aviation
Vancouvers Wasserflugzeuge fliegen bald mit Elektroantrieb
Wasserflugzeuge sind in Westkanada ein normales Verkehrsmittel. Schon ab 2025 will der größte Betreiber Harbour Air mit der eBeaver elektrisch und damit nachhaltig fliegen.
02.2024 | Autor: Andreas Spaeth | 7 Min. Lesezeit
Autor:
Andreas Spaeth
ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.
©Harbour Air
Das Wasser schimmert ebenso blau wie der Himmel in der Morgensonne vor der imposanten Bergkulisse im Hafen von Vancouver. Ein perfekter Zeitpunkt, um ein typisches Verkehrsmittel für die meistbeflogene Strecke an der kanadischen Westküste zu nutzen: Ein Wasserflugzeug des größten Anbieters Harbour Air. So entspannt ist das Fliegen sonst nirgends – das gemütliche Terminal am Vancouver Harbour Flight Centre ist zu Fuß von der Innenstadt zu erreichen, niemand muss lange warten. Kurz vor dem Start holt der Pilot seine Passagiere persönlich ab und bringt sie auf den Anleger zum Flugzeug. „Fünf bis zehn Minuten vor Abflug ist Boarding, es reicht also kurz vorher da zu sein“, sagt Bert van der Stege.
28
Flüge täglich
Stehen für starke Nachfrage und konstanten Service von Harbour Air
Der 45-Jährige Niederländer ist seit September 2022 Firmenchef von Harbour Air und lebt mit seiner Familie in Victoria auf Vancouver Island, der schmucken Hauptstadt der Provinz British Columbia. Die Zweieinhalb-Millionen-Metropole Vancouver liegt gerade 95 Kilometer Luftlinie oder 26 Flugminuten entfernt, und van der Stege pendelt wie viele seiner Passagiere zwischen beiden Städten. Das Wasserflugzeug bietet wie so oft in Kanada die schnellste Verbindung, Wasser gibt es fast überall, Flughäfen hingegen nicht. In Vancouver und Victoria steigen die Passagiere jeweils mitten in der Stadt ein und aus.
Harbour Air in Zahlen
Streckennetz: Vancouver Harbour nach Victoria Harbour ist die wichtigste Strecke mit täglich bis zu 28 Flügen je Richtung. Von Vancouver nach Seattle Lake Union sowie nach Tofino verlaufen die längsten Routen, die Flugzeit beträgt jeweils 50 Minuten. Die touristischen Ziele Tofino, Comox sowie Whistler werden nur im Sommer saisonal angeflogen. Zudem umfasst das Streckennetz noch fünf weitere Ziele in der Region, darunter Richmond, gelegen unmittelbar am internationalen Flughafen von Vancouver mit Elektrobus-Shuttle zum Hauptterminal.
Beförderte Passagiere:
2018 – 430.000, 2019 – 450.000, 2022 – 380.000, 2023 – 440.000
Tägliche Flüge im Sommer:
280–300
Flotte 2024:
1x Cessna 208B Grand Caravan EX (9 Sitze), 14x DHC-2 Beaver (6 Sitze), 23x DHC-3T Otter (14 Sitze), 4x DHC-6 Twin Otter (18 Sitze)
440.000
Passagiere (2023)
Harbour Air ist ein wichtiger regionaler Luftverkehrsanbieter
Aus dem Fenster sieht man Wale
„Die häufigsten unserer Vielflieger fliegen zwei- oder dreimal die Woche hin und her. Von denen liest keiner Zeitung oder schaut aufs Handy, die blicken immer wieder aus dem Fenster. Mir hat gerade ein Stammkunde an Bord vorgeschwärmt, dass er eben Wale gesehen hat. Es ist eine andere Art zu reisen – und einzigartig für Kanadier, wenn sie so zur Arbeit erscheinen“ erklärt der Harbour Air-Chef. Geflogen wird auf Sicht, daher sind die Flüge im Sommer bei gutem Wetter fast immer pünktlich. Innerhalb der angeflogenen Häfen sind die nassen Pisten durch Bojen markiert, zur Verbesserung von Pünktlichkeit und Sicherheit bei schlechterer Sicht nutzen die ersten Zielorte wie Victoria neuerdings auch einen Instrumentenanflug. Die größeren Landeplätze verfügen über einen eigenen Kontrollturm für Wasserflugzeuge.
Mehr als die Hälfte der 2023 rund 440.000 Passagiere von Harbour Air fliegen zwischen Vancouver und Victoria. Bis zu 28 Mal täglich pro Richtung pendeln die Flugzeuge mit ihren zwischen sechs und 18 Sitzen auf dieser Strecke, wo Harbour Air 55 Prozent ihrer gesamten Flugkapazität einsetzt. Die private kanadische Airline ist mit 45 Maschinen auf Schwimmern der zweitgrößte Betreiber von Linienflügen mit Wasserflugzeugen auf der Welt, nach Maldivian Air Taxi im Indischen Ozean.
©Harbour Air
72 Kilometer: Die Distanz, die während des 24-minütigen Elektroflugs zurückgelegt wurde. Ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung von elektrischen Wasserflugzeugen.
1957
Das Baujahr des de Havilland DHC-2 Beaver steht für Langlebigkeit dieses Flugzeugtyp
Weltpremiere bei Harbour Air: Der erste Elektroflug
Im Dezember 2019 machte die kleine Gesellschaft weltweit Schlagzeilen: „Erster Elektroflug eines Passagierflugzeugs“. Der Star des Tages war kurioserweise ein bereits 1957 gebautes Flugzeug, das seit 1967 nicht mehr produziert wird: Der legendäre kanadische Buschflieger de Havilland DHC-2 Beaver. Harbour Air betreibt 14 Stück der Sechssitzer und versichert, technisch seien die intensiv gepflegten Arbeitspferde wie neu. Der Elektro-Erstflug über Vancouver dauerte nur 15 Minuten, dafür war der bisher vorn angebrachte Pratt & Whitney P-985 Wasp Junior-Kolbenmotor gegen einen Magni500-Elektromotor des US-Herstellers MagniX ausgetauscht worden, der 559 kW (750 PS) leistet.
Die erste Batterie lieferte ein US-Hersteller. Im August 2022 folgte dann nach der Pandemie der weltweit erste rein elektrische Punkt-zu-Punkt-Flug eines „ePlanes“, er dauerte 24 Minuten und legte 72 Kilometer zurück. „Wir haben bis Herbst 2023 mit der ersten elektrischen Beaver 78 Starts und Landungen und etwa 50 Flugstunden absolviert, merken aber, dass die Batterie von 2019 mit der Zeit nachlässt“, sagt Bert van der Stege. „Jetzt wechseln wir sie aus gegen eine neue, leichtere Version der Schweizer Firma H55, die für den Prototyp des zweiten Flugzeugs, das wir zertifizieren lassen wollen, die Batterie liefert.“
Eine neue Batterie vom Solarflug-Pionier
Mitgründer von H55 mit heute 120 Mitarbeitern ist André Borschberg, der mit seinem Pilotenkollegen Bertrand Piccard 2015/2016 auf dem Rekordflug im Solar-Flugzeug „Solar Impulse“ ausschließlich mit Sonnenenergie einmal die Welt umrundet hatte. „Harbour Air ist als Pionier ein sehr interessantes Beispiel, sie haben eigenständig entschieden, die Elektrifizierung voranzutreiben, und wir brauchen Partner, die wirklich den ersten Schritt machen wollen“, betont André Borschberg. Den Antrieb liefert wieder MagniX aus Seattle, diesmal den stärkeren Magni650-Elektromotor mit 640 kW (850 PS). Derzeit läuft die Zulassung der neuen „eBeaver“ bei der FAA in den USA sowie in Kanada. „Wir arbeiten daran, dass wir bis 2025 ein zertifiziertes Flugzeug bekommen. Wenn wir das schaffen, hat es eine Reichweite von 30 bis 35 Minuten plus 25 Reserveminuten, das reicht für die meisten unserer Strecken“, sagt der Harbour Air-Chef. „Die Hoffnung ist, dass wir ab Ende 2025 auf diesen Flügen drei, vielleicht sogar vier Passagiere mitnehmen können“, so Bert van der Stege.
In zehn Jahren könnte die ganze Flotte emissionsfrei fliegen
Inklusive einer möglicherweise künftig mit Wasserstoff hybrid-getriebenen Twin Otter, dem größten Flugzeug mit 18 Sitzen, könnte es etwa zehn Jahre dauern, bis die gesamte Flotte umweltfreundlich angetrieben ist. „Vielleicht schaffen wir es, weltweit die erste Airline zu werden, die schon in weniger als zwei Jahren kommerzielle Tickets auf Linienflügen von A nach B mit Elektroflugzeugen verkauft“, mutmaßt van der Stege. Bisher lief das Testflugprogramm der „eBeaver“ erstaunlich reibungslos: „Wir sind fast enttäuscht, dass nicht viel passiert und alles nach Plan läuft, es gibt sehr wenige Überraschungen.“ Manche Erkenntnis ist trotzdem neu: „Die Batterieleistung und die Ladedauer hängen auch von der Wassertemperatur ab. Je länger die Maschine im kalten Wasser parkt, desto länger dauert das auch. Aber unser Vorteil ist, dass wir in sehr niedriger Höhe fliegen und daher beim Start sehr viel weniger Energie brauchen als andere.“
5
Millionen Kanadische Dollar
Harbour Airs Investition in nachhaltige Flugtechnologien
Viel Geld, Schweiß und immer neue Hürden
Harbour Air ist dabei mit ihren Erfahrungen ein wichtiger Wegbereiter und lässt sich das Projekt fünf Millionen kanadische Dollar kosten, viel Geld für eine kleine Firma. Eine Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeit spielt sie aber schon lange. Bereits seit 2007 operiert die Gesellschaft als erste in Nordamerika durch Ausgleichszahlungen komplett CO2-neutral.
Nun will sie alles versuchen, um wiederum Pionier darin zu sein, überhaupt keine Emissionen mehr zu verursachen, auch wenn das Ziel ehrgeizig ist. „Innovation ist nicht einfach, da sind viele Hürden zu überwinden“, weiß van der Stege – und es stehen ihm vermutlich noch viele bevor auf dem Weg zum grünen Fliegen.
©Andreas Spaeth
Aufstieg bei Harbour Air: Der Karriereweg eines Piloten vom Hafenarbeiter zum Flugkapitän.
©Andreas Spaeth
Pilotenkarriere bei Harbour Air
Die perfekte Pilotenkarriere bei Harbour Air beginnt damit, dass junge Leute als „Dock Hands“ anfangen, also quasi Hafenarbeiter, die beim An- und Ablegen der Flugzeuge und beim Gepäckverladen helfen. So sind sie schon mal ganz nah dran am Traumjob und lernen zunächst die Grundlagen. So wie ihr Chef Bert van der Stege – dessen erste Station war ein Praktikum bei der Lufthansa-Gepäckermittlung. Heute sagt er: „Die meisten Interessenten kommen schon mit einer Pilotenlizenz zu uns und wollen selbst fliegen. Aber es ist schwierig für junge Piloten, den allerersten Job zu finden“, so van der Stege. „Sie arbeiten dann zunächst ein oder zwei Jahre in der Bodenabfertigung und können dann ins Cockpit wechseln, jeder neue First Officer in der Twin Otter hat diesen Weg gemacht.“
Derzeit fliegen bei Harbour Air 80 Pilot:innen, die Firma akquiriert Cockpit-Nachwuchs gezielt aus dem eigenen Personal. „Die meisten Pilot:innen lieben das Fliegen hier und schielen gar nicht auf eine Karriere im Cockpit einer Boeing 787“, berichtet van der Stege. „Hier sind sie jeden Abend zu Hause und wir bieten ihnen ein tolles Arbeitsumfeld.“ Manche wechseln allerdings zu großen Airlines und fliegen Jets. „Viele Pilot:innen, die mal woanders hin gewechselt sind, kommen aber irgendwann zurück und sagen: Das habe ich alles vermisst, ich will wieder Wasserflugzeuge fliegen“, so der Firmenchef.