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Leasingfirmen als heimliche Taktgeber der Luftfahrt
In Zeiten von Lieferengpässen der Flugzeughersteller werden Leasingfirmen für Airlines immer wichtiger. Heute sind bereits mehr als die Hälfte aller Verkehrsflugzeuge gemietet.
01.2025 | Autor: Andreas Spaeth | 6 Min. Lesezeit
Autor:
Andreas Spaeth
ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.
Der „Gottvater des Flugzeugleasings“, wie manche in der Branche Steven Udvar-Házy nennen, sitzt noch selbst am Steuerknüppel. Als der AEROREPORT den in Ungarn geborenen Kalifornier auf der Mittelmeerinsel Malta trifft, ist er kurz vorher im Cockpit einer Gulfstream 650ER aus London eingeschwebt. „Das ist das neueste Modell und wirklich der beste Privatjet“, schwärmt der 78-Jährige. „Aber auf Auslieferungsflügen fliege ich häufig auch Teilstrecken mit Airbus- und Boeing-Jets, am liebsten die A350 und die 787“, erzählt er.
Mit zwei weiteren Exil-Ungarn gründete Udvar-Házy 1973 in den USA die International Lease Finance Corporation (ILFC). Das Geschäft begann mit einer DC-8, die die junge Firma an Aeroméxico verleaste. Der Rest ist Geschichte: Heute ist Udvar-Házy Executive Chairman der von ihm 2010 gegründeten Air Lease Corporation (ALC), eine der vier größten Flugzeugleasingfirmen der Welt. Forbes schätzt sein Vermögen auf über vier Milliarden US-Dollar. Bislang war er am Leasinggeschäft mit insgesamt 3.100 Flugzeugen beteiligt, mehr als 2.900 davon fabrikneu aus der Produktion aller großen Hersteller.
50 Prozent aller aktiven Verkehrsflugzeuge fliegen heute im Leasing
©shutterstock – Arnold O. A. Pinto
Leasingfirmen bestellen große Mengen an Flugzeugtypen bei Herstellern, die sie erfolgreich am Markt platzieren können.
©shutterstock – Arnold O. A. Pinto
Flugzeugleasing ist eine Erfolgsgeschichte, dessen Bedeutung immer größer wird, gerade in Zeiten von Lieferverzögerungen bei den Flugzeugherstellern. Rund vier Jahrzehnte hat es gedauert, bis das Leasing den Kauf von Flugzeugen durch die Airlines überholt hat. Von den bescheidenen Anfängen in den 70er Jahren, als nur etwas mehr als zwei Prozent aller Verkehrsflugzeuge geleast waren, dauerte es drei Jahrzehnte, bis sich der Leasinganteil auf 27 Prozent im Jahr 2000 verzehnfachte. Nach zwei weiteren Dekaden und einer Pandemie flogen 2022 erstmals über 50 Prozent aller weltweit aktiven zivilen Verkehrsflugzeuge auf Leasingbasis.
Das Prinzip ist einfach: Die Leasingfirmen geben bei Herstellern große Bestellungen für Flugzeugtypen auf, von denen sie überzeugt sind, sie gut am Markt platzieren zu können. Alternativ zur direkten Bestellung wird häufig auch ein sogenannter Sale-And-Lease-Back getätigt. Dabei kaufen Leasingfirmen den Airlines bestehende Flugzeuge ab und verleasen sie direkt zurück. Oft sind sie auch Erstkunde für neue Varianten, zu deren Fertigung sie die Flugzeugbauer ermutigen. So war ALC die treibende Kraft dahinter, dass Airbus die extrem begehrten Langstreckenversionen A321LR und A321XLR ins Portfolio aufgenommen hat. Außerdem gab sie den Anstoß für die Einführung der Boeing 787-10 und des Airbus A350-1000.
Leasingfirmen spielen eine entscheidende Rolle bei der Einführung neuer Modelle wie beim Airbus A321LR und A321XLR.
Leasing führt bei schwankender Nachfrage zu mehr Flexibilität
Bei frühzeitigen Großbestellungen gewähren die Flugzeugfirmen deutliche Rabatte, die einzelne Airlines nicht bekommen würden. Dadurch, dass sie über viele Flugzeuge als hochwertige Aktiva verfügen, haben Leasingfirmen wesentlich leichteren Zugang zu Kapital als Fluggesellschaften mit ihren geringen Gewinnmargen. Die günstig erworbenen neuen Flugzeuge versuchen die Leasingfirmen dann möglichst langfristig bei Airlines zu platzieren. Diesen bietet das Leasing enorme Vorteile, denn so bleiben sie flexibler und können agiler auf Nachfrageschwankungen reagieren. „Die Kombination aus geringeren Kapitalkosten und niedrigeren Flugzeug-Anschaffungskosten macht uns zur attraktiven Alternative für Airlines“, weiß Udvar-Házy.
Bei der MTU Aero Engines ist Marktanalyst Paul Lützkendorf der Spezialist für Leasing. „Gerade in Zeiten von verspäteten Flugzeugneuauslieferungen lässt sich damit ein glänzendes Geschäft machen“, so der Experte. Wobei die Leasingfirmen durch eigene Bestellungen auch selbst zu der herrschenden Knappheit an freien Produktionsslots beitragen. „Aber sie halten natürlich auch den Luftverkehr am Laufen, weil sie die Flugzeuge verfügbar haben, die die Airlines nachfragen.“
Sind Leasingfirmen die wahren Krisengewinner?
Einig sind sich aber alle: Der Luftverkehr wird weiter kräftig wachsen. Die International Air Transport Association (IATA) erwartet für 2025 erstmals etwas über fünf Milliarden Passagiere. Bis 2030 dürften es weit über sechs Milliarden Fluggäste sein, schätzt auch ALC – entsprechend mehr Flugzeuge werden benötigt. „2024 hatten wir 24.466 Verkehrsflugzeuge weltweit. Bis 2030 erwarten wir, dass die Zahl auf 31.000 Jets ansteigt“, sagt Udvar-Házy. Bei derzeitigen Lieferzeiten von sechs Jahren und mehr, insbesondere für Großraumflugzeuge, sind Leasingverträge eine gute Alternative.
Selbst jene Fluggesellschaften, die fest im Orderbuch der großen Flugzeugbauer stehen, können sich nicht darauf verlassen, ihre Jets auch wie gewünscht zu bekommen. „Ich denke, das Leasinggeschäft wird noch an Bedeutung zunehmen“, meint Lützkendorf. „Gerade in Märkten wie China, Indien oder den Philippinen ermöglicht Leasing das Wachstum der Luftfahrt. Dort wachsen vor allem Billigfluglinien mit jungen Flotten, die aber wegen geringer Margen weniger finanzstark sind.“ Und er gibt zu bedenken: „Viele Airlines sind nach der Covid-Pandemie heute höher verschuldet als davor und haben daher oft Finanzierungsschwierigkeiten. Es ist für sie günstiger, über die finanzstarken Leasinggesellschaften Flugzeuge zu bekommen.“
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Triebwerksleasing
Die MTU Maintenance bietet ein breites Spektrum von Leasing-Leistungen an. Egal, ob in einem AOG-Fall schnelle Hilfe benötigt oder für die Dauer eines Shop Visits Leasetriebwerke gesucht werden – unsere Leistungen passen wir stets auf die speziellen Bedarfe unserer Kunden an.
Leasingfirmen können von der Expertise der MTU profitieren
Das könnte indirekt auch der MTU Neugeschäft bringen. „Es gibt Leasingfirmen, die sich auf ältere Flugzeuge spezialisieren, die in ihrem Lebenszyklus nur noch eine Leasingperiode vor sich haben. Gerade in solchen Fällen werden oft Triebwerke ausgetauscht und Flotten optimiert. An dieser Stelle gibt es für die MTU gute Chancen, zu beraten“, weiß Lützkendorf. Dabei könne die MTU auch ihre MRO-Expertise zum Einsatz bringen, so der Experte.
Leasinggesellschaften sind gleichzeitig eine Art Seismograph, wohin die Entwicklung neuer Verkehrsflugzeuge steuert. Wenn sie den Daumen bei Vorschlägen der Hersteller senken, haben diese oft schlechtere Marktchancen. Udvar-Házy sieht zum Beispiel eine Lücke im aktuellen Angebot zwischen dem Airbus A321 und der Boeing 787-8. „Es fehlt ein Flugzeug mit 220 bis 280 Sitzen“, stellt der Leasingpionier fest.
Umgekehrt können Prognosen der Leasingfirmen ganz neue Marktsegmente eröffnen. Dass Flugzeughersteller gut daran tun, solche Empfehlungen aufzugreifen, zeigt der enorme Erfolg der A321-Langstreckenvarianten: Allein vom Bestseller A321XLR wurden seit 2019 über 370 bestellt. Ein weiterer Grund, warum die goldenen Zeiten für die Leasingbranche noch lange nicht vorbei zu sein scheinen.
ALC - Die Leasingfirma des Branchenpioniers
Als der junge Steven Udvar-Házy 1973 mit der International Lease Finance Corporation (ILFC) eine der ersten Firmen für Flugzeugleasing mitgründete, bewies er bereits den richtigen Riecher. Spätestens in den frühen 2000er Jahren begann endgültig der Siegeszug der Flugzeug-Leasingbranche, einem Markt, in dem sich inzwischen Dutzende Firmen tummeln. Irland galt aus steuerrechtlichen Gründen dabei lange als Leasingparadies, inzwischen kommen auch viele Anbieter aus den USA. 2010 verließ der Gründer die ILFC und startete mit der Air Lease Corporation (ALC) ein neues Unternehmen. Schnell stieß er auch damit unter die fünf Größten der Branche vor. Im Frühjahr 2024 umfasste das Portfolio von ALC 472 Flugzeuge, darunter 354 Narrowbodies- und 118 Widebodies. Im Juli 2024 hatte ALC 307 offene Flugzeugbestellungen im Wert von 20 Milliarden US-Dollar, darunter 197 für die erfolgreichen Airbus-Narrowbodies. Wenn ein Flugzeug acht bis zwölf Jahre alt ist, verkauft es ALC und investiert die Erlöse in neue Maschinen. „Leasing ist ein großes Geschäftsfeld, das viel Kapital und Expertise verlangt“, erklärt Udvar-Házy.