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MTU indus­triali­siert Keramik­fräsen

Beim GE9X-Turbinenzwischengehäuse setzt die MTU die neue Fertigungs­technologie des Keramik­fräsens ein. Die Reibungs­hitze fliegt dabei mit den Spänen einfach weg.

08.2018 | Autor: Thorsten Rienth | 3 Min. Lesezeit

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Thorsten Rienth schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT. Seine technik­journalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und Raumfahrt­branche im Bahn­verkehr und dem Transportwesen.

Wenn Alexander Steurer sehen will, wie sich der jüngste Spross aus der MTU-Techno­logie­familie so macht, muss er nicht weit gehen: Raus aus dem Büro, den Mittel­gang der nächsten Ferti­gungs­halle hinunter, rechts in den Seiten­gang, vier Stufen rauf. Dann steht er vor ihr, der MCM Clock 1800, jener neuen Ma­schine für die ebenso neue Techno­logie, die da heißt: Keramik­fräsen. Deren Fräsköpfe bestehen aus Keramik statt aus Hart­metall.

Steurer, der bei der MTU Aero Engines die NC-Program­mierung in der Gehäuse­fertigung leitet, also die Software­erstellung der Ferti­gungs­maschinen, deutet auf den hell­orangenen Punkt zwischen Fräskopf und GE9X-Turbinen­zwischen­gehäuse (Turbine Center Frame, TCF). „Fast 1200° Celsius sind das“, sagt er. „Das ist schon verdammt heiß.“

Bei konventionellen Fertigungsverfahren wollen die Ingenieure genau das tunlichst vermeiden. Beim Keramik­fräsen steckt pure Absicht dahinter. Erst wenn das Inconel 718, eine ­Nickel-Chrom-basierte Super­legierung, so richtig heiß wird, ­ändert es seinen Aggregat­zustand. Dann ist es nicht mehr superhart, sondern weich und teigig. „Jetzt kann der Fräskopf das Material buchstäblich herausreißen.“

In dutzenden Versuchsreihen entwickelten die NC-Programmierer spezielle Abfolgen aus An- und Abfahrbewegungen.

Kühlung inbegriffen

Sinn und Zweck des brutalen Prozederes: Mit den teigigen Spänen fliegt die Hitze regelrecht vom Bauteil weg. Auch das ist dringend nötig: „Kühl­schmier­stoffe wären hier kontra­produktiv und würden zu einem Thermo­schock führen“, sagt Steurer. Die Bau­teil­­tem­pe­ratur wird lediglich durch die luft­ge­kühlte Spindel etwas gesenkt – von jenem Ende des Bau­teils aus, an dem gerade nicht gefräst wird.

Seit dem Jahr 2013 forscht Steurers Mannschaft an der Methode. Doch erst seit dem ver­gangenen Jahr steht mit der MCM Clock 1800 jene Maschine zur Verfügung, die nun den Durch­bruch brachte. Bis zu 14.000 Umdrehungen erreicht ihre Spindel in der Minute. Keramik plus Inconel 718 plus Geschwin­dig­keit lautet die Rechnung für die nötige Hitze. Mit der Vor­gänger­maschine waren gerade einmal etwas über 4.000 Umdre­hungen möglich.

In dutzenden Versuchsreihen haben die Program­mierer zusätzlich spezielle Abfolgen aus An- und Abfahr­be­wegungen entwickelt. Dabei die optimale Kombination aus Vorschub, Einfahrweg, Dreh­zahl und Schnitt­tiefe ausgetüftelt. „Ich glaube nicht, dass es irgendwo auf der Welt jemanden gibt, der einen so umfang­reichen Test durchgeführt hat.“

MTU Inside TCF-Auslieferungen für GE9X-Compliance-Programm gestartet

Seit Sommer 2018 schickt die MTU Aero Engines zusätzlich zu den GE9X-Testbed-Turbine Center Frames (TCFs) jetzt auch weiter­ent­wickelte GE9X-Compliance-TCFs zu GE Avi­ation nach Cincinnati. Mit den MTU-Modulen werden die Compliance-Trieb­werke der Boeing 777X durch das Flug­test­pro­gramm fliegen. ­Aufgabe der TCFs ist, die aus der Hoch­druck­turbine mit einer Tem­pe­ratur von mehr als 1.000 Grad Celsius kommenden Gase mit möglichst geringen aero­dynamischen Verlusten an Struktur­bauteilen und Leitungen vorbei in Richtung Nieder­druck­turbine zu leiten.

„Insgesamt liefern wir in diesem Jahr zehn Compliance-TCFs“, erläutert MTU-Programm­leiter Dieter-Eduard Wolf. Acht davon sind für die vier 777X-Test­flugzeuge vorgesehen. Zwei weitere liefert die MTU als Spare-TCFs. Die Compliance-TCFs enthalten bereits die ersten Verbes­se­rungen, die nach den Erkennt­nissen aus den bisherigen Trieb­werks­tests umgesetzt worden waren. Der 777X-Erstflug wird aktuell für das erste Quartal 2019 erwartet, in den Passagier­dienst soll der neue Flieger im Folgejahr gehen.

Veränderter Fräsablauf

Die Reibungshitze macht auch einen anderen Ablauf der einzelnen Fräs­schritte nötig. „Normaler­weise bearbeitet man Gehäuse in einem Zug rund­herum“, erklärt Stefan Gremminger, NC-Program­mierer in Steurers Team. „Das funktioniert beim Keramik­fräsen aber nicht.“ Würde Gremminger direkt neben­einander liegende Sektionen unmittelbar nacheinander fräsen, würde sich das Material zu stark ausdehnen. Das kreis­runde Zwischen­­gehäuse würde, wenngleich fürs Auge nicht sichtbar, zu einer Art Ei. Das brächte die peniblen Genauig­keiten in Gefahr. Die Toleranzen liegen, obwohl die MTU das Verfahren lediglich bei der Vorkontur­bearbeitung einsetzt, bei einem zehntel Milli­meter. „Wir drehen das Bauteil deshalb nach jedem Fräs­abschnitt um 60 Grad weiter“, erklärt Gremminger. „Das kostet zwar Zeit – aber die sparen wir durch das schnellere Fräsen mehr als wieder ein.“

Etwas über zehn GE9X-Turbinen­zwischen­gehäuse sind mittler­weile mit der neuen Tech­no­logie gefertigt, zuletzt auch schon die ersten fliegenden Teile für die Boeing 777X. Deren Erstflug ist für das Jahr 2019 vorgesehen. Ein Jahr später sollen die ersten Ma­schinen zu den Kunden gehen.

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