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Die X-Planes – Aufbruch der NASA zu neuen Ufern

Mit der X-1 und dem ersten Überschallflug begann die stolze Serie der NASA X-Planes 1947. Über 70 Jahre später soll der neue Experimentaljet X-66A die Zukunft des Verkehrsflugs sein.

09.2023 | Autor: Andreas Spaeth | 5 Min. Lesezeit

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Andreas Spaeth ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.

Sie haben mit der X-1 als erste die Schallmauer durchbrochen, sie sind mit der X-5 als erste mit Schwenkflügeln geflogen, haben dann mit der X-15 immer größere Flughöhen von bis über 100.000 Meter erreicht und die X-15 hält bis heute den Rekord des schnellsten bemannten Fluges – Mach 6,7 (7.274 km/h) im Jahr 1967. Andere Maschinen testeten exotische Metalllegierungen oder ungewöhnliche Aerodynamik- und Antriebskonzepte.

Alle diese Pionierflugzeuge waren sogenannte X-Planes. Dieser Begriff für Experimentalflugzeuge und Flugversuchsvehikel der NASA hat für viele in der Branche einen fast magischen Klang, ruft er doch sofort glorreiche Erinnerungen wach. Der Zweite Weltkrieg war gerade vorbei, die NASA als nationale Luft- und Raumfahrtorganisation der USA gab es noch nicht, aber schon 1946 führten zwei Versuchsflugzeuge des Typs XS-1 (später umbenannt in X-1) über dem Muroc Army Airfield (heute Edwards Air Force Base) in Kalifornien Testflüge durch.

Chuck Yeager legte den Grundstein für Amerikas Vormachtstellung

Unter der Regie der NASA-Vorgängerin NACA (National Advisory Committee for Aeronautics) fanden hier fliegerische Pioniertaten statt, die bisherige Grenzen überschreiten sollten. Das geschah am 14. Oktober 1947, als Testpilot Chuck Yeager im X-1-Raketenflugzeug erstmals die Schallmauer durchbrach. Aus der X-1 wurde über Jahrzehnte eine höchst illustre Ahnengalerie aus bis dato 72 X-Planes, die oft allerdings gar keine Flugzeuge waren und manchmal nicht einmal abhoben.

Die Forschungstechniken aus dem X-1-Programm stecken bis heute tief in der DNA aller X-Plane-Projekte, die damals angewandten Verfahren und auch das Personal bildeten die Grundlage für Amerikas Weltraumprogramm der 1960er Jahre. Schon in den 1940er Jahren entstand in den USA ein Programm für Experimentalflüge, eingerichtet von der NACA zusammen mit der US Air Force und der US Navy, später unter Federführung der NASA. Das Privileg, einem Forschungsprojekt die begehrte Auszeichnung „X-Plane“ zu verleihen, liegt bis heute bei der US Air Force – auch bei zivilen Projekten. Das US-Verteidigungsministerium hat genaue Kriterien, nach denen es solche Bezeichnungen vergibt. Und nicht alle Flugzeuge, deren Name mit einem X beginnt, sind auch tatsächlich ein X-Plane, so etwa gehörte der berühmte experimentelle Überschallbomber North American XB-70 Valkyrie in den 1960er Jahren nicht dazu.

Wegweisende NASA X-Planes


X-1 (Erstflug 1946) Das Raketenflugzeug Bell X-1 war das erste X-Plane und ist bis heute das berühmteste, da Chuck Yeager damit am 14. Oktober 1947 erstmals die Schallmauer durchbrach. Bis 1955 wurden insgesamt sieben verschiedene X-1-Varianten gebaut, sie stellten stetig neue Höhen- und Geschwindigkeitsrekorde auf. Am 12. Dezember 1953 erreichte Yeager in fast 23 Kilometer Höhe damit Mach 2,44 (3.012 km/h).

X-2 (Erstflug 1952) Die Bell X-2 war ein Raketenflugzeug, das ebenso wie ihre Vorgängerin X-1 von einem Boeing B-50 Bomber auf Reiseflughöhe abgeworfen wurde und der Erweiterung des Überschall-Flugbereichs dienen sollte. Am 27. September 1956 erreichte Testpilot Mel Abt als erster Mensch mit der X-2 dreifache Schallgeschwindigkeit auf Mach 3,2 (3.370 km/h). Kurz darauf geriet die Maschine außer Kontrolle und stürzte ab, der Pilot kam ums Leben.

X-3 Stiletto (Erstflug 1952) Die Douglas X-3 war sicher das schnittigste je gebaute X-Plane, ihr Aussehen wurde mit einem Dolch verglichen. Sie sollte eine Bauweise testen, die einen längeren Überschallflug ermöglichte. Erstmals bestand die X-3 in wesentlichen Rumpfsektionen aus Titan. Allerdings enttäuschte die X-3 ihre Erbauer, weil sie derart untermotorisiert war, dass sie nicht einmal die Schallmauer durchbrechen konnte.

X-5 (Erstflug 1951) Die Bell X-5 war das erste Flugzeug mit Schwenkflügeln, die die Flügelgeometrie an unterschiedliche Geschwindigkeitsanforderungen anpassen konnten. Das Konzept ging auf eine im Krieg nicht verwirklichte deutsche Messerschmitt-Konstruktion zurück. Obwohl die X-5 Stabilitätsprobleme hatte, konnte mit ihr das Schwenkflügel-Konzept validiert werden, das später in viele Kampfflugzeuge eingebaut wurde.

X-15 (Erstflug 1959) Die North American X-15 war ein raketengetriebenes Hyperschallflugzeug, das in den 1960er Jahren Höhen- und Geschwindigkeitsrekorde brach. Die Piloten einiger ihrer insgesamt 199 Testflüge qualifizierten sich durch Höhen von über 80 Kilometern als Astronauten, einige erreichten in über 100 Kilometer über der Erde den oberen Weltraum. Der von William Knight am 3. Oktober 1967 aufgestellte Geschwindigkeitsrekord für ein bemanntes Flugzeug von Mach 6,7 (7.274 km/h) gilt bis heute. Die X-15 wurde unter dem Flügel eines B-52-Bombers auf Reiseflughöhe ausgeklinkt.

X-29 (Erstflug 1984) Die Grumman X-29 testete ein avantgardistisches aerodynamisches Konzept mit vorwärts gepfeilten Tragflächen und Enten-Stummelflügeln (Canards) vorne am Rumpf. Er bestand teilweise aus Verbundwerkstoffen, aufgrund der aerodynamischen Instabilität des Konzepts verfügte die X-29 über eine computerisierte Fly-by-wire-Steuerung. Die Hoffnungen der Ingenieure in Bezug auf eine größere Agilität des X-29-Designs und eine spürbare Verringerung des Luftwiderstands wurden jedoch enttäuscht.


Manche X-Planes schaffen es gar nicht bis zum Erstflug

X-Planes haben viele Gemeinsamkeiten: Üblicherweise ist es ihre Mission, Entwürfe und Technologien zu testen, die sich dann in andere Flugzeugdesigns übernehmen lassen. Sie dienen aber nicht als Prototypen für Serienflugzeuge und die Projekte gelingen auch nicht immer. Manche heben erst gar nicht ab. Wie das geplante Elektro-Versuchsflugzeug X-57 Maxwell, das die X-Plane-Klassifizierung 2016 erhielt und eigentlich noch 2023 zum Erstflug starten sollte. Nun aber wird das Programm eingestellt. Begründet wird das mit Sicherheitsbedenken, die sich innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens und Budgets nicht lösen ließen.

„Nicht zu fliegen fühlt sich nicht toll an“, sagte Bradley Flick, der Direktor des NASA Armstrong Flugversuchszentrums. „Trotz der Enttäuschung hat das Projekt der Industrie aber grundlegende Lerneffekte für den Elektroflug beschert“, so Flick. Sicherheit ist bei den X-Planes ein großes Thema, denn immer wieder bewegen sie sich derart an den Grenzen des Machbaren, dass es zu Unfällen kommt. Seit Programmbeginn 1946 gab es etwa 15 schwerere Unglücksfälle, vier Piloten kamen dabei ums Leben. Trotz dessen und auch trotz der Einstellung der X-57 herrscht aber gerade Aufbruchsstimmung, gibt es doch zwei sehr ambitionierte aktuelle X-Plane-Projekte.

Die Aufgabe der X-59: Zeigen dass Überschall auch leise geht

Vermutlich 2024 soll die Lockheed Martin X-59 QueSST (Quiet Supersonic Transport) zum ersten Flug starten. Der 29 Meter lange Einsitzer hat eine seltsame Form mit lang gestreckter, flacher Frontsektion wie ein Schnabeligel. Die X-59 soll aus einem einzigen Grund mit Mach 1,42 in maximal 16.800 Meter Höhe über bewohntem Gebiet fliegen: Um zu testen, ob die neue Flugzeugform dafür ausreicht, den Überschallknall so zu minimieren, dass er nur noch dem Zuschlagen einer Autotür gleicht. Und damit möglicherweise künftig die bisher verbotenen Überschallflüge über Land zu ermöglichen.

Erst im Juni 2023 erhielt das jüngste X-Plane-Projekt die Designierung X-66A, auf ihm ruhen große Hoffnungen für die Entwicklung künftiger Verkehrsflugzeuge. Im Rahmen ihres Programms für nachhaltige Flugdemonstration hatte die NASA Boeings Konzept der Transonic Truss-Braced Wing (TTBW) ausgewählt, zu Deutsch etwa „abgestrebter Flügel für den transsonischen Bereich“. Boeings Chief Technology Officer Todd Citron war begeistert: „Wir sind unglaublich stolz über diese Bezeichnung, weil das heißt, dass die X-66A das nächste in einer langen Folge von Experimentalflugzeugen sein wird, die genutzt wurden, um bahnbrechende Designs zu validieren, die die Luftfahrt verändert haben.“ Die X-66A unterscheidet sich von den anderen X-Planes der letzten knapp 80 Jahre, weil auf ihr die Produktion eines Verkehrsflugzeugs der nächsten Generation aufbauen soll und auf den Tests kommerzielle Erwartungen liegen. Den Mythos der X-Planes dürfte das, wenn es klappt, nur noch vergrößern.

Das neueste X-Plane Familienmitglied – die Boeing X-66A

Schon 2028 oder 2029 könnte das größte X-Plane jemals abheben. Auf ihm ruhen große Hoffnungen, dass es in den späten 2030er Jahren als Verkehrsflugzeug der Zukunft in Serie gehen könnte. Dazu wird eine früher von Delta Air Lines betriebene McDonnell Douglas MD-90 stark modifiziert. Cockpit und T-Leitwerk werden übernommen, ganz neu sind die Tragflächen mit hohem Seitenverhältnis (Aspekt Ratio), die extrem lang und dünn sind, was weniger Widerstand erzeugt. Die Spannweite liegt bei 44 Metern, das ist etwa 50 Prozent länger als bei einem konventionellen Verkehrsflugzeug vergleichbarer Größe. Um diese Form strukturell zu ermöglichen, werden unten im Rumpf verankerte Streben, die ihrerseits Auftrieb erzeugen, jeweils unter der Mitte der Tragflächen verlaufen. Da das Flugzeug transsonische Geschwindigkeiten von Mach 0,8 bis Mach 1,2 um die Schallgrenze herum erreicht, heißt das Konzept Transonic Truss-Braced Wing (TTBW). Das Tragflächendesign allein soll rund zehn Prozent Treibstoff einsparen, mit anderen aerodynamischen Verbesserungen sowie neuen Triebwerkskonzepten könnte die X-66A bis zu 30 Prozent effizienter als heute gängige Jets sein.

Zunächst wird die X-66A, die in einer Zweiklassenkabine 154 Passagiere befördern soll, von zwei GTF-Triebwerken angetrieben. Es ist das erste Mal seit der Boeing 757, dass Triebwerke von Pratt & Whitney an einem Boeing-Standardrumpfflugzeug zum Zug kommen.

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