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RB199-Entwicklung: das Triebwerk, mit dem alles begann
Bis das Tornado-Triebwerk die Leistung zeigte, die es sollte, musste die MTU einige Herausforderungen überwinden. Dabei baute sie unschätzbares Grundlagenwissen auf.
03.2019 | Autor: Denis Dilba | 7 Min. Lesezeit
Autor:
Denis Dilba
studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journalistenschule und gründete das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz. Er schreibt über verschiedenste Themen aus Technik und Wissenschaft.
„Ohne das RB199 gäbe es die MTU Aero Engines nicht“. So kann man die Bedeutung der Entwicklung des Tornado-Triebwerks für die MTU in einem Satz zusammenfassen. Das würde dieser Pionierleistung aber bei weitem nicht gerecht werden. Denn keine andere Geschichte zeigt so eindrucksvoll, worum es seit den ersten Tagen der MTU bis heute geht: Mit ingenieurstechnischen Höchstleistungen die Grenzen des Machbaren stets ein Stück weiter zu verschieben – oder kurz: innovativ zu sein. Damals, zu Beginn der RB199-Entwicklung im Jahr 1969, nannte man das noch Ingenieurskunst, sagt Arthur Schäffler. Und diese sei auch unbedingt nötig gewesen, um die Herausforderungen zu meistern, die sich den MTU-Ingenieuren mit dem neuen Jettriebwerk damals stellten, erinnert sich der heute 81-Jährige Schäffler, der von Tag eins an bei der RB199-Entwicklung dabei war – und im Laufe seiner Karriere zum Technischen Direktor der Eurojet aufsteigen sollte.
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„Die Anforderungen an den Tornado hätten kaum größer sein können“, erinnert sich der Triebwerksentwickler: „Das Mehrzweckkampfflugzeug sollte einerseits mit Mach 2,2 gegnerische Flugzeuge abfangen können, anderseits aber auch den Tiefflug als Kampfflugzeug beherrschen.“ Und natürlich sollte der Jet auch auf möglichst kurzer Strecke starten und landen können. Das RB199 musste also nicht nur mit möglichst wenig Gewicht sehr viel Schub erzeugen, dabei wenig Kerosin verbrauchen und kurzzeitige Beschleunigungsspitzen ermöglichen – das Triebwerk benötigte auch eine Schubumkehr. Erfüllen sollte diese Ansprüche ein Dreiwellentriebwerk mit zwölf Verdichterstufen, das ein Verdichtungsdruckverhältnis von 23 und eine Turbineneintrittstemperatur von rund 1.300 Grad Celsius aufwies. „Für den damaligen Stand der Technik war das in beiden Bereichen ein erheblicher Sprung“, sagt der Ingenieur.
Das RB199 wurde ab 1969 gemeinsam mit Rolls-Royce und Fiat (heute Avio Aero) für den Einsatz im Mehrzweckkampfflugzeug Tornado entwickelt und produziert.
Besonders dicker Entwicklungs-Brocken für die junge MTU
Das eigens für den RB199-Bau gegründete Turbo-Union-Konsortium, ein Zusammenschluss von Rolls-Royce (40 Prozent), Fiat (20 Prozent) und der MTU (40 Prozent), machte sich mit Feuereifer an die Arbeit, erinnert sich Schäffler. Die Aufgaben waren dabei so verteilt, dass das MTU-Team, bestehend aus Ingenieuren von Daimler-Benz und der MAN Turbomotoren GmbH, „für ihr damaliges Wissen einen besonders dicken Brocken an Land gezogen hatte“, sagt Schäffler: „Wir waren sowohl für den Mittel- und Hochdruckverdichter, die Mitteldruckturbine und den Schubumkehrer verantwortlich – als auch für das interne Luft- und Ölsystem zur Kühlung und Schmierung der hochbelasteten Lager sowie der Führung der Turbinenschaufelkühlluft.“ Nicht nur im technischen Bereich begab sich die MTU damit auf Neuland. Bis dahin hatten das junge Münchner Unternehmen und seine Vorgängergesellschaften Triebwerksbauteile vorwiegend in Lizenz gefertigt und nie so große Anteile selbstverantwortlich entwickelt. „Für eine Baugruppe komplett geradestehen zu müssen, bedeutete auch rein psychologisch einen ordentlichen Druck“, so der Ingenieur.
Die mäßigen Leistungen des ersten RB199-Testlaufs sorgten daher bei Schäffler und seinen Kollegen für lange Gesichter. „Die Wirkungsgraddefizite waren erheblich“, so der Triebwerksbauer. Während der Mitteldruckverdichter schnell auf einem „sehr ordentlichen“ Leistungsstand war, hatte der Hochdruckverdichter mit komplexen Problemen zu kämpfen. Unter anderem dehnten sich die relativ dicken, aus schweren Nickellegierungen gefertigten Rotorscheiben der hinteren Stufen bei schnell wechselnden Betriebszuständen wie Beschleunigung und Verzögerung wesentlich langsamer aus als das Gehäuse. Dadurch kam es über längere Zeitphasen zu großen Radialspalten. Die Folge: reduzierte Leistungsparameter des Hochdruckverdichters und eine unzulässige Absenkung der aerodynamischen Stabilitätsgrenze. „Bis wir eine Konstruktion gefunden hatten, die die Gehäuseausdehnung wirksam verlangsamte, verging viel Zeit“, sagt Schäffler. Immerhin erging es allen Triebwerksherstellern in der damaligen Phase so, sagt der Ingenieur. „Das Spalt-Problem war noch ziemlich unbekannt – wir mussten aushalten, dass es länger dauerte zu verstehen, wie man das löst.“
Durchgefallen beim Vogelschlagtest
Ebenso überraschend war die Erkenntnis, dass bei den Schaufeln aller hinteren Stufen des Hochdruckteils die Oberflächenrauigkeit deutlich zu groß war. „Das aerodynamische Potenzial konnte so nicht voll genutzt werden“, sagt Schäffler. Auch hier sollten Jahre vergehen, bis die zum Teil nur Daumennagel-großen Schaufeln in einer Qualität hergestellt werden konnten, dass die Leistung stimmte. Schäffler erinnert sich auch noch gut an das nötige Schaufel-Redesign nach dem ersten Vogelschlagtest: „Der Vogel passierte den Nieder- und Mitteldruckverdichter, ohne wesentliche Schäden anzurichten – und räumte den Hochdruckverdichter komplett ab.“ Im Vergleich zu den anderen Baustellen im RB199 sei diese aber einfach zu beheben gewesen: „Wir haben die Schaufeln des ersten Rotors des Hochdruckverdichters einfach in Sehnenausdehnung rund 30 Prozent länger gemacht. Die verstärkte Schaufel hat den Schlag ausgehalten, ebenso wie die nachfolgenden Stufen“, sagt Schäffler. Schritt für Schritt erarbeitete sich die MTU so in allen Bereichen wertvolles Wissen.
RB199: ein Mehrzwecktriebwerk für ein Mehrzweckkampflugzeug
Die Tornado, damals eine Entwicklung mit einer Vielzahl von neuen Einsatzeigenschaften, stellte hohe Anforderung an den Triebwerksbau. Diese konnten nur durch einen Zusammenschluss von Rolls-Royce, Fiat und der MTU zu dem Turbo-Union-Konsortium erfüllt werden. Zum Video
„Auch wenn der Weg zum Teil sehr beschwerlich war und wir gelegentlich auch geflucht haben – das Gesamtsystemverständnis, das wir in dieser Zeit erarbeitet haben, hat der MTU extrem genützt“, sagt Schäffler. Auch die Triebwerksreglertechnik erlebte in Schäfflers Zeit einen Innovationsschub. Der anfangs verwendete RB199-Analogregler wurde im Herbst 1987 durch den wesentlich zuverlässigeren, flexibleren und einfacher handhabbaren Digitalregler DECU 2000 ersetzt, der 1995 in die Version DECU 2020 mit verbesserten Prozessoren mündete. „Dieser Regler wurde bis 2003 produziert und erfolgreich von der deutschen und italienischen Luftwaffe eingesetzt“, sagt Schäffler. Rund 700 davon sind gebaut worden, „auf die Zahl würde ich aber nicht unbedingt schwören“, lacht er. Anders als auf die Anzahl der gebauten RB199-Triebwerke. „Das waren 2.504 Stück“, sagt Schäffler. „Und einige fliegen immer noch.“ Auf das RB199, das trotz aller Herausforderungen schlussendlich zu einem der größten Erfolge für die MTU wurde, sei er natürlich stolz.
Er habe mit der MTU als Arbeitgeber einfach auch viel Glück gehabt, sagt der 81-Jährige, der bis vor wenigen Jahren noch Einführungskurse in die Funktionsweise eines Strahltriebwerks für MTU-Mitarbeiter gegeben hat. „Es war ein Ingenieursleben, wie man es sich nur wünschen kann.“