innovation

Getriebe­fan: Wie der Zukunfts­antrieb entwickelt wurde

Mit ersten Vorunter­suchungen für einen Getriebe­fan begannen Pratt & Whitney, die MTU und Fiat Avio bereits in den 1990er-Jahren. Heute setzt die inno­vative Tech­nologie Maß­stäbe und sorgt für deutliche Kraft­stoff-, CO2- und Lärm­absenkungen.

05.2019 | Autor: Denis Dilba | 10 Min. Lesezeit

Autor:
Denis Dilba studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Jour­na­listen­schule und gründete das digitale Wissen­schafts­magazin Sub­stanz. Er schreibt über ver­schieden­ste Themen aus Technik und Wissen­schaft.

Seit Jahr­zehn­ten ar­bei­tet die MTU Ae­ro En­gi­nes dar­an, dass Flug­trieb­wer­ke we­ni­ger Kraft­stoff ver­brau­chen, we­ni­ger Emis­sio­nen aus­sto­ßen und zu­dem auch lei­ser wer­den. Das gro­ße Kunst­stück da­bei ist seit je­her: Um die am­bi­tio­nier­ten Zie­le von mor­gen er­fül­len zu kön­nen, müs­sen sie schon vor­ges­tern in der Ent­wick­lung an­ge­scho­ben wer­den. Da­zu be­darf es nicht nur Weit­blick und Ver­trau­en in die ei­ge­ne Kom­pe­tenz, son­dern auch groß­ar­ti­ge Part­ner und ein gu­tes Stück Mut. Wenn die­se Mi­schung stimmt, kön­nen die Zie­le der Zu­kunft er­füllt wer­den. Das Pa­ra­de­bei­spiel da­für ist der Ge­trie­be­fan (GTF), in den na­he­zu sämt­li­che In­no­va­tio­nen der letz­ten Jahr­zehn­te ein­ge­flos­sen sind.

AEROREPORT-Serie: 50 Jahre Innovation bei der MTU

Vom ADP über AT­FI zum GTF

Be­reits in den 1990er-Jah­ren be­gann der US-Her­stel­ler Pratt & Whit­ney zu­sam­men mit der MTU und der da­ma­li­gen Fi­at Avio, ers­te Vor­un­ter­su­chun­gen für ein Ge­trie­be­fan-Trieb­werk un­ter der Pro­jekt­be­zeich­nung Ad­van­ced-Duc­ted-Pro­pf­an-De­mons­tra­tors (ADP) – dies wur­de aber aus wirt­schaft­li­chen Grün­den nicht wei­ter­ver­folgt. Stei­gen­de Ke­ro­sin­prei­se ver­bun­den mit dem Kun­den­wunsch nach ver­brauchs­är­me­ren und lei­se­ren Trieb­wer­ken führ­ten im Lau­fe der fol­gen­den Jah­re aber zu ei­ner neu­en Be­wer­tung der Markt­chan­cen des Ge­trie­be­kon­zep­tes. An­fang der 2000er-Jah­re setz­ten sich die Un­ter­su­chun­gen mit dem Ad­van­ced Tech­no­lo­gy Fan In­te­gra­tor (AT­FI) fort. Die­ser De­mons­tra­tor be­stand aus ei­nem An­trieb mit ei­nem Un­ter­set­zungs­ge­trie­be, das zwi­schen Fan und Nie­der­druck­tur­bi­ne ge­schal­tet war und auf Ba­sis ei­nes PW6000 Kern­trieb­werks ge­tes­tet wur­de. Ne­ben den drei ADP-Part­nern ar­bei­te­te nun auch Pratt & Whit­ney Ca­na­da an dem Pro­jekt mit. Da­mit setz­te der Trieb­werks­her­stel­ler Pratt & Whit­ney den Grund­stein für sein pa­ten­tier­tes Ge­trie­be­fan-Pro­gramm, wel­ches 2008 of­fi­zi­ell star­te­te. Un­ge­fähr zur glei­chen Zeit wie die Test­pha­se des AT­FI ent­wi­ckel­ten die MTU-In­ge­nieu­re im Rah­men des „En­gi­ne 3E“-Pro­jek­tes ei­nen neu­en Hoch­druck­ver­dich­ter. Für die Aus­le­gung und Be­rech­nung des sechs­stu­fi­gen HDV12 wur­de erst­mals ein nu­me­ri­scher 3D-Na­vi­er-Sto­kes-Strö­mungs­lö­ser ein­ge­setzt. Da­mit er­reich­te die Kom­po­nen­te ein ho­hes Ge­samt­druck­ver­hält­nis von na­he­zu 11.

Vorent­wicklung für den späteren Getrie­befan: der ATFI-Demon­­strator. ATFI steht für Advanced Technology Fan Integrator. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Vorent­wicklung für den späteren Getrie­befan: der ATFI-Demon­­strator. ATFI steht für Advanced Technology Fan Integrator.

Vorent­wicklung für den späteren Getrie­befan: der ATFI-Demon­­strator. ATFI steht für Advanced Technology Fan Integrator.

Bei der Instrumen­tierung des Hoch­druck­verdichter­rotors ist Finger­spitzen­gefühl gefragt. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Bei der Instrumen­tierung des Hoch­druck­verdichter­rotors ist Finger­spitzen­gefühl gefragt.

Bei der Instrumen­tierung des Hoch­druck­verdichter­rotors ist Finger­spitzen­gefühl gefragt.

Computer-Animation von Sektionen aus der schnell­laufenden Nieder­druck­turbine (NDT). Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Computer-Animation von Sektionen aus der schnell­laufenden Nieder­druck­turbine (NDT).

Computer-Animation von Sektionen aus der schnell­laufenden Nieder­druck­turbine (NDT).

Vorbereitung eines Stress­tests am PW6000, das ebenfalls Grund­lagen für die späteren Getriebe­fans lieferte. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Vorbereitung eines Stress­tests am PW6000, das ebenfalls Grund­lagen für die späteren Getriebe­fans lieferte.

Vorbereitung eines Stress­tests am PW6000, das ebenfalls Grund­lagen für die späteren Getriebe­fans lieferte.

Der HDV12 soll­te da­mit die Grund­la­ge für den Hoch­druck­ver­dich­ter des A318-An­trie­bes PW6000 wer­den – und in der Fol­ge eben­so wie die De­mons­tra­to­ren ADP und AT­FI den wei­te­ren Weg zum Ge­trie­be­fan eb­nen. Des­sen Kern­ent­wick­lung be­gann ab 2005 – zu die­sem Zeit­punkt be­schlos­sen die Part­ner, ein De­mons­tra­ti­ons­trieb­werk zu ent­wi­ckeln und zu tes­ten. Die ers­ten Tests die­ses Ge­samt­sys­tems im Jahr 2007 zeig­ten gleich sehr po­si­ti­ve Er­geb­nis­se hin­sicht­lich der Funk­tio­na­li­tät der kri­ti­schen Kom­po­nen­ten. Klar war aber auch, dass das neue Trieb­werk ins­ge­samt noch ei­nen er­heb­li­chen Ver­bes­se­rungs­be­darf hat­te: Die wei­te­re Ent­wick­lung rech­ne­te sich nur durch das Ein­brin­gen in ei­ne gan­ze Ge­trie­be­fan-Trieb­werks­fa­mi­lie. Über­zeugt vom Kon­zept in­ves­tier­ten Pratt & Whit­ney und die MTU kon­se­quent wei­ter in die ge­sam­te Pro­zess­ket­te, mit der die Ge­trie­be­fans un­ter­schied­li­cher Schub­klas­sen rea­li­siert wer­den konn­ten. Nur ein Jahr spä­ter hob der Ge­trie­be­fan erst­mals zu Flug­tests ab.

Ent­wick­ler-Mut wird be­lohnt

Mit den bei­den MTU-Haupt­an­tei­len, der schnell­lau­fen­den Nie­der­druck­tur­bi­ne und den ers­ten vier Stu­fen des ins­ge­samt acht­stu­fi­gen Hoch­druck­ver­dich­ters in Blisk-Bau­wei­se er­reicht der Zu­kunfts­an­trieb heu­te ei­nen sehr ho­hen Wir­kungs­grad. Das be­ein­dru­cken­de Re­sul­tat: Treib­stoff­ver­brauch und Koh­len­stoff­di­oxid­aus­stoß ver­rin­gern sich um je 16 Pro­zent, der Lärm­tep­pich so­gar um 75 Pro­zent. Und da we­ni­ger Ver­dich­ter- und Tur­bi­nen­stu­fen be­nö­tigt wer­den, wird der An­trieb nicht nur leich­ter – da we­ni­ger Kom­po­nen­ten dem Heiß­gas aus­ge­setzt sind, sin­ken auch die In­stand­hal­tungs­kos­ten. Für die GTF-Schlüs­sel­kom­po­nen­te, die schnell­lau­fen­de Nie­der­druck­tur­bi­ne er­hielt die MTU zwei deut­sche In­no­va­ti­ons­prei­se. Welt­weit wird die­se Tech­no­lo­gie nur von Deutsch­lands füh­ren­dem Trieb­werks­her­stel­ler be­herrscht. Der lan­ge Atem hat sich ge­lohnt: Das Ge­trie­be­fan-Kon­zept ist nicht nur ein tech­no­lo­gi­scher Quan­ten­sprung son­dern auch auf dem Markt ein gro­ßer Er­folg.

Video: Bodengeführtes Montagesystem Artikel mit Video

Bodengeführtes Montagesystem

Die Endmontage des A320neo-Antriebs PW1100G-JM bei der MTU Aero Engines ist einzigartig. Zum Video

Air­bus bie­tet den GTF heu­te für die A320neo und die A220 (ehe­mals Bom­bar­dier C Se­ries) an, Mi­tsu­bi­shi stat­tet den MRJ da­mit aus und Em­bra­er die neu­en E-Jets der Fa­mi­li­en E-170 und E-190. Und auch Ir­kut will den GTF für die MC-21. Der­zeit ha­ben welt­weit ins­ge­samt 80 Flug­li­ni­en be­reits mehr als 8.000 der Ge­trie­be­fan-An­trie­be be­stellt. In die ak­tu­el­le GTF-Ver­si­on hiel­ten be­reits wie­der neue MTU-In­no­va­tio­nen Ein­zug: zum Bei­spiel die ers­ten ad­di­tiv ge­fer­tig­ten Bau­tei­le so­wie Bürs­ten­dich­tun­gen. Zu­dem über­nimmt die MTU seit En­de 2016 ein Drit­tel der ge­sam­ten Se­ri­en­end­mon­ta­ge für den A320neo-An­trieb PW1100G-JM. Rund 20 Mil­lio­nen Eu­ro wur­den da­zu in ein welt­weit ein­zig­ar­ti­ges von der MTU ent­wi­ckel­tes bo­den­ge­führ­tes Li­ni­en­mon­ta­ge­sys­tem in­ves­tiert. „Das Er­reich­te macht uns na­tür­lich stolz, aber Aus­ru­hen auf die­ser Ent­wick­lung kann sich nie­mand bei der MTU“, be­tont Dr. Jörg-Mi­cha­el Hen­ne, Lei­ter Ent­wick­lung und Tech­no­lo­gie bei der MTU. Der GTF hat ins­ge­samt das Po­ten­zi­al für bis zu 40 Pro­zent we­ni­ger Kraft­stoff­ver­brauch und CO2-Emis­sio­nen.

Wei­ter­ent­wick­lung wird schon vor­be­rei­tet

So könn­te das Fan-Druck­ver­hält­nis wei­ter re­du­ziert und da­mit das By­pass-Ver­hält­nis in den kom­men­den Jah­ren schritt­wei­se wei­ter er­höht wer­den – von der­zeit 12:1 auf bis zu 20:1 ab 2035. Zu­dem ar­bei­ten die MTU-In­ge­nieu­re dar­an, den ther­mi­schen Wir­kungs­grad des Kern­trieb­werks durch hö­he­re Druck- und Tem­pe­ra­tur­ver­hält­nis­se wei­ter zu ver­bes­sern. Da­zu soll auch das Ge­samt­druck­ver­hält­nis deut­lich über den ak­tu­el­len Wert von rund 50:1 ge­stei­gert und gleich­zei­tig die nö­ti­ge Kühl­luft­men­ge dras­tisch re­du­ziert wer­den.

Auch für die Zeit ab 2050 er­ar­bei­tet die MTU be­reits ge­mein­sam mit Uni­ver­si­tä­ten und an­de­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen ers­te Stu­di­en, Kon­zep­te und Ide­en: „Hier­für brau­chen wir re­vo­lu­tio­nä­re An­sät­ze, die über heu­ti­ge Tech­no­lo­gi­en hin­aus­ge­hen müs­sen und vor al­len Din­gen auch neue Flug­zeug­ar­chi­tek­tu­ren,“ so Dr. Ste­fan We­ber, Lei­ter Tech­no­lo­gie und Vor­aus­le­gung bei der MTU. Beim Trieb­werk geht es et­wa um hoch­ef­fi­zi­en­te Wär­me­kraft­ma­schi­nen mit ex­trem ho­hen Drü­cken oder die Ein­füh­rung re­ku­pe­ra­ti­ver Ele­men­te zur Ver­bes­se­rung des ther­mo­dy­na­mi­schen Kreis­pro­zes­ses. Auch ab­ge­schirm­te Pro­pel­ler oder am Flug­zeug ver­teil­te Fans sind denk­bar. Hin­zu­kom­men tech­no­lo­gi­sche Lö­sun­gen wie al­ter­na­ti­ve Kraft­stof­fe und Schrit­te zum tur­bo­elek­tri­schen Flie­gen, oh­ne die die zu­künf­ti­gen Zie­le nicht zu er­rei­chen sind.

Al­le Ver­bes­se­run­gen ha­ben stets das glei­che Ziel: den Wir­kungs­grad ver­bes­sern und so Kraft­stoff­ver­brauch, Emis­si­ons­aus­stoß und Lärm mi­ni­mie­ren. Das Trieb­werk von über­mor­gen steht schon längst in den Start­lö­chern – die MTU über­nimmt schon heu­te die Ver­ant­wor­tung in Rich­tung emis­si­ons­frei­es Flie­gen.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:


Der AEROREPORT berichtet über Hochtechnologie und exzellenten Service „Made by MTU“ und über allgemeine Luftfahrtthemen.

Der AEROREPORT ist das Online-Magazin der MTU Aero Engines, Deutschlands führendem Triebwerkshersteller. Fliegen und die Technologie, die es ermöglicht, sind faszinierend und bieten ein breites Themenspektrum: mehr als hundert Jahre Geschichte und viele Fragestellungen für die Zukunft der Luftfahrt angesichts von Klimawandel, Bevölkerungswachstum und Ressourcenknappheit.