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Grün und günstig – das Versprechen der neuen Luftschiffe

Riesige neue Lastenluftschiffe sollen die Logistik in abgelegenen Gegenden revolutionieren. Die Erbauer der neuesten Generation haben ihre Lektionen aus der Geschichte gelernt.

09.2023 | Autor: Andreas Spaeth | 6 Min. Lesezeit

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Andreas Spaeth ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.

Kaum 50 Kilometer sind es vom Flughafen Berlin/Brandenburg auf der Autobahn A13, dann sehen Autofahrer:innen links über der flachen märkischen Landschaft die größte freitragende Halle der Welt aufragen. Was heute ein tropisches Badeparadies ist, entstand in den 1990er Jahren zu einem ganz anderen Zweck: Hier sollte der Cargolifter gebaut werden, das mit Abstand größte Luftschiff der Welt mit 260 Meter Länge, 15 Meter länger als der legendäre Zeppelin LZ 129 „Hindenburg“ aus den 1930er Jahren. Doch keiner dieser Giganten entstand jemals, denn schon 2002 war die Firma pleite. Trotzdem bleibt Deutschland die Heimat der fliegenden Riesenzigarren. So ist der einzige Ort der Welt, an dem man heute regulär einen Passagierflug in einem Luftschiff buchen kann, Friedrichshafen am Bodensee. Hier starten zwischen April und November moderne Zeppelin NT-Luftschiffe zu spektakulären Rundflügen. Wer das erlebt hat, wird die Erfahrung des sanften, fast lautlosen Dahinschwebens über die Landschaft nie vergessen.

Friedrichshafen am Bodensee: Hier starten zwischen April und November moderne Zeppelin NT-Luftschiffe zu spektakulären Rundflügen.

Und die Expertise des heutigen Unternehmen Zeppelin NT ist weltweit begehrt, sogar in den historischen Luftschiffhangars in Sunnyvale, Kalifornien, nutzt man Komponenten aus Friedrichshafen. Hier am Moffett Air Field waren vor 90 Jahren schon die größten Luftschiffe Amerikas stationiert wie die 240 Meter lange Macon der US Navy. Und heute entsteht hier ein Luftschiff der neuesten Generation – die 122 Meter lange Pathfinder 1 konnte im Mai 2023 erstmals abheben, wenn auch nur im Hangar und ein paar Zentimeter hoch über dem Boden schwebend. Ihre Passagiergondel sowie das Fahrwerk stammen aus Friedrichshafen. Hinter dem Projekt steckt die Firma LTA (Lighter than Air), sie gehört Google-Mitgründer Sergey Brin. Ihre Mission ist es, dank Hightech mit Struktur aus Kohlefaser und der Nutzung von nicht brennbarem Helium als Traggas sowie künftig Solarzellen, Batterien und Elektromotoren ein „grünes“ Luftschiff zu bauen. Die Aufgaben des Pathfinder 1 sollen im humanitären Bereich liegen, um schnell Hilfe in abgelegene Katastrophengebiete zu bringen, etwa nach Erdbeben. Die neuen Luftschiffe brauchen dafür keinen Landeplatz, sondern können ihre Fracht in der Luft schwebend ein- oder ausladen.

Die Gesäßform liefert 40 Prozent des Auftriebs

Im Zuge der fortschreitenden Entwicklung nachhaltiger Fluggeräte haben Ingenieurinnen und Unternehmensgründer in den letzten Jahren in Amerika und Europa den Fokus erstmals wieder auf Luftschiffe gelenkt. Und dabei eine neue Generation der sogenannten fliegenden Zigarren entworfen – nicht konventionell motorisiert, sondern mit elektrischem oder hybrid-elektrischem Antrieb, gespeist von Brennstoffzellen oder Solarzellen außen auf der Hülle. „Es ist erfreulich, dass sich eine Reihe von Firmen mit der Renaissance des Luftschiffs im Kontext der notwendigen Reduktion von CO2-Emissionen in der Luftfahrt beschäftigen“, sagt Prof. Dr. Uwe Apel, Professor für Luft- und Raumfahrttechnik an der Hochschule Bremen. Das technisch überzeugendste Konzept liefert für ihn der amerikanische LTA Pathfinder.

Hybrid Air Vehicles: Der Airlander ist ein sogenanntes Prallluftfahrtschiff, welches ohne starres inneres Gewicht auskommt.

In Europa ist derzeit die britische Firma Hybrid Air Vehicles (HAV) am weitesten, ihr Airlander 10 hat von hinten betrachtet die ungewöhnliche Form eines Gesäßes und wird daher scherzhaft „fliegender Popo“ genannt. Das hat Kalkül: Die Form allein liefert 40 Prozent des Auftriebs. Der Airlander ist ein sogenanntes Prallluftfahrtschiff, welches ohne starres inneres Gewicht auskommt. Die Luftschiffhülle ist dabei der Behälter für das Traggas sowie das tragende System zugleich. Das Vehikel soll neben der Frachtbeförderung vor allem auch dem kommerziellen Passagiertransport dienen. Die spanische Regionalfluggesellschaft Air Nostrum hat 20 Airlander 10 vorbestellt. Schon 2026 hofft sie, Luftschiffe zwischen Barcelona und Mallorca verkehren lassen zu können; voraussichtliche Flugzeit: vier Stunden. Platz wäre an Bord für hundert Passagiere oder zehn Tonnen Fracht. Das 92 Meter lange und 42 Meter breite Vehikel wird eine Reisegeschwindigkeit von 130 km/h und eine Reichweite von 3.700 Kilometern erreichen können. Es wird auch schon am wesentlich größeren Nachfolgemodell Airlander 50 gearbeitet, das bis zu 200 Passagiere befördern soll oder 50 Tonnen Nutzlast befördern kann.

H2 Clipper: Das Luftschiff soll ab 2029 fast 10.000 Kilometer mit einer Geschwindigkeit von 280 km/h zurücklegen.

Viel weiter und wesentlich schneller könnte der H2 Clipper fliegen. Das derzeit von der gleichnamigen kalifornischen Firma entwickelte Luftschiff soll ab 2029 fast 10.000 Kilometer mit einer Geschwindigkeit von 280 km/h zurücklegen und von Wasserstoff-Brennstoffzellen-Elektromotoren angetrieben werden. Die Nutzlast soll bis zu 154 Tonnen betragen, rund ein Drittel mehr als herkömmliche Frachtflugzeuge. „Der Clipper ist für den Lastentransport auf Langstrecken ausgelegt“, erläutert Firmenchef Rinaldo Brutoco. „Großes Potenzial sehen wir etwa bei Frachtflügen zwischen China und den USA.“ Für die Strecke über den Pazifik bräuchte das Luftschiff nur knapp 36 Stunden. Abhängig vom künftigen Preis für Wasserstoff-Brennstoffzellen wäre der „Frachttransport mit dem Clipper bis zu 75 Prozent günstiger als heute – und zudem nahezu emissionsfrei“. Ferner wolle man ab 2029 „eine große Anzahl Luftschiffe für den CO2-neutralen Transport von grünem Wasserstoff einsetzen“, so Brutoco, der den geplanten weltweiten Wasserstoff-Lieferdienst „Pipeline in the SkyTM“ nennt. Vor allem aber wäre der H2 Clipper das erste Luftschiff seit dem Hindenburg-Unglück 1939, das Wasserstoff als Traggas nutzt. Die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA erlaubt dies seit 2022, in den USA steht das noch aus.

Flying Whales: In der großen Gondel des Airlander 10 könnte eine 16-köpfige Besatzung zum Beispiel komfortabel bis zu fünf Tage in der Luft bleiben.

Die Besatzung kann fünf Tage komfortabel in der Gondel leben

Im Segment außergewöhnlich große Frachtgüter sieht das französische Projekt Flying Whales seinen Markt, unterstützt mit staatlichen Geldern aus dem Heimatland und aus Québec in Kanada. Riesige Rotoren von Windkraftanlagen könnten vom 200 Meter langen Luftschiff LCA60T aus der Luft direkt am abgelegensten Bauplatz entladen werden, mobile Hospitäler in Katastrophengebiete geflogen oder schwere Baumstämme aus unwegsamem Gelände geholt werden. 40 Vorbestellungen liegen bereits vor. Der Bremer Professor Apel sieht hier durchaus einen möglichen Markt und attestiert dem französischen Projekt „den richtigen Ansatz“, obwohl es nach seinem Eindruck in der Entwicklung noch nicht weit fortgeschritten ist. Auch für die Nutzung als Höhenplattform wären die neuen Riesen geeignet, etwa für Erdbeobachtung oder Mobilfunkübertragung. In der großen Gondel des Airlander 10 könnte eine 16-köpfige Besatzung zum Beispiel komfortabel bis zu fünf Tage in der Luft bleiben. Entscheidender Vorteil ist, dass Luftschiffe nicht auf komplexe Infrastruktur wie Häfen oder Flughäfen angewiesen sind.

Prof. Dr. Jens Friedrichs, Leiter der Arbeitsgruppe für Propulsoren an der TU Braunschweig, weist allerdings auf ein gravierendes Problem der Frachtluftschiffe hin: „Beim Be- und Entladen müssen Auftrieb und Traggewicht präzise ausgeglichen werden, damit das Luftschiff nicht in Schräglage gerät und zu kentern droht. Die dafür geeigneten Verfahren sind entweder teuer – oder bislang nicht ausreichend erforscht.“ Überdies seien die mit Helium gefüllten fliegenden Hohlkörper im Betrieb recht störungsanfällig: „Bei Sturm, Starkregen oder Schneefall reicht es nicht aus, sie an einem Mast festzubinden“, so Friedrichs, „man braucht einen großen Hangar, denn die Außenhaut ist sehr empfindlich.“

Wer nicht fliegt, um Geld zu verdienen, ist im Vorteil

Wenn der amerikanische Luftfahrtanalyst Richard Aboulafia gefragt wird, ob eines der neuen Luftschiffprojekte den Markt verändern wird, sagt er: „Hoffnung besteht immer.“ Ein Geschäftsmodell sieht er aber nicht: „Für den Passagiermarkt lässt es sich nicht skalieren. Im Frachtmarkt kann ich mir keine Güter vorstellen, die jemand schneller und zu höherem Preis als per Schiff, aber langsamer als per Flugzeug verschicken will.“ Wenn überhaupt, wird der Pathfinder von LTA im Vorteil gesehen als geräumiges und stabiles Luftschiff mit einem entscheidenden Plus: Es ist in humanitärer Mission unterwegs.

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