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Flugzeugenteisung: Mit Dusche und Laser gegen den Frost
Vereiste Tragflächen stören die Aerodynamik und gefährden die Sicherheit. Ein neues Laserverfahren könnte Flugzeuge künftig schneller und effizienter enteisen.
11.2020 | Autor: Denis Dilba | 5 Min. Lesezeit
Autor:
Denis Dilba
studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journalistenschule und gründete das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz. Er schreibt über verschiedenste Themen aus Technik und Wissenschaft.
Wenn die Tage im Herbst und Winter kalt werden, geht es Flugzeugen ganz ähnlich wie uns Menschen: Manchmal muss es eine heiße Dusche sein. Bei Passagierjets besteht sie allerdings aus Wasser-Glykol-Mischungen und kommt spätestens dann zum Einsatz, wenn die Tragflächen mit Eis und Schnee bedeckt sind. Denn das wirkt sich negativ auf die Aerodynamik aus. So erhöht etwa eine nur wenige Millimeter dicke Raureifschicht auf den Flügeln bereits signifikant den Luftwiderstand und verringert somit den Auftrieb. Bei sehr starker Vereisung, insbesondere der Flügelvorderkanten, droht schlimmstenfalls sogar der gefürchtete Strömungsabriss. Dazu kommt das Gewicht: Bei einem Airbus A320 bringt eine Fünf-Millimeter-Reifschicht auf den Flügeln schon bis zu 375 Kilogramm zusammen. Insgesamt steigt somit auch der Kraftstoffverbrauch deutlich an. Eine Enteisung vor dem Start gehört daher bei entsprechender Witterung zum Pflichtprogramm für Passagiermaschinen.
Am Flughafen München war das in der letzten Enteisungs-Saison von Oktober bis April 5.291 Mal der Fall. Aus Sicht der Enteisungsmittelhersteller war das aber ein schlechter Winter: In der Saison davor war der Wert in München mit 10.572 noch doppelt so hoch. Aber selbst, wenn die Winter noch milder werden als der vergangene und die Flugzeuge am Boden eisfrei bleiben würden, besteht immer noch das Problem der Vereisung von Tragflächen während des Fluges. Das geschieht typischerweise im Sinkflug, wenn Flugzeuge aus ihrer Reiseflughöhe, auf der auch im Sommer Temperaturen bis zu minus 50 Grad herrschen können, in feuchtere Luftschichten eintauchen. Auf der eiskalten Außenhaut der Flieger frieren Wassertropfen blitzartig fest. Schutzsysteme, die das so gewachsene Eis ablösen können und die Eisbildung in der Luft zusätzlich hemmen, stehen daher seit langem weit oben auf der Agenda der Luftfahrtforscher. Schon seit den 1930er Jahren wurden verschiedenen Technologien entwickelt, um Propeller, Rotoren, Triebwerkseinlässe, Flügel und Leitwerke vor Eis zu schützen.
Neue Anti-Eis-Technologien müssen hohe Anforderungen erfüllen
Bei vielen kleineren Propellermaschinen sind etwa die Flügelvorderkanten mit Gummibälgen ausgestattet, die sich aufpumpen lassen. Dehnen sie sich aus, platzt das Eis ab. Große Passagierflugzeuge setzen üblicherweise auf heiße Zapfluft aus den Triebwerken, die durch Rohrleitungen zu den Flügelvorderkanten geleitet wird. Die Methode funktioniert sehr gut, geht aber zu Lasten der Triebwerksleistung. Vereinzelt eingesetzte elektrische Flügelheizungen sind zwar effizienter, benötigen aber Batterien, die wiederum mehr Gewicht ins Flugzeug bringen. Optimierte technische Lösungen, die weniger Energie benötigen, um die Eisbildung in der Luft zu reduzieren oder am besten gleich ganz verhindern, sind daher sehr gefragt. Ideen dafür gibt es einige: Beispielsweise wasser- und eisabweisende Mikrostrukturen, die per Folie auf die Flügeloberflächen geklebt oder direkt in sie eingearbeitet werden. Ebenso wird an mechatronischen Systemen gearbeitet, die das Eis mit hochfrequenten Schwingungen abschütteln sollen.
Klassische Enteisung eines Flugzeugs
1. Erster Schritt: De-Icing: Die Düse spritzt ca. 80° heißes, verdünntes Enteisungsmittel auf das Flugzeug. Eis und Schnee schmelzen.
2. Zweiter Schritt: Anti-Icing: Die Düse spritzt ein anderes dickflüssigeres unvermischtes Enteisungsmittel kalt auf das Flugzeug.
Dieses schützt vor erneuter Enteisung.
3. Die Fenster sind elektrisch beheizbar.
4. Bei langen Flügeln wird aus den Triebwerken heiße Luft an die Vorderseite der Flügel gelenkt.
5. Aus der Düse des schwenkbaren Arms wird das Enteisungsmittel direkt auf den Flügel gespritzt.
Für Passagierflugzeuge hat es allerdings bis heute keine dieser Ideen in die kommerzielle Anwendung geschafft. „Mechanische Beanspruchungen, wie Erosion durch Sand, Insekten und andere Verschmutzungen sowie hohe Temperaturunterschiede und insbesondere die Beständigkeit gegen hochenergetische UV-Strahlung sind hohe Anforderungen“, sagt Tim Kunze, Teamleiter der Gruppe Oberflächenfunktionalisierung am Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS in Dresden. Sein Team hat gemeinsam mit Airbus und der TU Dresden eine vielversprechende Laserbehandlung für Oberflächen entwickelt, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Zum einen haftet Eis auf der so erzeugten Mikro- und Nanostruktur schlechter und fällt ab einer gewissen Schichtdicke von alleine ab. Zum anderen ist in Kombination mit elektrischen Heizsystemen weniger Energie zum Enteisen nötig.
Veränderter Auftrieb bei Eisablagerung
Eisansatz am Flugzeug: Eis beeinträchtigt die Aerodynamik vor allem durch verminderten Auftrieb und erhöht zugleich den Luftwiderstand sowie das Gewicht des Flugzeuges. Unter Vereisung wird die Ablagerung von Eis oder Reif auf Flugzeugen verstanden, die sich in der Luft oder am Erdboden befinden.
„Die Direkte Laserinterferenzstrukturierung (DLIP) kann perspektivisch die Nutzung der wenig umweltverträglichen Enteisungsmittel am Boden reduzieren, den Kraftstoffverbrauch senken – und auch die Wartezeit für die Fluggäste während der Enteisung verkürzen.“
Per Laser erzeugte Mikrostrukturen versprechen hohes Enteisungspotenzial
„Die Direkte Laserinterferenzstrukturierung (DLIP) kann perspektivisch die Nutzung der wenig umweltverträglichen Enteisungsmittel am Boden reduzieren, den Kraftstoffverbrauch senken – und auch die Wartezeit für die Fluggäste während der Enteisung verkürzen“, sagt der Fraunhofer-IWS-Forscher. Zudem werde sich auch das Fluggewicht aufgrund potenziell kleinerer elektrischer Heizaggregate verringern. „Das ist mit Blick auf die Elektrifizierung der Luftfahrt interessant“, so Kunze. Die Anfang Oktober im Fachmagazin „Advanced Materials Interfaces“ veröffentlichten Vergleichs-Tests an miniaturisierten Tragflächen zeigten, dass Eis bei gleicher Heizleistung an DLIP-Oberflächen bis zu 90 Prozent schneller verschwindet als bei unbehandelten Flächen. Um das gleiche Enteisungsergebnis bei unbehandelten Oberflächen zu realisieren, bräuchte man rund fünf Mal mehr Heizleistung, sagt Kunze. Projektpartner Elmar Bonaccurso, Materialwissenschaftler bei Airbus, ist zufrieden mit den Labor-Ergebnissen: „Jetzt müssen wir die Funktion der DLIP-Bearbeitung in der Praxis beweisen.“
Seit zwei Jahren laufen daher parallel bereits Flugtests mit einem Airbus A350, an dem eine entsprechend bearbeitete Oberfläche angebracht wurde. „Die Mikrostruktur ist stabil geblieben“, so der Airbus-Forscher. Das sei ein großer, aber nur ein halber Erfolg: „Wir suchen noch eine zusätzliche chemische Beschichtung für die DLIP-Struktur, die ihre Funktion weiter verbessert“, sagt Bonaccurso. Erst damit sei die Technologie reif für den Einsatz. Kunze und sein Team optimieren derweil die Wirtschaftlichkeit des DLIP-Verfahrens und kooperieren dazu bereits mit Laserherstellern. Darüber wann DLIP-Oberflächen in Serie gehen könnten, möchten beide Forscher nicht spekulieren. „Wir sind noch in der Vorentwicklung und müssen zunächst den ersten Schritt zu Ende gehen, bevor wir verlässlich über einen möglichen Zeitrahmen sprechen können“, sagt Bonaccurso. „Aber im Sinne der Verringerung der Kosten für die Umwelt, arbeiten wir natürlich so schnell wie möglich.“
Technologien gegen Eisbildung
Eisschutzsysteme für Passagierflugzeuge nutzen bisher hauptsächlich heiße Zapfluft aus den Triebwerken. Effizientere Lösungen sind in Arbeit – eine Auswahl verschiedener Ansätze:
©Frauenhofer
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Eisabweisende Folien
So wie Wasser von einem Lotosblatt abperlt, soll Eis auf Folien mit entsprechenden Mikrostrukturen gar nicht erst wachsen können. Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB erzeugt solche eisabweisenden Oberflächen auf Polyurethan-Folien per Plasmaabscheidung. Eine der Herausforderungen: Einen beständigen Kleber zu finden, der solche Folien jahrelang sicher mit den Tragflächen verbindet.
©Frauenhofer
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Direkte Mikrostrukturierung
Auch diese Methode macht Oberflächen eisabweisend – die Mikrostrukturen werden hier aber direkt im Flügelmaterial erzeugt. Das Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS setzt dafür auf die sogenannte direkte Laserstrahlinterferenz. Das Verfahren erzeugt besonders komplexe Mikrostrukturen und sei sehr wirtschaftlich, so die IWS-Forscher. Flugtests zeigten bereits positive Ergebnisse.
©Villinger GmbH
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Elektrisch beheizbare Lacke
Die auf Anti-Eis-Technik spezialisierte Villinger GmbH aus Österreich entwickelt polymere Halbleiterlacke, die Strom leiten und beheizbar sind. Sie werden bereits für Kleinflugzeuge eingesetzt. Eine ähnliche Idee verfolgt das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA: Hier werden Carbon-Nanotube-Schichten unter Schutzlacken erhitzt, um die Eisbildung auf Oberflächen zu verhindern.
©DLR
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Hochfrequente Schwingungen
Ingenieure des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wollen das Eisproblem im wahrsten Sinne des Wortes einfach abschütteln. Dazu versetzen sie vereiste Tragflächen mit Aktuatoren gezielt in hochfrequente Schwingungen. Das Eis löst sich so und fällt ab. Die Technik soll effizienter als das gängige Zapfluft-System bei Passagierflugzeugen sein. Einige Business-Jets enteisen per Schwingung bereits ihre Leitwerke.