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Neuer Schub für das Eurofighter-Triebwerk EJ200

04.2024 | Autor: Patrick Hoeveler | 7 Min. Lesezeit

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Patrick Hoeveler is a freelance aviation journalist working for FLUG REVUE and other publications.

Dank neuer Aufträge nimmt die Serienfertigung des Eurofighter-Antriebs noch mal Fahrt auf.

Was ist besser als viel Leistung? Normalerweise noch mehr Leistung, aber beim Triebwerk des Eurofighters scheint dieser Grundsatz überflüssig. Von Anfang an erfüllte das EJ200 seine Schubvorgaben und lässt bis heute selbst bei den anspruchsvollsten Pilot:innen keine Wünsche offen – und das schon seit mehr als 20 Jahren. Mit seiner Indienststellung im Jahr 2003 begann eine neue Ära im Bau von Kampfflugzeugtriebwerken. Zum ersten Mal taten sich mit MTU Aero Engines, Rolls-Royce, Avio Aero und ITP Aero gleich vier europäische Partner zusammen, um mit dem Antrieb des neuen Jägers einen Schublieferanten zu entwickeln, der bis heute state-of-the-art ist. Im Vergleich zum Vorgänger RB199 des Tornados bringt das in der ähnlichen Schubklasse angesiedelte EJ200 ein deutlich besseres Schub-Gewicht-Verhältnis aufs Parkett. Möglich machte das ein wahrer Technologiesprung, von dem auch die MTU bis heute profitiert.

Als sich Schaufel und Scheibe fanden: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Als sich Schaufel und Scheibe fanden: Die MTU-Ingenieur:innen leisteten mit der Einführung sogenannter „Blade Integrated Disks“ (Blisks) Pionierarbeit. Im EJ200 fanden sich erstmals solche in ganzen sechs Verdichterstufen.

Durchbruch im Verdichterbereich

Zum Zeitpunkt der Entwicklung des EJ200 in den 1990er-Jahren war die MTU im zivilen Bereich vor allem als Produzent für Niederdruckturbinen bekannt, doch dies sollte sich bald ändern. Im Eurofighter-Antrieb war man erstmals auch für den Niederdruckverdichter verantwortlich. Aufgrund der gemachten Erfahrungen tüftelten die MTU-Ingenieur:innen dann an einem Technologie-Demonstrator für den zivilen Hochdruckverdichter und bekamen die Chance, ihn im PW6000-Triebwerksprogramm des strategischen Partners Pratt & Whitney einzusetzen. „Der Hochdruckverdichter ist eigentlich ein Kernmodul, das ein Hersteller nur ungern an andere übergibt. Der Hochdruckverdichter des PW6000 war für uns die Eintrittskarte in diesen wichtigen Bereich“, sagt Christian Koehler, Chefingenieur des EJ200 bei der MTU. „Unser heutiger Anteil an zivilen Triebwerken gründet sich damit auch auf dem Knowhow, das wir uns ursprünglich im EJ200 erarbeitet haben.“

Pionierarbeit leisteten die Ingenieur:innen beim Verdichter auch mit der Einführung der sogenannten Blisks. Diese fixe Schaufel-Scheiben-Kombination sorgt für höhere Leistung bei geringerem Gewicht – und gehört heute zum Standard in modernen Verdichtern. Im EJ200 fanden sich erstmals solche „Blade Integrated Disks“ in ganzen sechs Verdichterstufen.

Fast 1.500 Antriebe im Dienst

Inzwischen haben die vier Partner nahezu 1.500 Triebwerke gebaut und an die Kernnationen Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien sowie Exportkunden ausgeliefert. Im Rahmen ihres Programmanteils von rund 30 Prozent fertigt die MTU ihre Komponenten Hoch- und Niederdruckverdichter sowie die Regelung für alle Antriebe und besitzt wie jede Partnernation eine eigene Endmontagelinie für die Triebwerke.

Fragt man einen Piloten, egal aus welchem Land, womit er beim Eurofighter besonders zufrieden ist, so wird oft der Antrieb hervorgehoben. MTU-Experte Norbert Schmette von der EJ200-Flugerprobung in Manching weiß, warum: „Die Pilot:innen müssen sich nämlich nicht um das Triebwerk kümmern und können sich ganz auf ihre Mission konzentrieren. Sie loben außerdem die hohe Leistung und die guten Beschleunigungsraten des Triebwerks.“ Die einfache Handhabung war eines der klaren Entwicklungsziele: Der Flugzeugführer gibt nur noch den Schub über seinen Hebel vor, alles andere übernimmt die ausgeklügelte Regelung. Dieses Prinzip ist gleichgeblieben, auch wenn im Laufe der Zeit viele Modifikationen ihren Weg ins Flugzeug gefunden haben. Anfangs als reiner Luftüberlegenheitsjäger ausgelegt, bekam der Eurofighter immer mehr Fähigkeiten. „Trotzdem erfüllt das Triebwerk von seiner Grundauslegung her auch heute noch die Anforderungen an die erweiterten Missionsprofile des Waffensystems“, meint Thomas Lippert, Senior Service Engineer bei der MTU.

Interview: Stephan Leuthner, Eurofighter Testpilot, im Gespräch.

Leistung immer noch top

So können die Betreiber aufgrund der vorhandenen, hohen Leistung das Flugzeug mit mehreren Tonnen Außenlasten bestücken: Selbst wenn es mehr als 23 Tonnen statt den normalen elf Tonnen auf die Waage bringt, fliegt es sich immer noch wie ein Jäger. Aber auch der Einbau neuer Geräte mit höherem Energiebedarf, wie einem Radar mit elektronischer Strahlschwenkung, stellt Herausforderungen dar. Vom Triebwerk wird über das Getriebe mehr Leistung abgefordert. Eine Flugtestkampagne über der Nordsee im Tiefflug mit Überschall hat indes gezeigt, dass das EJ200 in dieser Hinsicht immer noch genug Reserven aufweist.

Genauso positiv sind die Erfahrungen im Bereich der Instandsetzung. Aktuell liegt die Ausfallrate bei knapp einem Vorfall pro 1.000 Flugstunden – ein ausgesprochen guter Wert für ein Muster in dieser Leistungsklasse. Der beim Design ursprünglich angestrebte Spezifikationswert wird damit deutlich übertroffen. Das EJ200 hat insgesamt sehr lange Instandhaltungsintervalle und kommt oft erst beim Überschreiten der spezifizierten Lebensdauer einzelner Komponenten oder bestimmter Grenzwerte in den Shop. „Manche Triebwerke erreichen Zuverlässigkeitswerte, an die selbst zivile Antriebe kaum herankommen. Einige nähern sich den 2.000 Flugstunden – und haben noch keine grundlegende Überholung erfahren“, sagt Lippert.

EJ200

Das EJ200 ist das Ergebnis der Zusammenarbeit eines internationalen europäischen Konsortiums (EUROJET Turbo GmbH), bestehend aus MTU, Rolls-Royce, Avio Aero und ITP Aero. Als eines der fortschrittlichsten Triebwerke seiner Klasse wird es als Antrieb im Eurofighter und dessen Exportversion Typhoon eingesetzt. Mit einem Produktionsanteil von etwa 30 Prozent ist die MTU ein wesentlicher Teil des Eurofighter-Triebwerks.
Max. Schub mit Nachbrenner: 20.000 lbf
Max. Schub ohne Nachbrenner: 13.500 lbf
Druckverhältnis: 26:1
Nebenstromverhältnis: 0,4:1
Länge: ca. 4 m
Gewicht: ca. 1.000 kg
Europaweit einmalig: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Europaweit einmalig: MTU-Mitarbeiter:innen und Soldat:innen der Bundeswehr arbeiten bereits seit über zwei Jahrzehnten bei der EJ200-Instandsetzung zusammen.

Einzigartiges Modell bei der Instandsetzung

Derzeit betreut die MTU neben den über 300 Triebwerken der deutschen Luftwaffe auch die Triebwerke des Österreichischen Bundesheeres und – im Export – die MTU-Module der Exportnationen. Bei den Triebwerken der deutschen Luftwaffe macht sie das nicht alleine, sondern mit der Bundeswehr zusammen. Das EJ200 hat mit der „Instandsetzungskooperation Triebwerk“ eine weitere neue Ära eingeleitet. Früher hielten Industrie und Streitkräfte jeweils eigene Instandhaltungsfähigkeiten vor. Aufgrund der im Vergleich zu früher geringeren Flottengröße beim Eurofighter ließen sich parallele Kapazitäten allerdings nicht wirtschaftlich darstellen. Also gingen die Bundeswehr und die MTU 2002 als erste eine wegweisende Partnerschaft ein.

Die Instandsetzung erfolgt seither unter der Führung der Industrie, wobei immer Soldat:innen in die verschiedenen Arbeitsbereiche und Schlüsselstellen bei der MTU integriert sind. Auf diese Weise entsteht ein direkter Draht zu den Einsatzverbänden sowie ein Austausch über die Prozesse. „So konnten wir einen optimalen Instandsetzungsprozess aufsetzen, der die Erfahrungen von beiden Seiten berücksichtigt“, erläutert Stefan Burger, Leiter der MTU-Auftragsteuerung Instandsetzung EJ200 / RB199. Das Modell war so erfolgreich, dass später weitere Programme, etwa der Hubschrauberantrieb MTR390, folgten.

Eurofighter

Der Eurofighter ist ein einsitziges und allwetterfähiges Mehrzweckkampfflugzeug. Er kann im Einsatz in der Luftverteidigungs- (Luft/Luft) und in der Luftangriffs-Rolle (Luft/Boden) genutzt werden. Der Mehrzweckkampfjet wird von zwei EJ200-Triebwerken des Konsortiums Eurojet angetrieben. Im Gegensatz zum Tornado, startet der Eurofighter im normalen Flugbetrieb ohne Nachbrenner. Dies senkt die Lärmbelästigung an den Flugplätzen der Luftwaffe. Der Eurofighter kann auch ohne Nachbrenner in den Überschallbereich beschleunigen und über längere Zeit mit Überschall fliegen. Über diese Möglichkeit, die mit „Supercruise“ bezeichnet wird, verfügen zurzeit nur wenige Kampfflugzeuge auf der Welt.
Flughöhe: > 55.000 Fuß
Maximale Geschwindigkeit: Mach 2.0
Spannweite: 10,95 Meter
Länge: 15,96 Meter
Höhe: 5,28 Meter

Fertigung nimmt nochmal Fahrt auf

Nach der Auslieferung der letzten Serientriebwerke an die Kernnationen im Jahr 2019 lag der Fokus deutlich auf der Instandsetzung. Vor nicht mal zwei Jahren schien es, als ob die Serienfertigung kompletter EJ200-Antriebe langsam auslaufen würde und nur noch Ersatzteile für die Instandsetzung der vorhandenen Flotte hergestellt werden müssten. Nun aber hat sich die Situation gedreht und das Eurofighter-Triebwerk erlebt einen neuen Frühling – auch dank der jüngsten Aufträge aus Deutschland und Spanien sowie weiterer Absichtserklärungen für künftige Käufe aus dem Ausland. Entsprechend wichtig ist das Programm für die MTU.

„Das EJ200 trägt immer noch einen erheblichen Anteil am jährlichen militärischen Umsatz der MTU und steckt noch mitten im Lebenszyklus. Wir haben noch neue Serienlieferungen vor uns und gleichzeitig eine inzwischen relativ große Flotte, die fliegt und mit Ersatzteilen und Services unterstützt werden muss.“

Martin Majewski

MTU-Programmdirektor für das EJ200 und RB199

Das Gleiche gilt natürlich für den Eurofighter als eine Säule der europäischen Luftverteidigung. Die Luftwaffe plant den Betrieb bis ins Jahr 2060 hinein und das Muster wird weiterhin gekauft. So hat sich Spanien gerade für ein zweites Los entschieden. Und auch die Luftwaffe hat im Quadriga-Programm nachbestellt, eventuell mit Potenzial für eine weitere Aufstockung: „Die F-35 Lightning II kann nicht alle Rollen des Tornados übernehmen, so dass hier noch Möglichkeiten für weitere Eurofighter liegen“, meint Majewski. Denkbar wäre auch eine Mischung aus bemannten und unbemannten Fluggeräten. „Hier könnte eventuell die Tranche 5 des Eurofighters ins Spiel kommen, die als Bindeglied die Steuerung der unbemannten Waffensysteme übernimmt“, ergänzt Wolfgang Sterr, Senior Manager EJ200 / RB199 Programme & Export. Zudem laufen im Exportbereich mehrere Kampagnen, wie etwa in Saudi-Arabien: „Der Eurofighter ist noch lange nicht am Ende seiner Serienproduktion. Diese geht noch mindestens bis 2029, eventuell noch länger“, ist sich der MTU-Experte sicher.

Fast 1.500 EJ200-Antriebe haben die vier Partnernationen bisher gebaut und die Serienfertigung ist noch längst nicht am Ende. Auch dank neuer Regelung bleibt das moderne Kampfflugzeug-Triebwerk fit für die kommenden Jahrzehnte.

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Neue Regelung im Anflug

Dabei verhält sich das Triebwerk laut Sterr weiterhin sehr stabil im Eurofighter: „Wir haben nur minimale Modifikationen eingeführt, weil es einfach extrem gut funktioniert.“ Aktuell steht nur eine größere Änderung an – nicht aufgrund fehlender Leistungen, sondern schlicht wegen der mangelnden Verfügbarkeit elektronischer Bauteile, die die weitere Herstellung und die Instandsetzung des existierenden Triebwerkreglers zunehmend schwierig macht. Daher setzt die MTU die Regelung derzeit komplett neu auf, um auch in Zukunft entsprechende Systeme liefern und instandsetzen zu können.

Für das New Generation Fighter Engine (NGFE), das Triebwerk für das europäische Kampfflugzeug der nächsten Generation, das im Rahmen des Future Combat Air System (FCAS) entsteht, liefert diese neue Digital Engine Control and Monitoring Unit (DECMU-NG) zwar technologische Grundlagen, aber hier wird in Zusammenarbeit mit Safran Aircraft Engines ein komplett neues Regler-System entstehen.

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New Generation Fighter: Ein Kampfflugzeug der sechsten Generation, das die Vernetzung des Kampfflugzeugs mit unbemannten Komponenten ermöglicht und weiterentwickelte Schlüsseltechnologien nutzt – insbesondere im Bereich Elektronik und Sensoren.

Der neue Antrieb soll in einer deutlich höheren Schubklasse angesiedelt sein, ein besseres Schub-Gewicht-Verhältnis haben und Stealth-Eigenschaften ausweisen. Dazu ist ein weiterer Technologiesprung nötig. Hier profitiert die MTU von der technologischen Basis, die man sich beim Eurofighter-Antrieb und in den folgenden Programmen erarbeitet hat – auch im Bereich der digitalen Steuerung. „Wir hätten heute keine Regler-Technologie in der MTU, wenn es kein EJ200 gegeben hätte“, konstatiert Majewski. Und weiter: „Wir sind damit erst gewachsen. Diese Fähigkeiten werden wir, zumindest anteilig, auch bei NGFE nutzen.“ Möglicherweise werden sich die Fortschritte, die mit dem neuen militärischen Antrieb gemacht werden, dann auch irgendwann in künftigen zivilen Programmen wiederfinden – genauso wie die Blisks, die beim EJ200 das erste Mal zum Einsatz kamen und heute auch aus zivilen Antrieben nicht mehr wegzudenken sind. Majewski: „Da war das EJ200 ein Vorreiter mit entsprechendem Spin-off in die zivile Flugzeugwelt.“

Somit schließt sich ein Kreis, während einer neuer beginnt.

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