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Feuerfest und möglichst leicht: Textilien für die Luftfahrt
Sitzbezüge, Gurte und Teppiche im Flugzeug müssen flammhemmend sein und wenig wiegen. Ihre Vielseitigkeit macht Fasermaterialien auch für andere Anwendungen in der Kabine interessant.
07.2018 | Autor: Denis Dilba | 8 Min. Lesezeit
Autor:
Denis Dilba
studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journalistenschule und gründete das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz. Er schreibt über verschiedenste Themen aus Technik und Wissenschaft.
Fast 1.000 Grad Celsius heiß und rund 30 Zentimeter lang schießen die orange-gelben Flammen aus dem Ölbrenner. Seit fast zwei Minuten schon grillen sie den Flugzeugsitz unbarmherzig von der linken Seite. Dann, nach exakt 120 Sekunden, stoppt der Brenner. Augenblicklich erlöschen letzte Glutnester, ein leichter Rauchschleier füllt die Testkabine. Der Blick auf den Schaden wird frei. Wie viel jetzt noch übrig ist von Sitzfläche, Lehne und Bezug entscheidet darüber, ob die Materialkombination in einem Flugzeug mitfliegen darf – oder nicht: Weiter als 43,2 Zentimeter von der Seite der Flammen aus gesehen darf sich der Testbrand nicht ausbreiten, fordert die in Europa und den USA gültige Flammtest-Vorschrift FAR/CS 25.853. Genau so breit ist der schmalste Sitz in einem Flugzeug.
„Alle Textilien, die in der Kabine eines Flugzeugs eingesetzt werden, müssen flammhemmend sein“, sagt Daniela Grunder, Director Brand Communication & Product Management beim Textilunternehmen Lantal aus Langenthal in der Schweiz. Die Eidgenossen sind auf Stoffe für die Luftfahrt spezialisiert und produzieren unter anderem Sitzbezüge, Teppiche, Vorhänge und Wandverkleidungen. Dem Know-how der Firma aus dem Kanton Bern vertrauen alle großen Flugzeughersteller sowie über 300 Fluggesellschaften, darunter die Swiss, Lufthansa, Delta und China Airlines. Lantal gehört damit zu den Weltmarktführern der Branche.
Jedes Zehntelgramm zählt
Die flammhemmende Eigenschaft der Stoffe sei letztendlich nur die Grundvoraussetzung, um in die Flugzeugkabine zu kommen, sagt Grunder. „Luftfahrttextilien sollten darüber hinaus auch abriebfest, schmutzabweisend, nicht toxisch – und dabei vor allem auch möglichst leicht sein“, so die Produktmanagerin. Denn weniger Gewicht an Bord hilft den Airlines Kerosin und damit wiederum CO2-Emissionen einzusparen. Hochgerechnet auf eine Flugzeugflotte mit hundert oder mehr Maschinen kommen selbst bei vermeintlich kleinen Einsparungen von einigen Zehntel Gramm pro Sitzbezug schnell Summen im sechsstelligen Bereich zusammen. Nur leider haben leichtere Textilien auch Nachteile: Ein gewichtsreduzierter Flugzeugteppich ist dünner und im direkten Vergleich zu schwererer Ware oft weniger strapazierfähig. Darüber hinaus neigen die Leichtgewichte dazu, schneller zu verschmutzen.
Look and feel
„Bei Sitzbezügen ist außerdem wichtig, dass sich ein Stoff möglichst angenehm auf der Haut anfühlt. Wolle erfülle das am besten, was unter anderem daran liegt, dass der Stoff Feuchtigkeit aufnimmt und sich damit nicht „schwitzig“ anfühlt, erklärt Grunder. Im Vergleich zu künstlichen Fasern wie Polyamid oder Polyester können Stoffe aus der Naturfaser schwerer sein. „Wegen der vielen, zum Teil unterschiedlichen Anforderungen an Luftfahrttextilien, gebe es daher auch nicht den einen, besten Stoff oder Teppich für alles“, sagt Grunder. „Welches Material oder welcher Materialmix wo verbaut wird, entscheiden die individuellen Anforderungen des Kunden.“ Während der eine mehr Wert auf Komfort legt, steht bei dem anderen der reduzierte Kerosinverbrauch im Fokus – und wieder andere wollen beide Anforderungen erfüllt haben.
Teilweise entscheidet aber auch einfach der Geschmack: Während europäische Airlines bei Teppichen fast ausschließlich auf Ware mit einem sehr hohem Wolle-Anteil setzten, bevorzugen amerikanische Airlines genauso rigoros das synthetische Material Polyamid. „Dort gefällt der technischere Look einfach besser“, sagt Grunder. Für Sitzbezüge ist ein Mix aus Wolle und Polyamid der Standard. Den Löwenanteil des Stoffes macht hier die Wollfaser mit 89 bis 95 Prozent aus. Polyester käme für Sitzbezüge auch in Frage, so Grunder, allerdings nur in Kombination mit einem sogenannten feuerblockenden Material. Dabei kann es sich zum Beispiel um Kynol handeln, eine Spezial-Faser, die extrem hitze- und flammfest ist und unter anderem auch für elektrische Isolationen in der Hochleitungselektronik verwendet wird.
Fest gegen Flammen
Das Hochleistungstextil zeichnet sich durch einen besonders hohen Limiting-Oxygen-Index aus, kurz LOI. Dieser Wert beschreibt den prozentualen Sauerstoffgehalt der Luft, ab dem die Fasern beginnen zu brennen. Für Kynol liegt er bei 30. In normaler Atemluft mit rund 21 Prozent Sauerstoff glimmt die Spezialfaser nicht einmal. Wolle hat einen LOI von 25. Deshalb werden Polyamid und Polyester mit LOI von 20 mit hohen Wolle-Anteilen gemischt: Der Naturstoff macht das Mischmaterial flammfest. „Wie gut Textilien brennen, kann aber auch durch die Webtechnik beeinflusst werden“, sagt Wilko Reinck, Leitender Ingenieur Luftfahrt beim Sicherheitsgurt-Hersteller Schroth aus Neheim im Sauerland. „Eng gewebte Stoffe lassen wenig Luftsauerstoff an die Oberfläche der Fasern. Das bremst Brände.“ Zusätzlich können technische Gewebe mit einem Flammhemmer beschichtet werden. Unter anderem auf diese Weise macht Schroth seine Sicherheitsgurte aus Polyester feuerbeständig – und mechanisch extrem widerstandsfähig: Die Gurte halten Belastungen von mindestens 2,2 Tonnen aus.
Sicherheit mit dem Fly-Bag
Noch stärker beansprucht würden im Fall der Fälle die vier Lagen Aramid des Fly-Bags. Der flexible Gepäck-Container aus der besser unter dem Dupont-Markennamen Kevlar bekannten Faser soll vor Explosionen schützen. Die Grundidee: Gepäckstücke oder verdächtige Gegenstände werden in den Fly-Bag gelegt. Sollte ein versteckter Sprengsatz detonieren, halten die hochfesten und hitzebeständigen Aramidlagen Druckwelle, Hitze und Splitter sicher im Inneren des Sacks. „Der Fly-Bag baut die Explosionsenergie ab und verhindert folgenschwere Schäden des Flugzeugs, wie etwa ein Loch im Rumpf – das beim Lockerbie-Unglück von 1988 zum Absturz führte“, sagt Heike Illing-Günther, Forschungsleiterin am Sächsischen Textilforschungsinstitut (STFI) an der TU Chemnitz. Die Wissenschaftlerin, die maßgeblich an der Fly-Bag-Entwicklung beteiligt war, schätzt, dass insbesondere eine kleine Variante für die Passagierkabine gute Marktchancen haben könnte.
Griff und Look Sitzbezüge für Flugzeuge können aus den verschiedensten Materialien bestehen, von Mischgeweben aus Kunstfasern und Wolle bis zu Leder.
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High-Tech-Band Sicherheitsgurte im Flugzeug müssen nicht nur hohe Zugkraft haben, sondern auch lichtbeständig, säureresistent, schwer flammbar und formstabil sein.
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Robust und edel Mit hauchdünnen Beschichtungen ausgestattet, ist echtes Leder wegen seines hochwertigen Aussehens weiterhin beliebt als Sitzbezugsmaterial im Flugzeug.
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Sicherheit geht vor Eine Eigenschaft aller Textilien an Bord eines Flugzeugs ist nicht verhandelbar: Sie müssen bei einem normalen Atemluft-Sauerstoffgehalt schwer entflammbar sein.
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„Ein kleiner Fly-Bag ist leichter als ein großer und verändert vor allem nicht die Abläufe beim Beladen“, sagt Illing-Günther. Die größeren Sicherheitssäcke für den Frachtraum erfordern mindestens einen zusätzlichen Handgriff: Das Gepäck muss in den Sack, der muss geschlossen werden. Das kostet Zeit. Fluggesellschaften reagieren daher abwartend. Ein kleiner Fly-Bag müsste nicht beladen werden, er wäre ein unkompliziertes Sicherheitsplus: „Wird heutzutage nach dem Start ein herrenloser Gegenstand gefunden, etwa ein Handy, muss das Flugzeug aus Sicherheitsgründen umgehend landen“, so Illing-Günther. Steckt man das verdächtige Objekt in einen kleinen Fly-Bag, könnte die Fluglinie auch entscheiden, planmäßig weiterzufliegen.
Intelligente Textilien
Ob der Fly-Bag kommt oder nicht: In Zukunft sei von Textilien in der Luftfahrt noch viel zu erwarten, sagt Thomas Stegmaier, Forschungschef für Technische Textilien an den Instituten für Textil- und Faserforschung im schwäbischen Denkendorf. „Interessant werden vor allem intelligente Textilien mit Zusatzfunktionen“, sagt der Forscher. So werde gerade an selbstleuchtenden Textilien mit eingearbeiteten Metallfäden gearbeitet, die angeregt von Strom Licht emittieren können. „Eine Flugzeugkabinen-Decke aus einem solchen Stoff würde viel Gewicht sparen“, sagt Stegmaier. „Und darauf“, sagt der Wissenschaftler, „zielen letztendlich alle Entwicklungen in der Textiltechnik ab.“