good-to-know

Kurz erklärt: So funktioniert knallfreier Überschall

Überschall ohne Knall? Das geht – entweder durch ausgeklügelte Aerodynamik oder mithilfe des Mach Cutoff, einem raffinierten physikalischen Effekt.

Autor: Andreas Spaeth | 5 Min. Lesezeit veröffentlicht am: 08.05.2025

Autor:
Andreas Spaeth ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.

Dieser Inhalt könnte Sie auch interessieren


Wie entsteht der Überschallknall?

Solange ein Flugzeug unterhalb der Schallgeschwindigkeit fliegt, breitet sich der erzeugte Schall gleichmäßig in alle Richtungen aus – in Form von Wellen. Diese Grenze liegt – je nach Umgebung – bei etwa 1.200 Kilometern pro Stunde und wird als Mach 1 bezeichnet. Nähert sich das Flugzeug dieser Geschwindigkeit, kann sich der Schall nicht mehr nach vorne ausbreiten. Stattdessen staut er sich als Druckwelle vor dem Flugzeug. Die Schallwellen verdichten sich dabei zu einer kompakten, sogenannten „Schallmauer“. Sie wirkt wie ein fester Körper, da die Luft die Druckunterschiede nicht mehr ausgleichen kann. Erreicht das Flugzeug Überschallgeschwindigkeit, durchbricht es diese Mauer.

Beim Durchbrechen dieser Luftmasse entsteht an der Flugzeugnase eine Schockwelle, die sich hinter dem Jet trichterförmig ausbreitet. Trifft diese Welle auf den Boden, wird sie dort als lauter Knall mit bis zu 120 Dezibel wahrgenommen – nahe der menschlichen Schmerzgrenze von 130 Dezibel. Die Passagiere an Bord nehmen den Knall nicht wahr, sie sind schneller unterwegs als der Schall selbst. Oft kann man am Boden kurz nach dem ersten auch noch einen zweiten Knall hören. Denn Schockwellen entstehen nicht nur an der Flugzeugnase, sondern auch am Heck. Je nach Entfernung des Flugzeuges hört man dann einen Doppelknall.

Lauter Knall: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Lauter Knall: Der Überschallknall (hier rot) folgt dem Flugzeug wie eine Schleppe am Boden. Ein Jet der oberhalb von Mach 1 fliegt, zieht diese Schleppe so lange mit sich, wie der Überschallflug andauert.

Schallmauer-Wand: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Schallmauer-Wand: Wenn wie hier Feuchtigkeit innerhalb von Schockwellen gefangen ist, wird die Schallmauer sichtbar. Man spricht dabei vom „Wolkenscheiben-Effekt“.

Wie kann der Mach Cutoff den Knall verhindern?

Als Mach Cutoff bezeichnet man das physikalische Phänomen einer u-förmigen Reflexion von Schallwellen oberhalb des Bodens zurück in die Atmosphäre. Ein Überschallflugzeug, das auf seinem Flug Schallwellen auslöst, die üblicherweise am Boden als Knall wahrnehmbar wären, kann so ohne für Menschen spürbaren Effekt unterwegs sein. Dazu muss das Flugzeug exakt an die jeweils herrschenden Bedingungen des überflogenen Gebiets angepasst werden. Boom-CEO Blake Scholl erklärt: „So wie sich ein Lichtstrahl beim Durchqueren eines mit Wasser gefüllten Glases bricht, verändern auch Schallwellen ihre Richtung – je nachdem, durch welche Luftschichten sie sich bewegen und wie dort die Schallgeschwindigkeit variiert.“

Die Schallgeschwindigkeit hängt maßgeblich von der Temperatur ab – und die sinkt mit zunehmender Höhe. In kälterer Luft beugen sich Schallwellen nach oben zurück und bilden eine u-förmige Reflexion, die den Knall vom Boden fernhält. „Die Höhe dieses U hängt von mehreren Faktoren ab“, erklärt Scholl. „Dazu zählen die Fluggeschwindigkeit, der Temperaturgradient in der Atmosphäre und die vorherrschenden Windverhältnisse.“

Entscheidend sind dabei vor allem die Atmosphäre und die Beschaffenheit des Geländes. „Die Reisefluggeschwindigkeit muss immer wieder angepasst werden, damit die Schallknall-Wellen eine gewünschte Höhe über dem Boden nicht unterschreiten“, sagt Bernd Liebhardt, der sich als Wissenschaftler beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Hamburg mit zivilem Überschallflug beschäftigt. Die Chancen für den sogenannten „Boomless Cruise“ stehen gut:

„Das klappt immer, vorausgesetzt man hat die genaue Wetterdaten, genaue Bodenkonturen, eine genaue Berechnung der möglichen Fluggeschwindigkeit und eine genaue Flugsteuerung“, erklärt Liebhardt. „Mit heutigen Technologien lässt sich die Kombination dieser Fähigkeiten mit vertretbarem Aufwand realisieren.“ Die maximal mögliche Fluggeschwindigkeit für Mach Cutoff liegt bei Mach 1,3, je nach Wetterbedingungen wird sie sich zumeist aber in einem Bereich zwischen Mach 1,1 und 1,2 (1.358 und 1.481 km/h) bewegen.

xb-1-ft13_hero_2048px Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Am 28. Januar 2025 ereignete sich hier eine kleine Sensation. An diesem Tag konnte das einsitzige Testflugzeug Boom XB-1 mehrfach die Schallmauer durchbrechen – mit einer Spitzengeschwindigkeit von Mach 1,18.

Kann der Boomless Cruise bei Überschall-Passagierjets funktionieren?

Erstmals hat die XB-1, das Testflugzeug von Boom Supersonic, im Januar 2025 bei Testflügen über der Mojave Wüste praktisch bewiesen, dass Mach Cutoff und somit der Boomless Cruise funktioniert. Allerdings ist das bisher erst für kürzere Flüge über Land der Fall, wo das knallfreie Fliegen auch entscheidend ist. Nur wenn der Knall ausbleibt, lässt sich die Geschwindigkeit künftig von derzeit Mach 0,94 auf bis zu Mach 1,3 erhöhen. „In diesem Geschwindigkeitsbereich sind jedoch der Luftwiderstand und damit auch der Treibstoffverbrauch am höchsten“, gibt Bernd Liebhardt zu bedenken.

Über Wasser, wo die große Mehrzahl der Langstrecken vorwiegend verlaufen wird, spielt der Knall keine Rolle, hier kann Overture daher mit Mach 1,7 unterwegs sein. Entscheidende Voraussetzung für das knallfreie Fliegen über Land ist die Verfügbarkeit korrekter Algorithmen und Echtzeitdaten der Atmosphäre. Die aus den XB-1-Testflügen gewonnenen Daten sollen es ermöglichen, den Autopiloten der Overture so zu programmieren, dass das Flugzeug automatisch in den optimalen Parametern fliegt – ohne Knall.

sc20_lava-1 Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Dieses Bild zeigt einen Moment aus einer numerischen Strömungssimulation des X-59-Flugzeugkonzepts während eines Überschallflugs. Visualisierungen wie diese helfen den Forschern zu bestimmen, welche Oberflächenmerkmale des Flugzeugs Schockwellen erzeugen, die zum Überschallknall unter dem Flugzeug beitragen. Die Farben auf dem Flugzeug zeigen den Oberflächendruck an, wobei niedrigere Drücke blau und höhere Drücke rot dargestellt sind. Die Farben im Luftraum um das Flugzeug zeigen die Luftströmungsgeschwindigkeit an, wobei Blau für null Geschwindigkeit und Rot für höhere Geschwindigkeiten steht.

Das leise Überschallflugzeug als Alternative: Wie muss es konstruiert sein?

Die NASA geht einen anderen Weg, um Toleranz für Überschallflüge über Land zu erreichen. Mit ihrem von Lockheed Martin gebauten Testflugzeug X-59 wird sie bereits 2025 im Forschungsprojekt QueSST (Quiet SuperSonic Technology) über bewohntem Gebiet der USA fliegen, um die Reaktionen der Menschen zu ermitteln. (Zum Interview "Forschung an leiserem Überschallknall") Anders als Boom setzt die NASA nicht auf eine physikalisch bedingte Umleitung des Knalls zurück in die Atmosphäre, sondern auf eine besonders lärmarme Konstruktionsweise ihres Flugzeugs.

Dieses Prinzip nennt sich „Low Boom“-Technologie. Fast die Hälfte der 30,4 Meter langen X-59 entfallen auf die extrem lang gestreckte, platt gedrückte „Pinocchio-Nase“, wie Pilot:innen sie nennen. Die ungewöhnliche Form der Rumpfnase und des gesamten Deltaflüglers (Spannweite neun Meter) mit T-Leitwerk und Canards (Entenflügeln) vorne ist bewusst gewählt. So sollen die Schockwellen, die im Überschallflug für den Knall verantwortlich sind, deutlich abgeschwächt werden. Die Form des Testflugzeugs kann den Knall zwar nicht vollständig verhindern – das ist physikalisch unmöglich –, aber deutlich abschwächen. Er soll so gedämpft werden, dass das, was noch am Boden ankommt, für Mensch und Material nicht lauter als eine zuschlagende Autotür und damit leicht auszuhalten ist.

„Die X-59 macht insofern Sinn, als sie die Verminderung des Schallknalls auch für höhere Überschall-Reisegeschwindigkeiten demonstriert“, sagt Liebhardt. „Sie untersucht eine tatsächliche Technologie, nämlich die äußere Gestaltung des Flugzeugs, um den Schallknall zu ‚formen‘ und erträglicher zu machen.“

Das leise Überschall-Forschungsflugzeug X-59 der NASA wurde gebaut, um die Fähigkeit zum Überschallflug, also schneller als die Schallgeschwindigkeit, zu demonstrieren und gleichzeitig den typischerweise lauten Überschallknall, den Flugzeuge bei solchen Geschwindigkeiten erzeugen, auf ein leiseres „Dröhnen“ zu reduzieren.

Kommt jetzt das Comeback des Überschallflugs über Land?

Schon vor dem Start der Concorde wurden weltweit Anfang der 1970er-Jahre Überschallflüge über Land verboten. Dieses Verbot besteht bis heute – und begrenzt die Möglichkeiten für zukünftige Überschallflüge erheblich. Auslöser war der laute Knall – und die damit verbundenen Schäden an Mensch und Material. Sollte es jetzt gelingen, den Knall am Boden zu verhindern oder sehr stark zu mindern, würde das die Lage verändern.

Liebhardt sieht durchaus Potenzial: „Für den hypothetischen Fall der Freigabe von Überschall über Land würde sich laut unseren Studien der potenzielle Markt für Überschall-Linienflugzeuge verdoppeln und wahrscheinlich ernst zu nehmende Entwicklungsprojekte auslösen.“ Boom Supersonic spricht bereits von 600 möglichen Überschallrouten weltweit, sollte das Verbot fallen.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:


Der AEROREPORT berichtet über Hochtechnologie und exzellenten Service „Made by MTU“ und über allgemeine Luftfahrtthemen.

Der AEROREPORT ist das Online-Magazin der MTU Aero Engines, Deutschlands führendem Triebwerkshersteller. Fliegen und die Technologie, die es ermöglicht, sind faszinierend und bieten ein breites Themenspektrum: mehr als hundert Jahre Geschichte und viele Fragestellungen für die Zukunft der Luftfahrt angesichts von Klimawandel, Bevölkerungswachstum und Ressourcenknappheit.