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Start in die neue Überschall-Ära

1947 durchbrach ein Mensch erstmals die Schallmauer. 2003 endete der Concorde-Betrieb – doch schon 2029 könnte es wieder Überschall-Passagierflüge geben.

10.2022 | Autor: Andreas Spaeth | 4 Min. Lesezeit

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Andreas Spaeth ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.

Der erste nachgewiesene Überschallflug der Geschichte, so ist es offiziell festgehalten, erfolgte vor 75 Jahren am 14. Oktober 1947 durch den damals 24-Jährigen amerikanischen Luftwaffenpiloten Charles Elwood „Chuck“ Yeager. Vermutlich aber hatten die Deutschen während der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs bereits im April 1945 einige Male mit einer Messerschmitt Me-262, dem ab 1943 ersten serienmäßig gebauten Strahlflugzeug der Welt, die imaginäre Schallmauer durchbrochen. Yeager saß in einer Bell X-1, einem einsitzigen Raketenflugzeug, das speziell dafür entwickelt worden war, die Schallmauer erstmals im Horizontalflug zu durchbrechen, nicht im Sturzflug wie bereits zuvor.

Das nicht einmal zehn Meter lange Flugzeug war auffällig orange bemalt worden, um in der Luft, oder schlimmstenfalls nach einem Unfall am Boden besser sichtbar zu sein. Es war simpel ausgelegt und hatte nicht einmal einen Schleudersitz, heute bei militärischen Tests undenkbar. Die X-1 wurde vom Mutterflugzeug, einer Boeing B-29, vom Muroc-Testgelände (ab 1950 Edwards Air Force Base) in der kalifornischen Mojave-Wüste östlich von Los Angeles auf etwa 6.000 Meter gebracht, der Testpilot kletterte durch den leeren Bombenschacht in sein Vehikel, die X-1 wurde daraufhin ausgeklinkt und in ausreichendem Abstand vom Mutterflugzeug zündete Yeager den Vierkammer-Raketenmotor, eine Weiterentwicklung deutscher Raketentechnik.  
 
Schnell stieg die X-1 auf 12.800 Meter. Die Rumpfform des Flugzeugs war einer Standardpatrone nachempfunden, weil man von diesem Geschoss wusste, dass es bei Überschallgeschwindigkeit eine stabile „Fluglage“ hatte, während diese Form bei gewöhnlichen Flugzeugen aerodynamisch eher ungünstig war. Auf Reiseflughöhe beschleunigte Yeager das Flugzeug auf Mach 1,06 (das entspricht 1079 km/h). Am Boden hörte man einen dumpfen Doppelknall wie fortan immer, wenn über Edwards die Schallmauer durchbrochen wurde – den bis heute unvermeidlichen Überschallknall. Bereits 14 Minuten nach dem Ausklinken und dem erfolgreichen Vollbringen seiner Pionierleistung landete Yeager die X-1 wieder in Muroc.

Yeager’s Pionierflug: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Yeager’s Pionierflug: Mit dem Raketenflugzeug Bell X-1 absolvierte Chuck Yeager am 14. Oktober 1947 den ersten horizontalen Überschallflug der Geschichte mit Mach 1,06.

Französisch-britische Kooperation: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Französisch-britische Kooperation: 1969 feierte die Concorde ihren Erstflug. Hier ist sie beim Triebwerkstest in Toulouse.

Erster Überschall-Passagierflug: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Erster Überschall-Passagierflug: Strahlende Gesichter nach dem Erstflug der Tu-144 in Schukowski am 31. Dezember 1968.

„Königin der Lüfte“: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

„Königin der Lüfte“: British Airways Concorde im Anflug auf Barbados.

Die Tupolew Tu-144 ist ein Triumph für die Sowjetunion

War Überschallflug in den ersten Jahrzehnten eine rein militärische Domäne, so entwickelte sich Ende der 1960er Jahre ein Wettrennen zwischen Ost und West darum, wer das erste Überschall-Passagierflugzeug in die Luft bekommen würde. Es war die Sowjetunion, der das am letzten Tag des Jahres 1968 mit der Tupolew Tu-144 gelang. Eine Weltsensation – das elegante Flugzeug mit den weißen Deltaflügeln konnte bis zu 140 Passagiere mit bis zu Mach 1,88 befördern. Die französisch-britische Concorde als Wettbewerber aus dem Westen feierte erst am 2. März 1969 ihren Erstflug, sie schaffte sogar Mach 2,02, doppelte Schallgeschwindigkeit. Damals ging die Branche davon aus, dass innerhalb weniger Jahre zumindest längere Passagierflüge nur noch mit Überschalljets angeboten würden, die gleichzeitig entwickelte Boeing 747 war vorwiegend für die Frachtbeförderung gedacht.
 
Aber es kam anders: Mit der Ölkrise 1973 wurde Kerosin extrem teuer und Bedenken wegen Lärm und Überschallknall größer. Die Tupolew Tu-144 führte nur pro forma bis Ende 1978 „reguläre“ Flüge durch. Die Concorde blieb zwar wirtschaftlich ein Flop, aber erwies sich im Liniendienst zwischen 1976 und 2003 als durchaus beliebtes Transportmittel für eilige Passagiere. Vor allem auf der Strecke von Paris bzw. London nach New York, die in jeweils gut drei Stunden bewältigt werden konnte. Doch bei Ticketpreisen von rund 7000 Euro nach heutigem Wert für Hin- und Rückflug blieb dies ein exklusives Vergnügen.

Overture: Das neue Überschallflugzeug von Boom Supersonic gibt es aktuell nur als Konzept – 2029 soll es zum ersten Mal abheben.

Eine neue Überschall-Ära, 60 Jahre nach dem Concorde-Erstflug?

Rund 20 Jahre nach dem Ende der Concorde wagt Boom Supersonic den Schritt in eine neue Überschall-Ära. Das Unternehmen entwickelt derzeit in den USA einen neuen Überschalljet namens Overture. Der soll bereits 2029 zwischen 65 und 80 Passagiere befördern und 60 Jahre nach dem Erstflug der Concorde über Wasser Mach 1,7 erreichen. Über Land, wo Überschallflüge bis heute wegen des Knalls verboten sind, wird sie mit Mach 0,94 allerdings knapp unterhalb der Schallgrenze bleiben.

Derzeit forscht die NASA mit ihrem Projekt QueSST an Formen für Überschallflugzeuge, die den Knall soweit mindern sollen, dass künftig schnelle Flüge auch über Land möglich werden könnten (zum Interview "Forschung an leiserem Überschallknall"). Mit Japan Airlines, United Airlines und American Airlines haben bereits drei große Fluggesellschaften insgesamt 55 Overture bestellt und Optionen für weitere gesichert.

Inspektion eines Modellfliegers: Das von Don Durston mitentwickelte Modell des leisen Überschallflugzeugs X-59 der NASA wurde bei den jüngsten Windkanaltests des Projekts verwendet.

Überschallfliegen in den 2030er Jahren soll die Umwelt weit weniger belasten als es die Concorde tat. So streben die Overture-Erbauer eine Lärmreduktion sowohl beim Start als auch beim Überschallknall an, die jeweils um den Faktor 30 unter den Werten der Concorde liegt. Gleichzeitig, so der Plan, sollen die Triebwerke ausschließlich mit Sustainable Aviation Fuels (SAF) betrieben werden. Das Ganze ist so kalkuliert, dass ein Ticket nicht mehr kosten soll als eine heutige Reise in der Business Class auf gleicher Strecke. Nach 75 Jahren soll damit eine neue Ära des Reisens im Überschalltempo beginnen.

Die Kennzahl der Schallgeschwindigkeit

Eine Flug-Geschwindigkeit, die höher als die Ausbreitung von Schallwellen ist, entzieht sich der üblichen Messung. Zumal es keinen festen Wert in km/h gibt, ab dem man von Überschalltempo sprechen könnte. In der Flugphysik hat man sich deshalb schon frühzeitig dimensionslos gemacht und (Über-) Schallgeschwindigkeit nach ihrem österreichischen Entdecker, dem Physiker Professor Ernst Mach (1838-1916) benannt. Danach ist die Einheit für einfache Schallgeschwindigkeit Mach 1, alles darüber hinaus bewegt sich mit Überschalltempo. Flugzeuge werden auf Mach-Werte ausgelegt, nicht auf bestimmte km/h-Zahlen. Verkehrsflugzeuge erreichen heutzutage im Reiseflug üblicherweise etwa Mach 0,82 bis 0,87. Mach 0,85 für den Airbus A380 entspricht auf einer Reiseflughöhe von 11.000 Metern genau 903 km/h, auf Meereshöhe läge diese 0,85-fache Schallgeschwindigkeit in km/h jedoch viel höher. Nur ist in diesen tieferen Luftschichten die Atmosphäre viel dichter und damit der Luftwiderstand um einiges größer, dass dort kein Passagierflugzeug derart schnell fliegen würde.

Denn wie nahe Flugzeuge der Schallgrenze kommen, wird von äußeren Faktoren am jeweiligen Ort bestimmt. Und zwar vom Verhältnis der spezifischen Wärme, der spezifischen Gaskonstante und der thermodynamischen Temperatur der Luft. Bei trockener Luft und einer Temperatur von 15°C liegt die Schallgeschwindigkeit bei 1.225 km/h. Oberhalb von 11.000 Metern Flughöhe und wegen der dort herrschenden Kälte beträgt sie bei minus 56°C dagegen nur 1.062 km/h.

Lauter Knall: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Lauter Knall: Der Überschallknall (hier rot) folgt dem Flugzeug wie eine Schleppe am Boden. Ein Jet der oberhalb von Mach 1 fliegt, zieht diese Schleppe so lange mit sich, wie der Überschallflug andauert.

Schallmauer-Wand: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Schallmauer-Wand: Wenn wie hier Feuchtigkeit innerhalb von Schockwellen gefangen ist, wird die Schallmauer sichtbar. Man spricht dabei vom „Wolkenscheiben-Effekt“.

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