­keit und Dämp­fungs­ei­gen­schaf­ten aus­wir­ke, so Du­sel. Ad­di­ti­ve Bau­tei­le tra­gen da­mit zu ei­ner Ge­wichts­re­du­zie­rung des Trieb­werks bei, was den Kraft­stoff­ver­brauch und da­mit den Emis­si­ons­aus­stoß senkt. Bis es so­weit ist, wer­de es aber noch ei­ne Zeit lang dau­ern: „Sol­che hoch­aus­ge­las­te­ten Bau­tei­le müs­sen in Trieb­werks­tests va­li­diert wer­den“, er­läu­tert Kraus. Par­al­lel zu die­sen Ar­bei­ten prü­fen der Ex­per­te und sein Team be­reits die Mach­bar­keit von voll­kom­men neu­en Bau­tei­len, die in der Next Eu­ro­pean Figh­ter En­gi­ne (NE­FE) und in der kom­men­den Ge­trie­be­fan-Ge­ne­ra­ti­on zum Ein­satz kom­men könn­ten. „Für die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on Trieb­wer­ke kön­nen wir uns ei­nen An­teil an ad­di­tiv ge­fer­tig­ten Bau­tei­len von bis zu 15 Pro­zent vor­stel­len“, sagt der MTU-Mann. Oh­ne das neue Ver­fah­ren, so­viel sei jetzt schon klar, wer­de künf­tig kein Trieb­werks­her­stel­ler mehr aus­kom­men.

Die MTU hat da­her seit An­fang 2018 ihr En­ga­ge­ment im Be­reich Ad­di­ti­ve Fer­ti­gung noch ein­mal in­ten­si­viert und ei­ne ei­ge­ne Ab­tei­lung da­für ein­ge­rich­tet. „Mit der Bün­de­lung al­ler Ak­ti­vi­tä­ten von der Aus­le­gung über die Tech­no­lo­gie­ent­wick­lung bis hin zur Se­ri­en­fer­ti­gung in ei­ner or­ga­ni­sa­to­ri­schen Ein­heit wol­len wir un­se­ren Vor­sprung hal­ten und wei­ter aus­bau­en“, sagt MTU-Tech­nik-Vor­stand Lars Wag­ner. Jür­gen Kraus hat auch schon Ide­en wie das ge­sche­hen kann: Im nächs­ten Schritt sol­len Leicht­bau­tei­le neu­ent­wi­ckelt und ge­fer­tigt wer­den. Es geht um neue De­signs, neue Bau­tei­le – denk­bar sind La­ger­ge­häu­se, Hal­te­run­gen und Stre­ben – und neue Werk­stof­fe. Vor al­lem bei der Her­stel­lung kom­ple­xer Bau­tei­le kann das Ver­fah­ren sei­ne Stär­ke aus­spie­len. „Der ad­di­ti­ven Fer­ti­gung ge­hört die Zu­kunft – je­des op­ti­mier­te Bau­teil macht die Trieb­wer­ke noch ein Stück ef­fi­zi­en­ter.“

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