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Augmented Reality-Anwendungen fürs Triebwerksbusiness

In ihrem Inno Lab arbeitet die MTU daran, mit Hilfe von Augmented Reality (AR) die Arbeitsschritte am Triebwerk zu vereinfachen.

11.2020 | Autor: Thorsten Rienth | 4 Min. Lesezeit

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Thorsten Rienth schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT. Seine technikjournalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und Raumfahrtbranche im Bahnverkehr und dem Transportwesen.

So richtig mag das alles nicht zusammenpassen. Einmal ist da die Start-Up-Atmosphäre des Inno Lab bei der MTU Aero Engines mit seinen meterhohen Fenstern und hellen, ineinander übergehenden Räumen. Mit den Socializing-Ecken und großen Flachbildschirmen, mit seiner „Pitching Area“, der Testumgebung für Kamera-Computer-Systeme und dem 3D-Drucker. Wie aus der Zeit gefallen scheint vor diesem Rundblick das Lego®-Modell, das ein Zimmer weiter steht.

Doch dieser Schein trügt. Stattdessen ist die Lego®-Schubdüse eines EJ200-Triebwerks so etwas wie das Vehicle in eine neue Augmented Reality (AR)-Welt. In ihr könnten AR-Anwendungen bei vielen Arbeitsschritten im Triebwerksgeschäft – von der Bauteilmontage bis zur Befund- und Qualitätsanalyse – einmal wertvolle Unterstützung leisten.

Thomas Staak, Leiter Technische Dokumentation MTU Aero Engines

„Gleichzeitig könnte ihm das System automatisch den Zugriff auf den entsprechenden Vorgang in der Maintenance-Dokumentation herstellen, beispielsweise, um ihm noch offene Instandsetzungsmaßnahmen anzuzeigen.“

Thomas Staak, Leiter Technische Dokumentation MTU Aero Engines

„Proof of Concept“ – und was die Lego®-Steine damit zu tun haben

Der Mann, der dafür die Grundlagen legt, heißt Thomas Staak und leitet die Technische Dokumentation der MTU. Er greift zum Tablet und hält es mit eingeschalteter Kamera vor das Schubdüsenmodell. Auf dem Display erscheint ein Werkzeug und öffnet eine Blende. Ein zweites Werkzeug kommt hinzu. Es stilisiert die Bewegung, mit der sich ein Segment der Schubdüse lösen und austauschen lässt.

Mit der Anleitung aus der erweiterten Display-Realität würde der Mechaniker den Arbeitsschritt nun in der Triebwerks-Realität umsetzen. „Gleichzeitig könnte ihm das System automatisch den Zugriff auf den entsprechenden Vorgang in der Maintenance-Dokumentation herstellen, beispielsweise, um ihm noch offene Instandsetzungsmaßnahmen anzuzeigen.“ Und wenn nötig, könnte sich ein Fachingenieur auf die Tablet-Kamera schalten und den Mechaniker unterstützen.

Schulterblicke von ganz weit weg: Augmented Reality (AR)-Technologien öffnen im Triebwerksgeschäft ganz neue Möglichkeiten. Die MTU arbeitet daran, mit Hilfe von AR die Arbeitsschritte zu vereinfachen.

Eingebettet in einem Entwicklungsprojekt mit einem spezialisierten Hamburger Startup haben Staak und Kollegen die erste Etappe eines langen Weges bereits hinter sich. „Proof of Concept“ heißt der Fachterminus hinter der kurzen Vorführung mit dem Tablet und dem Modell: Das Machbare nachweisen. Zunächst hieß es das Prinzip einer solchen AR-Anwendung zu erproben. Mit Hilfe des Lego®-Schubdüsenmodells konnte die Darstellung des „echten“ Bauteiles erheblich vereinfacht und die Software anhand simpler Strukturen aufgebaut werden. Und einen weiteren Vorteil hat das Kunststoffmodell: Baustein für Baustein lassen sich die Modelle unkompliziert erweitern. Mit jeder Änderung, mit jeder neuen Detailstufe läuft bei Software wie Ingenieuren ein Lernprozess ab. „Außerdem haben unsere Kollegen vom Hamburger Startup das gleiche Modell bei sich stehen. So können wir gemeinsam immer wieder einzelne Funktionen der AR-Anwendung schnell und unkompliziert optimieren“.

Erste AR-Anwendung im Test: Bei der Anwendung wird geprüft ob Brackets an den richtigen Stellen und korrekt ausgerichtet montiert sind. So können Ingenieure, die Montage der Brackets erproben, ohne dabei echte Module montieren oder demontieren zu müssen.

Die Methodik hat also guten Grund. „Wir wollen strategisch lernen, wie Augmented Reality funktioniert und wie wir sie für unsere Bedarfe am gewinnbringendsten einsetzen können“, erklärt Staak die Vorgehensweise. Welche Hardware generiert Nutzwert, welche nicht? Wie lässt sich Künstliche Intelligenz-(KI)-Software integrieren, zum Beispiel für automatisiert ablaufende Schadensanalysen?

Testprogramm für erste AR-Anwendung läuft bereits

Wer sehen will, was Staak mit alldem meint, muss seine Sektion im Inno Lab hinter sich lassen. Ein paar Hallen weiter, dort, wo die MTU das PW1100G-JM-Triebwerk für den Airbus A320neo montiert, lief eine der ersten AR-Anwendungen mit Tablet bereits im Test. Auch hierbei liefen die Entwicklungsschritte über ein – im Vergleich zur Schubdüse aber deutlich größeres und aufwendigeres – Lego®-Modell eines Geared Turbofan. Bei der Anwendung geht es um assistierende Animationen und die computergestützte Prüfung, ob Brackets – dies sind kleine Aufhängungen für beispielsweise Ölleitungen am Triebwerk – an den richtigen Stellen und korrekt ausgerichtet montiert sind. Das Lego®-Modell ermöglicht den Ingenieuren, die Montage der Brackets zu erproben, ohne dabei echte, komplexe Module montieren oder demontieren zu müssen. Dafür wurden die Brackets sogar extra als Kunststoffbauteile im 3D-Drucker nachgedruckt.

Die künstliche Testumgebung bietet außerdem noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: In der Montage sind die Abläufe sehr eng getaktet. Für Tests oder Erprobungen bleibt daher im Tagesgeschäft keine Zeit. Mit dem LEGO®-Modell können die Ingenieure nun auch im Büro prüfen und testen, wie die Brackets am Bauteil in Theorie montiert werden müssen.

Der Test in der PW1100G-JM-Montage zeigt aber auch, dass AR-Anwendungen an solchen komplexen Bauteilen nicht immer einfach sind. „Mal spiegelt eine Kante, mal ändert sich mit dem Lichteinfall ein Schattenwurf. Aber wir bekommen das mittlerweile ziemlich gut hin“, findet Thomas Staak. Und wenn einmal nicht? „Dann justieren wir nach.“ Kunstpause. „Und sind damit wieder ein Stückchen schlauer und besser geworden.“


Augmented Reality und Virtual Reality:

Virtual Reality (VR) ermöglicht es den Nutzern, eine virtuelle 360 Grad Welt zu erleben, diese von allen Seiten zu betrachten, sich in ihr zu bewegen und mit dieser zu interagieren. Der Nutzer nimmt seine reale Umgebung hierbei nicht mehr wahr – er hat das Gefühl, in der virtuellen Welt vor Ort zu sein.

Bei Augmented Reality (AR) muss der Nutzer tatsächlich vor Ort sein, denn die reale Welt wird durch virtuelle Inhalte bloß angereichert. Über die betrachtete reale Welt werden in Echtzeit Textinformationen und Grafiken eingeblendet. Im Gegensatz zu VR wird daher bei AR die physische Realität weiterhin wahrgenommen.

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