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Im Cargo-Transport haben kleinere Jets Auftrieb

Der Online-Handel sorgt für einen Paket-Boom, von dem die Luftfracht profitiert. Schnell geliefert wird mit Großraum-Frachtmaschinen und verstärkt auch mit kleineren Jets.

09.2021 | Autorin: Nicole Geffert | 6 Min. Lesezeit

Autorin:
Nicole Geffert arbeitet seit 1999 als freie Journalistin mit den Themen Forschung und Wissenschaft, Geld und Steuern, Ausbildung und Beruf.

Diese Luftfracht ist exklusiv: 247 Sportpferde wurden an Bord einer speziell ausgebauten Boeing 777-Frachtmaschine mit insgesamt acht Sonderflügen vom belgischen Flughafen Lüttich zu den Olympischen Spielen nach Tokyo geflogen – inklusive tonnenschwerem Equipment, Verpflegung sowie Pferdepfleger:innen.

„Das Cargo-Geschäft spielt aktuell für viele Airlines eine deutlich wichtigere Rolle als vor der Pandemie“

Marko Niffka

Experte für Business Development – MRO bei der MTU Aero Engines

Wenn es darum geht, hochwertige und zeitsensible Waren zu transportieren, hat das Flugzeug gegenüber dem Schiff als Transportmittel die Nase vorn. Das wurde einmal mehr deutlich, als im März 2021 die "Ever Given" im Suezkanal auf Grund lief und die wichtige Wasserstraße zwischen Asien und Europa für sechs Tage blockierte – was den weltweiten Handel empfindlich störte. Währenddessen brummte die Luftfracht – und die Branche ist weiter im Steigflug, während sich die Passagierluftfahrt erst langsam von den Folgen der Covid-19-Pandemie erholt.

„Das Cargo-Geschäft spielt aktuell für viele Airlines eine deutlich wichtigere Rolle als vor der Pandemie“, sagt Marko Niffka, Experte für Business Development – MRO bei der MTU Aero Engines. Laut der Internationalen Luftverkehrsvereinigung IATA wird die Luftfracht 2021 rund ein Drittel der globalen Umsätze der gesamten Luftfahrtindustrie erzielen. Zum Vergleich: Vor der Pandemie waren es 10 bis 15 Prozent.

Weitere Prognosen stimmen zuversichtlich: Die globale Luftfrachtbranche werde im Jahr 2021 fast die Frachtmenge des Rekordjahres 2018 erreichen, so die IATA, die für das laufende Jahr mit einem Aufkommen von 63,1 Millionen Tonnen rechnet. 2018, im bislang für die Luftfracht nach Aufkommen besten Jahr ihrer Geschichte, wurde ein Umschlag von 63,5 Millionen Tonnen erzielt. 2021 werden die Frachttonnenkilometer (CTKs) voraussichtlich um 13,1 Prozent gegenüber 2020 steigen – angetrieben durch ein Wirtschaftswachstum in Handel und Produktion. So prognostiziert die Welthandelsorganisation WTO für dieses Jahr ein globales Wachstum von acht Prozent gegenüber 2020.

Aufteilung globale Umsätze der Luftfahrtindustrie Cargo vs. Passagier

Schneller ans Ziel: Der durch die Pandemie rasant angestiegene Online-Handel hat dem Frachtgeschäft einen ordentlichen Boom gegeben: Wer im Internet bestellt, will nicht wochenlang auf die heiß begehrte Ware warten. Es soll fix gehen mit der Lieferung – da hat das Flugzeug als Transportmittel die Nase vorn.

E-Commerce beflügelt den Markt

Dabei ging der weltweite Export im Frühling 2020 zunächst zurück. Niffka: „Rund 50 Prozent der Luftfracht wurden bis zur Pandemie nicht in Frachtmaschinen transportiert, sondern als Bellyfracht, also als Beiladefracht, in Passagiermaschinen.“ Da wegen der Pandemie vor allem viele Langstreckenverbindungen eingestellt werden mussten, fehlen diese Kapazitäten für die Luftfracht, was wiederum die Transportkosten nach oben schnellen ließ. Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach einer schnelleren Auslieferung dringend benötigter Waren.

„Masken, Kittel, medizinisches Gerät und Medikamente mussten vor allem zu Beginn der Pandemie sicher, zügig und zuverlässig transportiert werden“, erläutert Niffka. „Diese Transporte hatten aber nur einen kurzfristigen Effekt. Viel wichtiger sind Treiber, die langfristig den Cargo-Markt beflügeln – allen voran der E-Commerce-Handel, der den Paket-Boom nochmals beschleunigt hat.“

Anstieg der eingesetzten Flugzeuge in der Luftfracht pro Jahr gemessen an 2010 (In Prozent)

Luftfracht auf dem Vormarsch: Seit 2010 ist der Anteil der im Cargo-Segment eingesetzten Narrowbodies und Widebodies um knapp 50 Prozent angestiegen.

Selbst Konsumenten, die bis zur Pandemie nur selten im Internet bestellt hatten, freundeten sich zunehmend mit dem Online-Shopping an, da Geschäfte und Gastronomie über Wochen und Monate geschlossen waren. Wer im Internet bestellt, will nicht wochenlang auf die heiß begehrte Ware warten. Es soll fix gehen mit der Lieferung, möglichst binnen ein bis zwei Tagen. „Die Luftfrachtlogistiker setzen alles daran, mit schnellen Liefer- und Umschlagszeiten und einem Höchstmaß an Flexibilität und Zuverlässigkeit die pünktliche Zustellung der Güter sicherzustellen“, sagt Daniel Giesecke, Experte für Strategie- und Marktanalysen bei der MTU.

Amazon beispielsweise will die Bestellungen seiner Kunden künftig auch mit eigenen Flugzeugen ausliefern. Bislang hatte der Online-Händler vor allem auf das im Frachtgeschäft weit verbreitete Leasing gesetzt. Anfang 2021 gab er den Kauf von elf Boeing 767-300 für seine Frachterflotte bekannt. Die Maschinen kamen gebraucht von den Airlines Delta und WestJet, die sie angesichts der Krise in der Passagierluftfahrt nicht mehr oder im geringeren Umfang einsetzen.

Vom Passagierjet zum Frachtflugzeug: Amazon Air hat dieses Jahr vier Boeing 767-300 von WestJet erworben, welche derzeit von Passagier- auf Frachtflugzeuge umgerüstet werden. Bei solchen Umbauten spricht man von einer „Conversion“.

Vom Passagierjet zur Frachtmaschine

Die Boeing 767-300ER, eine Version der 767-300 mit größerer Reichweite und zusätzlichem Rumpftank, gehört zu den bewährten Lasteseln der Lüfte, die vor allem die Langstrecken bedienen – wie unter anderem auch die B777-200LRF und 747-BF, die B747-400ERF und -400BCF, die McDonnell Douglas MD-11F oder auch die A300-600F von Airbus. Die Vorteile der Widebodies im Frachteinsatz sind ihre Reichweite, Ladekapazität und Betriebskosten. Der Transport der Güter erfolgt sowohl in neu produzierten Frachtmaschinen als auch in ehemaligen, zu Frachtern umgebauten Passagierjets.

Keine Fracht von heute auf morgen: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Keine Fracht von heute auf morgen: Wenn Passagierjets als Frachter eine zweite Karriere starten, müssen vorab aufwändige und kosten­intensive Umbauten durchgeführt werden.

„Bisher wurden vor allem Widebodies, wenn sie ihr Soll als Passagierflieger erfüllt hatten, umgebaut, und bekamen dann als Frachtmaschine ein zweites Leben“, sagt Giesecke. „Infolge des gestiegenen weltweiten E-Commerce-Handels setzen Logistikunternehmen aber auch zunehmend auf umgebaute Narrowbody-Flugzeuge, also Kurz- und Mittelstreckenjets. Denn die werden schneller beladen und bringen die Ware somit schneller ans Ziel.“

Die kleineren Maschinen übernehmen im Frachttransport eine immer wichtigere Rolle. „Die Waren werden mit einem Widebody von der Zentrale zu einem internationalen Luftfracht-Drehkreuz transportiert und dort in kleinere Frachtflugzeuge umgeladen, die dann kleinere Zielflughäfen ansteuern. Das spart enorm viel Zeit gegenüber der Alternative, die Ware für den Rest der Strecke per Lastwagen zu transportieren“, erläutert Niffka.

Kunden erwarten immer kürzere Lieferzeiten

Keine Frage, Narrowbodies sind im boomenden Cargo-Geschäft im Kommen. Passagierjets wie die Boeing 737-800 oder der Airbus A321 werden zu Frachtmaschinen umgebaut. Lufthansa Cargo beispielsweise baut so die eigenen Frachtkapazitäten aus. Ab 2022 setzt das Unternehmen zwei zu Frachtern umgebaute Passagiermaschinen vom Typ A321 auf Kontinentalstrecken in Europa ein. Die Mittelstreckenjets erhalten dafür Frachttüren, um Container auch auf dem Hauptdeck transportieren zu können. Da der Kunde immer kürzere Lieferzeiten erwarte, steige auch innereuropäisch der Bedarf nach Flugverbindungen in der Luftfracht, so das Unternehmen. Mit dem A321 könnten 28 Tonnen pro Flug transportiert werden – also erheblich größere Frachtmengen als in den Bellys der Kurzstreckenjets.

Wenn Passagierjets zu Frachtern konvertiert werden, setzen viele Cargo-Unternehmen auf ältere Modelle. Niffka: „Bevorzugt werden Maschinen umgebaut, die circa 10 bis 15 Jahre alt sind. Dann rechnet sich der kostenintensive Umbau.“ Denn einfach nur die Sitze zu entfernen, um Pakete in der Kabine zu stapeln, ist weder effizient noch zulässig. Jets, die für den Passagiertransport zugelassen sind, dürfen in der Regel nicht von heute auf morgen Fracht in der Kabine transportieren. Zudem ist die strukturelle Belastbarkeit eines Passagierflugzeugs geringer als die einer Frachtmaschine. Nicht zu vergessen: Durch die Einstiegstüren für Passagiere passt keine großvolumige Fracht. Große Ladetüren müssen nachgerüstet werden.

Spezieller Service in der Instandhaltung

Im Frachtbetrieb, wo bevorzugt ältere Baureihen zum Einsatz kommen, fallen die Vorteile moderner Jets oft nicht so ins Gewicht. „Es gibt Strecken, auf denen ältere Modelle sich lohnen, aber auch solche, auf denen neue Maschinen sich rechnen“, erläutert Niffka. Das hängt unter anderem vom Operator und seinem Geschäftsmodell, von der Art der Fracht sowie von einer Vielzahl weiterer Faktoren ab, wie etwa Treibstoffpreis, erzielbare Frachtraten und Gebrauch. „Frachtmaschinen stehen häufig länger am Boden, fliegen oft nur während der Nacht und sind insgesamt weniger in der Luft als Passagiermaschinen“, so Niffka.

Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit: Die MTU Maintenance kennt die Anforderungen und Wünsche ihrer Cargo-Kunden und ist als MRO-Partner sehr gut aufgestellt

Besitzer älterer Flugzeuge mit bewährter Antriebstechnologie müssen in der Instandhaltung allerdings keine Abstriche bei Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit machen – schließlich zählen im Frachtgeschäft die gleichen hohen Standards wie in der Passagierluftfahrt. Die neuen Dynamiken auf dem Cargo-Markt bringen weitere Anforderungen und Wünsche der Cargo-Kunden mit sich. Luc Morvan, Leiter des Büros der MTU Maintenance Lease Services in Singapur, und Les Cronin, Senior Director of Sales, The Americas bei der MTU Maintenance in Atlanta, haben sich deshalb einmal genauer über Trends, Herausforderungen und Service-Bedarfe im Luftfrachtgeschäft unterhalten.

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