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Michael Schreyögg spricht über Trends in der Triebwerksinstandhaltung

Michael Schreyögg, Vorstand Programme bei der MTU Aero Engines, spricht über aktuelle Trends und Markteinflüsse in der Welt der Triebwerksinstandhaltung sowie über Flexibilität, Wachstum und Druck.

05.2024 | Autorin: Victoria Nicholls | 7 Min. Lesezeit

Autorin:
Victoria Nicholls ist internationale Kommunikationsexpertin. Bei der MTU hat sie sich auf Triebwerksprogramme und Markttrends spezialisiert.

AEROREPORT-Serie: Triebwerksinstandhaltung der Extraklasse

AEROREPORT: Nach der Pandemie hat sich die Luftfahrtindustrie wieder erholt. Der Markt wächst auf breiter Front und es gibt mehr Nachfrage als Kapazitäten – die Auftragsbücher der Hersteller und die der Instandhalter sind voll. Die MTU ist beides davon. Woher kommt dieses Wachstum?

Michael Schreyögg: Die Luftfahrtindustrie ist global ausgerichtet und ermöglicht grundlegend Mobilität – schnell, sicher und weltweit. Darüber hinaus verbindet sie Menschen. Das Wachstum der Branche beruht im Wesentlichen auf dem Wunsch vieler Menschen, zu reisen und Kontakte zu knüpfen.

Das haben wir in den Pandemiejahren, in denen das Reisen nur eingeschränkt oder gar nicht möglich war, besonders bemerkt. Das haben alle erlebt, auch ich. Nach Wochen und Monaten der Isolation wollten wir unsere Freunde und Verwandten sehen und die Welt wieder erleben.

Zum Glück sind wir nun wieder auf Vor-Covid-Niveau. Vor allem aber hatte die Pandemie erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen, von der Belegschaft bis zur Lieferkette. Die Welt kam zum Stillstand, und viele Unternehmen haben Personal entlassen. Das lässt sich leider nicht so schnell umkehren.


„Wir haben stets an die fundamentale Stärke unserer Industrie geglaubt. Deshalb haben wir jede Möglichkeit genutzt, um in unsere talentierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und unsere globalen Standorte zu investieren.“

Michael Schreyögg

Vorstand Programme bei der MTU Aero Engines

AEROREPORT: Wie ist die MTU mit dieser Situation umgegangen?

Schreyögg: Wir haben stets an die fundamentale Stärke unserer Industrie geglaubt. Deshalb haben wir jede Möglichkeit genutzt, um in unsere talentierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und unsere globalen Standorte zu investieren. Ein Beispiel hierfür ist unser neuer Reparaturstandort, MTU Maintenance Serbia: Den haben wir während der Pandemie aufgebaut und 2022 eröffnet.

Und jetzt, wo die Luftfahrtindustrie wieder voll auf Kurs ist, arbeiten wir hart daran, in allen Bereichen aufzustocken – von der Lieferung neuer Antriebe und Ersatzteile bis hin zur bestmöglichen Betreuung unserer Instandhaltungskunden.

AEROREPORT: Was sind Ihre Prioritäten für das Jahr 2024, wo doch so viel zu tun ist?

Schreyögg: In einem Wort: Flexibilität.

AEROREPORT: Das bedeutet?

Schreyögg: Eine Nachfrage, die die Kapazitäten übersteigt, ist für ein Unternehmen grundsätzlich ein „gutes“ Problem. Aber es ist auch eine Gratwanderung, wenn es darum geht, Kunden und Partner zufrieden zu stellen. Deshalb müssen wir als Unternehmen flexibel agieren und optimale Lösungen finden, um unseren Verpflichtungen nachzukommen.

AEROREPORT: In dieser Antwort steckt eine ganze Menge Management-Sprech. Können Sie uns ein konkretes Beispiel dafür geben, was Sie meinen?

Schreyögg: Zum Beispiel ist die Lieferkette stark belastet. Das kann bedeuten, dass man bei Instandhaltung, Reparatur und Überholung, kurz MRO, auf gebrauchte Teile zurückgreifen muss. So können wir den Teilebedarf decken, wenn ein Triebwerk zur Überholung im Shop ist – ohne von Neuteilen abhängig zu sein, die aufgrund von Engpässen oft nicht in ausreichender Menge verfügbar sind.

Dies klingt einfacher, als es tatsächlich ist. Der Markt für gebrauchte Teile ist äußerst volatil und die Nachfrage ist aktuell sehr hoch. Unsere Teams müssen daher nicht nur schnell handeln, sondern auch über fundiertes Wissen in technischen, finanziellen und marktspezifischen Bereichen verfügen.

„Die MTU Maintenance ist vielseitig. Sie ist nicht nur ein kompetenter Instandhaltungsbetrieb, der die erforderlichen Überholungen und Reparaturen an Flugzeugtriebwerken durchführt. Wir gehen noch weiter und optimieren auch deren Leistung und Lebensdauer.“

Michael Schreyögg

Vorstand Programme bei der MTU Aero Engines

AEROREPORT: Sie haben gerade MRO erwähnt. Wie würden Sie die MTU Maintenance in einfachen Worten beschreiben?

Schreyögg: Flexibel. (lacht)

Aber im Ernst: Die MTU Maintenance ist vielseitig. Sie ist nicht nur ein kompetenter Instandhaltungsbetrieb, der die erforderlichen Überholungen und Reparaturen an Flugzeugtriebwerken durchführt. Wir gehen noch weiter und optimieren auch deren Leistung und Lebensdauer. Unsere Teams verstehen es, Triebwerke so effizient und kostengünstig wie möglich für die Kunden zu überholen.

Zweitens: Wir verfügen über ein weltweites Netzwerk von Einrichtungen und Servicezentren. Das bedeutet, wir sind international präsent, schnell und rund um die Uhr erreichbar. Zudem bieten wir Dienstleistungen für mehr als 30 Triebwerkstypen an – das umfangreichste Portfolio aller MRO-Anbieter weltweit.

Und drittens: Das Unternehmen handelt unternehmerisch. Die Teams sind nah am Kunden und finden innovative Lösungen für jedes Problem – sei es im technischen Bereich, im Flottenmanagement oder auf der Asset-Seite als Leasinggeber.

AEROREPORT: Die MTU Maintenance wird in diesem Jahr 45 Jahre alt. Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis ihres Wachstums und Erfolgs?

Schreyögg: Es sind die Menschen dahinter. Es ist kein Zufall, dass die Begriffe kompetent, international, schnell und unternehmerisch verwendet werden können, um Personen, Teams oder die gesamte Organisation zu beschreiben.

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AEROREPORT: Was hat Sie am meisten überrascht, als Sie 2016 den MRO-Bereich der MTU in Ihre Programmverantwortung übernommen haben?

Schreyögg: Die Denkweise. Ich habe einen technischen Hintergrund und den Großteil meiner Karriere auf der OEM-Seite des Geschäfts verbracht. MRO ist etwas ganz anderes.

Das Geschäft ist schnelllebig und dringlich, da es stark kundenorientiert ist. Jeder Tag, an dem ein Triebwerk außer Betrieb ist, verursacht Kosten für den Kunden. Kann er das Triebwerk nicht nutzen, muss er entweder ein Ersatztriebwerk aus seinem Bestand nehmen oder ein Leihtriebwerk beschaffen. Jeder Kunde legt großen Wert darauf, den Zustand seines Triebwerks zu kennen und es schnellstmöglich zurückzuerhalten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass unsere MRO-Kolleginnen und Kollegen immer einen Schritt weiter gehen, um den Kunden zufrieden zu stellen.

AEROREPORT: Apropos Extrameile. Die MTU setzt noch stärker auf ihr Servicenetz vor Ort, oder?

Schreyögg: Ja, unser Team hat im vergangenen Jahr mehr als 1.000 Vor-Ort-Einsätze bei über 500 Kunden weltweit durchgeführt. Unser Ziel ist es, dieses Angebot in den kommenden Jahren deutlich auszubauen.

Um das zu erreichen, investieren wir kontinuierlich in das Netzwerk und erweitern unsere Kapazitäten, zum Beispiel durch die Einführung neuer Triebwerkstypen und Werkzeuge, weiterer Zertifizierungen und Zulassungen sowie durch den Ausbau der Standorte. So ist die MTU Maintenance Dallas 2023 in ein neues, 41.000 Quadratmeter großes Werk umgezogen. So konnten wir unsere Kapazitäten zur Betreuung von Fluggesellschaften in der Region erheblich steigern. Die MTU Maintenance Berlin-Brandenburg wird im Laufe des Jahres 2024 die Fähigkeit zur Instandhaltung des PW812D-Triebwerks aufbauen. Und um ein weiteres Beispiel zu nennen: Das MTU Maintenance Service Centre Australia hat im vergangenen Jahr die Arbeit an CF34-10E-Triebwerken aufgenommen.

Immer einen Schritt weiter: Die MTU investiert kontinuierlich in das Netzwerk und erweitert ihre Kapazitäten, zum Beispiel durch die Einführung neuer Triebwerkstypen, Werkzeuge, Zertifizierungen, Zulassungen und Standorte.

AEROREPORT: Können Sie die Hintergründe dieser Wachstumspläne und -strategie erläutern?

Schreyögg: Ja, natürlich. Verschiedene Faktoren beeinflussen unsere Strategie. Einer ist die Technologie. Die aktuelle Generation von Triebwerken, wie das V2500 und das CFM56, wurden so entwickelt und gebaut, um Instandhaltungsarbeiten direkt am oder in der Nähe des Flügels zu erleichtern, was den Betreibern schnellere und bessere Instandhaltungen ermöglicht. Auch effizientere Reparaturverfahren wurden entwickelt. Diese Entwicklung setzen wir mit neueren Modellen wie dem PW1100G-JM und dem LEAP fort. In dieser Generation können noch mehr Instandhaltungsarbeiten direkt am Flugzeug durchgeführt werden.

Markteinflüsse spielen ebenfalls eine Rolle. Die Pandemie hat aus Kostengründen zu einem verstärkten Fokus auf Vor-Ort-Services geführt, da Fluggesellschaften kosten- und zeitintensive Shopvisits möglichst vermeiden und Triebwerke länger im Einsatz halten wollen. Im Wesentlichen handelte es sich dabei um schnelle Lösungen, um zeit- und kostenintensivere Shopvisits hinauszuzögern.

Es bleibt ein Balanceakt. Die Teile haben eine begrenzte Lebensdauer, die nach einer festgelegten Anzahl von Flugstunden oder Zyklen erreicht wird. Shopvisits sind daher unvermeidlich. Zudem kann eine übermäßige Nutzung der Teile am Flügel zu irreparablen Schäden führen, die schlussendlich höhere Kosten verursachen.

AEROREPORT: Wie können Airlines diesen Spagat schaffen?

Schreyögg: Das Wichtigste ist der kontinuierliche Dialog zwischen dem Kunden und dem MRO-Anbieter. Je mehr Transparenz über die Anforderungen, den Zustand der Triebwerke und die Flottenplanung herrscht, desto besser. Unser Flottenmanagement-Planungstool CORTEX ermöglicht es uns, auf Knopfdruck Szenarien für MRO-Shopvisits einer ganzen Flotte zu simulieren und bis auf die Ebene der LLP-Teile zu planen. Das sind Teile, die nach einer bestimmten Anzahl von Flugzyklen ausgetauscht werden müssen. Dieses effiziente Tool unterstützt unsere Kundenbetreuer und Technikerteams in ihren Gesprächen.

AEROREPORT: Aber auch ein Tool kann nicht helfen, wenn es auf dem Markt mehr Nachfrage als Angebot gibt ...

Schreyögg: Ja und nein. Die MTU hat eine unglaubliche Bandbreite an Dienstleistungen. Wir können zwar keine Wunder vollbringen, aber wir können zum Beispiel die Green Time ermitteln. Dann schlagen wir dem Kunden vor, die Triebwerke vielleicht auf andere Flugzeuge in seiner Flotte zu verlagern, um die Triebwerksnutzung zu maximieren – im Grunde also, um zusätzliche Zeit zu gewinnen. Oder wir prüfen Leasingoptionen, um dem Kunden sofort Leistung und Schub zu geben. Möglich sind auch Instandhaltungsarbeiten am Flügel, um die Zeit außerhalb des Shops zu verlängern. Letztlich läuft es immer auf das hinaus, was ich vorhin gesagt habe: Es kommt auf die Flexibilität an.


„In unserer Branche ist Qualität niemals optional. Sie ist die Basis.“

Michael Schreyögg

Vorstand Programme bei der MTU Aero Engines

AEROREPORT: Wie lässt sich bei all dem Druck und Wachstum die Qualität sichern?

Schreyögg: In unserer Branche ist Qualität niemals optional. Sie ist die Basis. Wir setzen bei der MTU auf etablierte Strukturen und Prozesse. Zum Beispiel haben wir kürzlich eine zentrale Organisationseinheit für den On-Site-Service eingeführt. Außerdem legen wir großen Wert auf Ausbildung, Qualifizierung und Wissensaustausch in unserem weltweiten Netzwerk.

Denn eines ist klar: Die Passagiere sehen unser Produkt nie – und wissen vielleicht noch nicht einmal, dass es uns gibt. Aber mit dem Einsteigen ins Flugzeug verlassen sie sich unwillkürlich darauf, dass wir unsere Arbeit gut machen. Ihr Leben hängt davon ab.

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