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Kurz erklärt: Was sind Parabelflüge?
Auf Parabelflügen in einem Airbus A310 erreichen Astronauten und Forscher auch außerhalb des Weltalls Schwerelosigkeit.
12.2022 | Autor: Andreas Spaeth | 4 Min. Lesezeit
Autor:
Andreas Spaeth
ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.
©CNES
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22 Sekunden Schwerelosigkeit: Um außerhalb des Alls Schwerelosigkeit zu erreichen führen Spezialflugzeuge Parabelflüge durch.
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Was sind Parabelflüge?
Es handelt sich dabei um Spezialmissionen, die während ihrer Flüge bis maximal 31 Mal nacheinander die Figur einer Parabel nachahmen, um damit an Bord jeweils bis zu 22 Sekunden Schwerelosigkeit wie im Weltall zu erzeugen. Das Prinzip basiert auf physikalischen Gesetzen: Ein Objekt ist schwerelos, wenn es sich im freien Fall befindet. Wirft man einen Ball in die Luft ist er schwerelos und folgt der Bahn einer sogenannten Wurfparabel. Auch ein Flugzeug in dieser Mission wird so geflogen, dass es den freien Fall analog eines Balls in der Wurfparabel erreicht.
Wofür sind Parabelflüge sinnvoll und wer nutzt sie?
Für wissenschaftliche Experimente, die an oder von Menschen in Schwerelosigkeit ausgeführt werden sollen, sind Parabelflüge außerhalb des Weltalls die einzige Möglichkeit. Gerade für die Vorbereitung von Weltraummissionen und dort geplanten Versuchen sind sie daher wichtig, aber auch für die Forschung insgesamt. Viele Stoffe oder biologische, physikalische und medizinische Vorgänge lassen sich besonders gut unter Bedingungen ohne Erdanziehung herstellen oder untersuchen. Astronaut:innen und Wissenschaftler:innen nutzen Parabelflüge zum körperlichen Training und zur Einweisung in Experimente, die im All durchgeführt werden sollen. Die meisten Anbieter lassen auf bestimmten Flügen aber auch interessierte Laien für Preise von etwa 6000 bis 8000 Euro pro Person mitfliegen.
Wie laufen Parabelflüge ab?
Aus dem normalen Reiseflug in etwa 6.000 Meter Höhe geht das Parabelflugzeug in einen starken Steigflug. Nach 20 Sekunden erreicht es etwa 50 Grad Anstellwinkel, bei einem üblichen Start sind es gerade einmal 18 Grad. Auf das Flugzeug wirkt dabei die sogenannte Hyperschwerkraft vom 1,8-fachen der Erdanziehung (1,8 g). Während dieser für den Körper anstrengendsten Phase liegen die Insassen meist auf dem Kabinenboden. Nun stellt der Pilot die Triebwerke fast auf Leerlauf. Die Physik bewirkt, dass das Flugzeug auch ohne Vortrieb aufgrund des zuvor geholten Schwungs noch fast 1.000 Meter weiter nach oben geschleudert wird, bevor es der Bahn einer nach unten offenen Parabel folgend (daher der Name) in den freien Fall übergeht. Am Scheitelpunkt der Parabel auf etwa 8.500 Metern beträgt die Geschwindigkeit nur noch etwa 380 km/h. Während der letzten Phase des Aufschwungs, am höchsten Punkt und während die Maschine im steilen Winkel von 42 Grad schräg nach unten abkippt herrschen an Bord insgesamt 20 bis 22 Sekunden Schwerelosigkeit. Dann wird die Maschine unter starkem Schub abgefangen um sie wieder in den horizontalen Reiseflug zu bringen – auch jetzt herrschen für etwa 20 Sekunden wieder 1,8 g Hyperschwerkraft.
Wie haben sich Parabelflüge entwickelt?
In den 1950er Jahren setzten die USA und die Sowjetunion zum Astronautentraining unter Schwerelosigkeit zweisitzige Jagd- und Trainingsjets ein. In den 1960er Jahren folgten in den USA erstmals größere Spezialflugzeuge wie umgebaute Tankflugzeuge des Typs KC-135 (militärische Version der Boeing 707) für Parabelflüge, die unter dem Spitznamen „Vomit Comet“ von der NASA betrieben wurden. 1989 stellte die französische Raumfahrtagentur CNES als erstes europäisches Parabel-Flugzeug eine umgebaute Caravelle in Dienst, die bis 1995 Missionen flog. Die Sowjetunion baute insgesamt drei große Transportflugzeuge des Typs Iljuschin Il-76 MDK für diesen Zweck um. Von 1996 bis 2014 betrieb die europäische Novespace den ältesten erhaltenen Airbus A300 für Zero G-Missionen, den dritten Prototyp aus dem Baujahr 1973. Er dient heute als Ausstellungsstück am Flughafen Köln/Bonn.
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AirZero G by Novespace: Der einzige Betreiber von Flügen in der Schwerelosigkeit in Europa kann auf eine 30-jährige Erfahrung in diesem Bereich zurückblicken.
Wie sind solche Flugzeuge ausgestattet?
Ehemalige Verkehrsflugzeuge, die für Parabelflüge umgerüstet werden, weisen nur noch wenige Sitze auf, die zu Start und Landung genutzt werden. Der Großteil der Kabine ist leer, rundum mit Matten und Polsterungen ausgestattet sowie mit Schienen, auf denen die Experimente installiert werden. Im Cockpit gibt es zusätzlich Beschleunigungsmesser und Bildschirme, die das Kabinengeschehen zeigen. Strukturelle Änderungen oder eine modifizierte Öl- und Treibstoffversorgung der Triebwerke gibt es nur in der Iljuschin Il-76 MDK.
©CNES/Novespace/, 2017
Parabelflugzeuge: Der Großteil der Kabine ist leer und rundum mit Matten und Polsterungen ausgestattet.
©CNES/Novespace/, 2017
Welche Flugzeuge können heute Parabelflüge betreiben?
Maximal eine Handvoll. In den USA fliegt weiter eine Boeing 727-200, die 1976 für Braniff gebaut wurde und seit 2004 Zero G-Flüge sowohl für die NASA als auch für Enthusiast:innen durchführt. Die Europäer verfügen über einen Airbus A310-300 mit 33 Meter Kabinenlänge, derzeit das größte Parabelflugzeug, das bis zu 40 Passagiere an Bord nimmt und von Novespace mit Sitz in Bordeaux unter dem Namen AirZero G betrieben wird. Es hat eine besondere Geschichte: 1989 an die DDR-Fluggesellschaft Interflug ausgeliefert, flog die A310 von 1991 an als VIP-Flugzeug der Flugbereitschaft der deutschen Luftwaffe Bundeskanzler Helmut Kohl, später Angela Merkel und ihre jeweiligen Minister unter dem Namen „Konrad Adenauer“ durch die Welt. 2014 trat die A310 ihre neue Aufgabe bei Novespace an.
©CNES/ROUQUETTE Sébastien, 2017