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eVTOL-Entwicklungen: Wohin geht die Reise mit Lufttaxis und Drohnen?
Flugtaxis im Anflug: Expert:innen schätzen, dass die ersten kommerziellen eVTOL-Flüge in den nächsten Jahren auf bestimmten Routen starten werden. Zehn Entwicklungen.
11.2023 | Autorin: Nicole Geffert | 7 Min. Lesezeit
Autorin:
Nicole Geffert
arbeitet seit 1999 als freie Journalistin mit den Themen Forschung und Wissenschaft, Geld und Steuern, Ausbildung und Beruf.
©Lilium
Die Luftfahrtbranche ist in Bewegung. Mit elektrischen Senkrechtstartern wollen die Hersteller die Mobilität in und zwischen den Städten revolutionieren. Flugtaxis für kurze Strecken und autonome Drohnen für den Lieferdienst sind nur einige der Anwendungen, die sich aus dieser Technologie ergeben. Die Hersteller sehen in ihren eVTOLs (electric vertical take-off and landing) eine mögliche Lösung für die wachsenden Probleme der urbanen Mobilität, wie Staus und Luftverschmutzung. Allerdings gibt es noch viele offene Fragen und Herausforderungen für die Branche, vor allem in den Bereichen Sicherheit, Zulassung, Akzeptanz und Infrastruktur.
Voraussetzung für den kommerziellen Betrieb eines eVTOL-Fluggeräts ist eine offizielle Flugerlaubnis, was bedeutet, dass die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen noch geklärt werden müssen. Außerdem müssen die eVTOLs hohe Sicherheitsstandards erfüllen und das Vertrauen der potenziellen Nutzer:innen gewinnen. Nicht zuletzt müssen auch geeignete Start- und Landeplätze sowie Lade- und Wartungsstationen geschaffen werden. Expert:innen schätzen, dass die ersten kommerziellen eVTOL-Flüge in den nächsten Jahren in ausgewählten Städten und auf bestimmten Routen starten könnten. Wie schnell und wie weit sich diese neue Form der Mobilität jedoch durchsetzen wird, ist noch nicht absehbar. Der AEROREPORT stellt zehn Entwicklungen exemplarisch vor.
©Joby Aero, Inc
Joby Aviation: Air Force als Erstkunde
Seinen ersten Serienprototypen hat das kalifornische eVTOL-Startup Joby Aviation im Sommer 2023 fertig gestellt. Im Oktober folgten erste Testflüge mit einem Vorserienmodell und Piloten an Bord. Die Produktionslinie in Marina sowie das Fluggerät mit seinen sechs Elektromotoren wurden in Kooperation mit dem strategischen Partner und Investor Toyota gebaut. Das Lufttaxi bietet Platz für vier Passagiere plus Pilot:in und fliegt in der Spitze rund 320 km/h. Joby verspricht geringe Lärmemissionen: Das Fluggerät sei leise genug, um in der Nachbarschaft starten und landen zu können. Nach Abschluss der Tests 2024 soll das erste Exemplar an die Edwards Air Force Base ausgeliefert werden. Die US Air Force plant, das Fluggerät für den logistischen Transport einzusetzen.
©Volocopter
Volocopter: Rettungsdienst der Zukunft
Der deutsche Hersteller Volocopter hat das ehrgeizige Ziel, bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 als erstes Unternehmen der Branche den kommerziellen Betrieb eines Lufttaxis zu starten. Im Herbst desselben Jahres soll dann in Deutschland der erste Multikopter des Typs VoloCity von der ADAC-Luftrettung in Betrieb genommen werden – für einen mehrjährigen Test zum bemannten Einsatz im Rettungsdienst. „Ich kann mir keine bessere erste Anwendung für Volocopter in Deutschland vorstellen, als damit Leben zu retten", sagt Volocopter-Chef Dirk Hoke. Produziert wird der Multikopter in einem Hangar in Bruchsal nahe Karlsruhe. Der VoloCity wird anfangs mit Pilot:in abheben. Der Zweisitzer mit dem markanten Ring für die 18 Rotoren kann derzeit 35 Kilometer weit fliegen bei einem maximalen Tempo von 110 km/h.
©Archer Aviation
Archer Aviation: Zwischen City und Airport
Auch das kalifornische Unternehmen Archer Aviation kooperiert mit der US Air Force. Der Vertrag im Wert von bis zu 142 Millionen US-Dollar umfasst die Lieferung von eVTOL-Flugzeugen, Pilotenschulungen, die Entwicklung von Wartungs- und Reparaturverfahren sowie die gemeinsame Nutzung von Flugtestdaten. Archer hatte im Mai dieses Jahres sein erstes vollelektrisches "Midnight"-Flugzeug endmontiert. Es kann vier Passagiere plus Pilot:in und Gepäck befördern und fliegt bis zu 240 km/h schnell. Der mit zwölf Elektromotoren angetriebene Senkrechtstarter soll zudem in Kooperation mit United Airlines künftig Passagiere zwischen New York City und Newark Airport in einer geplanten Flugzeit von zehn Minuten befördern. Ab 2025 will Archer sein Urban Air Mobility-Netzwerk im Großraum New York starten.
©Beta Technologies
Beta Technologies: Erst Fracht, dann Passagiere
Die Zertifizierung seines eVTOL ALIA-250 peilt der Hersteller Beta Technologies aus Burlington im US-Bundesstaat Vermont bis 2026 an. Zuvor will das Unternehmen bis 2025 die konventionelle Version seines Elektroflugzeugs namens CX300 von der US-Luftfahrtbehörde FAA zertifizieren lassen. Das CX300 soll eine große Baugleichheit mit dem Senkrechtstarter ALIA-500 aufweisen, wird aber von herkömmlichen Start- und Landebahnen aus fliegen – und damit von Flughafen zu Flughafen. Beta plant, sich vorerst auf den Frachttransport zu konzentrieren und im zweiten Schritt Passagiere zu befördern. Der Elektroflieger bietet Platz für fünf Personen und Pilot:in. Zudem kündigte Beta-Gründer und CEO Kyle Clark an, zunächst den Elektromotor zu zertifizieren, damit er separat verkauft werden könne.
©Ehang
Ehang: Sightseeing für Touristen
Die weltweit erste Musterzulassung für ein autonom fliegendes Flugtaxi hat der chinesische Hersteller EHang nach eigenen Angaben für seine zweisitzige Passagierdrohne EH216-S im Oktober dieses Jahres von der chinesischen Luftfahrtbehörde (CAAC) erhalten. Damit kann der Testbetrieb starten. Während andere eVTOL-Hersteller vorerst mit Pilot:innen an Bord fliegen wollen, setzt EHang auf autonome Luftfahrzeuge. EH216-S kann laut Hersteller 220 Kilo Nutzlast tragen, erreicht 130 km/h in der Spitze und hat eine Reichweite von bis zu 30 Kilometern. 16 Propeller, die an acht Doppelauslegern befestigt sind, bringen das Fluggerät in die Luft. EHang plant unter anderem, ein Demonstrationszentrum für Urban Air Mobility an der OH Bay in Shenzhen einzurichten und Sightseeing-Flüge für Touristen anzubieten.
©Wisk Aero
Wisk Aero (Boeing): Abheben ohne Pilot:innen
Wisk Aero heißt die Lufttaxisparte von Boeing und war ursprünglich ein Joint Venture zwischen Kittyhawk und dem US-Flugzeugbauer. Inzwischen ist Boeing alleiniger Eigentümer des Unternehmens, das ein vollelektrisch fliegendes Lufttaxi für vier Passagiere und mit autonomer Flugsteuerung auf den Markt bringen will. Am 25. Juli 2023 flog Wisk das eVTOL der fünften Generation erstmalig auf der Airshow in Oshkosh, Wisconsin. Zwölf elektrisch angetriebene Rotoren bringen den Senkrechtstarter auf bis zu 1.219 Meter Höhe. Die sechs Rotoren an der Rückseite der Flügel arbeiten stets vertikal. Die vorderen sechs Rotoren können gekippt werden. Bei Start und Landung sind sie vertikal, in der Flugphase schwenken sie in die Horizontale. Das Modell soll nun die Musterzulassung von der US-Luftfahrtbehörde FAA erhalten.
©Elroy Air
Elroy Air: Schneller Expressversand
Als „Förderband im Himmel für den schnellen Expressversand“ beschreibt der kalifornische Drohnenhersteller Elroy Air seine vertikale Start- und Landeplattform namens Chaparral. Die erste Version kann laut Hersteller bis zu 136 Kilogramm Luftfracht über eine Entfernung von rund 480 Kilometern mit einem hybrid-elektrischen Antrieb und einfachen, redundanten Hub- und Vorwärtsflugmotoren transportieren. Der Chaparral ist Teil eines integrierten, autonomen Luftlogistiksystems, das hohe Durchsätze ermöglichen soll. Die Drohne kann landen, Fracht abladen, neue Ladung aufnehmen und in nur wenigen Minuten wieder abheben, ohne dass eine Person eingreifen muss, verspricht der Hersteller. Der Transport der Fracht erfolgt in leichten, aerodynamischen Behältern, die vom Bodenpersonal vorgeladen werden.
©Autoflight
AutoFlight: Experimentelle Flüge in Paris
Gleich drei autonome Flugzeuge vom Typ „Prosperity I“ ließ der Hersteller AutoFlight im Sommer 2023 nach eigenen Angaben zum weltweit ersten eVTOL-Formationsflug in Shanghai aufsteigen. Anfang des Jahres hatte das Unternehmen mit Sitz in Augsburg und Shanghai einen ihrer Prototypen bereits auf eine 250 Kilometer lange Reise mit einer einzigen Batterieladung geschickt. Als maximale Geschwindigkeit gibt der Entwickler 200 km/h an, als maximale Nutzlast rund 350 Kilogramm. Während der Olympischen Spiele 2024 in Paris will AutoFlight vom Pontoise Vertiport aus experimentelle Flüge durchführen. Im nächsten Jahr soll zudem eine Frachtversion von „Prosperity I“ in Asien an den Start gehen. Ein Lufttaxi für Passagiere will AutoFlight in den kommenden Jahren schrittweise entwickeln.
©Eve Air Mobility
Eve Air Mobility: Globales Servicenetzwerk
Der erste Produktionsstandort steht fest: Der eVTOL-Hersteller Eve Air Mobility, der zum brasilianischen Flugzeugbauer Embraer gehört, will sein eVTOL "Eve" in Taubaté im Bundesstaat São Paulo fertigen. Die Montage des ersten eVTOL-Prototypen soll noch 2023 beginnen, gefolgt von einer Testkampagne im nächsten Jahr. Die Inbetriebnahme ist ab 2026 geplant. Mit konkreten technischen Details hält sich der Hersteller noch bedeckt. Nur so viel: „Eve“ soll über einen herkömmlichen Flügel mit acht festen Rotoren verfügen, die vertikales Starten und Landen in einem einfachen Lift-plus-Cruise-Design ermöglichen. Der Senkrechtstarter bietet Platz für vier Passagiere plus Pilot:in und soll eine Reichweite von 100 Kilometern haben. Eve Air Mobility will außerdem ein globales Servicenetzwerk sowie Lösungen für das Luftverkehrsmanagement entwickeln.
©Lilium
Lilium: Städte direkt verbinden
Lilium, der deutsche Flugtaxi-Pionier, plant den ersten bemannten Flug seines E-Jets für die zweite Hälfte des Jahres 2024. Das Unternehmen mit Sitz in Weßling bei München entwickelt ein sechssitziges Elektroflugzeug mit 30 vollelektrischen Jetmotoren und schwenkbaren Mantelpropellern. . Bislang wurden Flugtests mit kleineren und unbemannten Prototypen durchgeführt. Lilium will seinen Jet im Bereich der Regional Air Mobility einsetzen, um Städte und Gemeinden direkt miteinander zu verbinden. Anstatt sehr kurzer Distanzen – wie bei der Urban Air Mobility – soll der Senkrechtstarter Strecken von 40 bis 200 Kilometer zurücklegen, langfristig bis zu 500 Kilometer. Derzeit arbeitet Lilium an der Produktion sowie Zertifizierung seines Jets durch die Luftfahrtbehörden EASA und FAA.