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Nieder­druck­turbinen: der Weg zum Welt­klasse-Hersteller

Der Weg zum Hersteller von Nieder­druck­turbinen auf Welt­niveau begann vor 45 Jahren. Heute gehört die MTU zur Welt­spitze – und ist mit einer schnell­laufenden Highend-Variante für den Getrie­befan sogar konkurrenzlos.

04.2019 | Autor: Denis Dilba | 7 Min. Lesezeit

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Denis Dilba studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Jour­na­listen­schule und gründete das digitale Wissen­schafts­magazin Sub­stanz. Er schreibt über ver­schieden­ste Themen aus Technik und Wissen­schaft.

War­um der ers­te Schritt auf dem Weg zu ei­nem der füh­ren­den Nie­der­druck­tur­bi­nen-Her­stel­ler für die MTU er­staun­li­cher­wei­se die Ent­wick­lung ei­nes Ab­gas­ge­häu­ses war, kann Lud­wig Schweikl aus ers­ter Hand be­rich­ten: Er und sei­ne Kol­le­gen ha­ben es ge­baut. „Da­mals, An­fang der 1970er-Jah­re, traf un­se­re Ge­schäfts­füh­rung die stra­te­gi­sche Ent­schei­dung, in das zi­vi­le Trieb­werks­ge­schäft ein­zu­stei­gen“, sagt der lang­jäh­ri­ge ehe­ma­li­ge Kon­struk­ti­ons­lei­ter der MTU. Ers­te Tur­bi­nen­er­fah­rung hat­ten die Ex­per­ten ja schon im mi­li­tä­ri­schen Be­reich ge­sam­melt und für den Tor­na­do-An­trieb, das RB199, die Mit­tel­druck­tur­bi­ne ent­wi­ckelt und ge­baut. Über die Fer­ti­gung be­stand be­reits ein gu­ter Kon­takt zum ame­ri­ka­ni­schen Trieb­werks­her­stel­ler Pratt & Whit­ney. „Ir­gend­wie kam dar­über dann ei­ne Ein­la­dung für die MTU-Ent­wick­lungs­ab­tei­lung in die Pratt-Zen­tra­le nach East Hart­ford zu­stan­de“, er­in­nert sich der In­ge­nieur. Man kön­ne sich ja mal ken­nen­ler­nen, mein­ten die Ame­ri­ka­ner. Sehr ger­ne, ant­wor­te­ten die Deut­schen. Und so saß Schweikl kurz dar­auf in ei­nem Flug­zeug Rich­tung USA und traf als ers­ter MTU-Ent­wick­ler auf die Fach­kol­le­gen von Pratt & Whit­ney.

AEROREPORT-Serie: 50 Jahre Innovation bei der MTU

„Sie wa­ren sehr skep­tisch, was wir zu bie­ten hat­ten. Pratt & Whit­ney war der welt­weit füh­ren­de Trieb­werks­her­stel­ler und wir die klei­ne MTU“, sagt der heu­te 82-Jäh­ri­ge. Aber Schweikl hat ei­nen gu­ten Ein­druck hin­ter­las­sen: Die MTU durf­te sich am Ab­gas­ge­häu­se für ei­ne neue Ver­si­on des da­ma­li­gen Mit­tel­stre­cken­klas­si­kers JT8-D ver­su­chen. Die Zu­sam­men­ar­beit lief rei­bungs­los und über­traf die Er­war­tun­gen von Pratt & Whit­ney bei wei­tem. Der Trieb­werks­her­stel­ler war be­ein­druckt von den Fä­hig­kei­ten der MTU-In­ge­nieu­re – und bot ih­nen dar­auf­hin an, die Nie­der­druck­tur­bi­ne für den grö­ße­ren und leis­tungs­fä­hi­ge­ren JT8-D-Nach­fol­ger JT10-D zu ent­wi­ckeln. Ein Rit­ter­schlag für Schweikl und sei­ne Ent­wick­lungs-Mann­schaft, die den Auf­trag dan­kend an­nahm. „Da­mit ging es für die MTU los mit der Nie­der­druck­tur­bi­ne“, sagt Schweikl. Jetzt be­gann ein re­gel­rech­tes Ent­wick­lungs­ren­nen, in dem bis heu­te ei­ne In­no­va­ti­on die nächs­te ja­gen soll­te.

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Die Nie­der­druck­tur­bi­ne des PW2000 be­saß erst­mals ei­ne Ge­häu­se­­küh­lung, die soge­nann­te ak­ti­ve Spalt­kon­trol­le (ACC).

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Beim V2500, das un­ter an­de­rem die A320-Fa­mi­lie in die Luft bringt, konn­te der Wir­kungs­­grad der Nie­der­­druck­­tur­bi­ne er­heb­lich ge­stei­gert wer­den.

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Montage der Niederdruckturbine des GP7000.

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Die schnell­lau­fen­den Nie­der­­druck­­tur­bi­ne für die Pratt & Whitney Getriebefan­familie ist deut­lich lei­ser als her­kömm­li­che Mo­del­le.

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Im Vergleich: eine PW1000G und eine V2500 Niederdruck­turbine.

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Krafftstoffsparender, emissionsärmer und leiser – die A320neo von Airbus.

Kom­pe­tenz spricht sich in der Fach­welt her­um

Gleich die ers­te Nie­der­druck­tur­bi­ne für das JT10-D-Trieb­werk, das schon bald in PW2000 um­be­nannt wur­de, glänz­te durch ei­ne be­son­de­re tech­ni­sche Raf­fi­nes­se: Da sich Ro­to­ren und Trieb­werks­ge­häu­se bei Schu­bän­de­run­gen mit un­ter­schied­li­cher Ge­schwin­dig­keit aus­deh­nen und zu­sam­men­zie­hen und so zeit­wei­se zu grö­ße­ren Spal­ten und da­mit zu Leis­tungs­ein­bu­ßen füh­ren, be­saß es erst­mals ei­ne Ge­häu­se­küh­lung, die so­ge­nann­te ak­ti­ve Spalt­kon­trol­le (ACC). Sie glich den Un­ter­schied in der Wär­me­aus­deh­nung der Kom­po­nen­ten aus, ver­rin­ger­te so den Spalt und stei­ger­te da­mit deut­lich den Wir­kungs­grad des ge­sam­ten Ag­gre­gats. Die Idee und das Pa­tent da­zu kam von Pratt & Whit­ney, die Um­set­zung von der MTU. „Heu­te ist das Stan­dard in je­dem Trieb­werk“, sagt Schweikl.

Die Nie­der­druck­tur­bi­nen-Kom­pe­tenz der MTU sprach sich in der Fach­welt her­um. Was da­zu führ­te, dass Schweikl und sein Team kur­ze Zeit spä­ter auch für das V2500-Pro­gramm die Nie­der­druck­tur­bi­nen-Ent­wick­lung über­nah­men. Die Nie­der­druck­tur­bi­ne hat ei­nen we­sent­li­chen Ein­fluss auf die Ge­samt­per­for­mance ei­nes Trieb­werks. Beim V2500, das un­ter an­de­rem die A320-Fa­mi­lie in die Luft bringt und zu ei­nem der wich­tigs­ten Pro­gram­me im zi­vi­len Port­fo­lio der MTU wur­de, nutz­ten die In­ge­nieu­re kon­se­quent die Er­fah­rung aus dem PW2000. So konn­te der Wir­kungs­grad der V2500-Nie­der­druck­tur­bi­ne er­heb­lich ge­stei­gert wer­den.

Nur noch drei Stu­fen bei der schnell­lau­fen­den Nie­der­druck­tur­bi­ne

Es folg­ten vie­le wei­te­re MTU-Nie­der­druck­tur­bi­nen: Sie ar­bei­ten in Busi­ness-Jet-An­trie­ben, in Nutz­tur­bi­nen von Wel­len­leis­tungs­trieb­wer­ken in schwe­ren Trans­port­hub­schrau­bern, wei­te­ren Turbo­f­an­trieb­wer­ken von Mit­tel- und Lang­stre­cken­flug­zeu­gen und auch im GP7000 des Me­ga-Air­bus A380. Längst zählt die MTU zur Welt­eli­te in der Nie­der­druck­tur­bi­nen-Tech­no­lo­gie. Ihr ak­tu­el­les Meis­ter­stück hat das Münch­ner Un­ter­neh­men mit der schnell­lau­fen­den Nie­der­druck­tur­bi­ne für den Ge­trie­be­fan (GTF) ab­ge­lie­fert: Durch ae­ro­dy­na­mi­sche Op­ti­mie­rung bis ins letz­te De­tail er­reicht sie hö­he­re Wir­kungs­gra­de. Gleich­zei­tig las­sen sich durch die ho­hen Um­fangs­ge­schwin­dig­kei­ten in­fol­ge des Un­ter­set­zungs­ge­trie­bes im GTF grö­ße­re Stu­fen­ar­bei­ten rea­li­sie­ren. Im A320neo-An­trieb wer­den da­her nur noch drei Stu­fen be­nö­tigt. Bau­raum, Ge­wicht, In­stand­hal­tungs­kos­ten und nicht zu­letzt auch der Kraft­stoff­ver­brauch und da­mit der CO2-Aus­stoß: al­les sinkt.

Und als wä­re das nicht schon ein­drucks­voll ge­nug, ist die neue Tur­bi­ne auch deut­lich lei­ser als her­kömm­li­che Mo­del­le. Ih­re Lärm­emis­sio­nen ha­ben hö­he­re Fre­quen­zen, die in der At­mo­sphä­re bes­ser ge­dämpft wer­den und für das mensch­li­che Ohr kaum mehr wahr­nehm­bar sind. Mit die­ser Welt­klas­se-Nie­der­druck­tur­bi­ne, ei­ner Schlüs­sel­kom­po­nen­te, oh­ne die es den GTF nicht gä­be, be­wegt sich die MTU heu­te in ei­ner ei­ge­nen Li­ga. Aber auch die­se Aus­nah­me-Tur­bi­ne kann man noch ver­bes­sern. Mit neu­en Werk­stof­fen, mit leis­tungs­fä­hi­gen Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen und noch­mals op­ti­mier­ter Ae­ro­dy­na­mik. MTU-In­ge­nieu­re ar­bei­ten ge­ra­de dar­an – und schrei­ben so die au­ßer­ge­wöhn­li­che Ge­schich­te der Nie­der­druck­tur­bi­nen-Ent­wick­lung fort.

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