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Die einzigen ihrer Art: Diese Flugzeuge blieben Raritäten

Flugzeugkonzepte schaffen es manchmal nicht über den Prototypen-Status hinaus und gehen deshalb nie in Serie. Übrig bleiben Artefakte der Ingenieurskunst, die oft im Museum landen.

04.2023 | Autor: Andreas Spaeth | 8 Min. Lesezeit

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Andreas Spaeth ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.

An Ideen mangelt es Luftfahrt-Ingenieure:innen und Flugzeugherstellern selten. Nicht immer aber schaffen diese es von den analogen oder digitalen Reißbrettern auch in die Luft. Und selbst wenn sie das Prototypen-Stadium erreichen, kommt es immer wieder vor, dass ihre Geschichte bereits damit endet. Diese „Eintagsflieger“ bieten spannende Einblicke, wie sich die technische Evolution der Luftfahrt hätte entwickeln können. Viele Konzepte erscheinen im Rückblick obsolet, anderen trauert man vielleicht in späteren Jahrzehnten nach. Der AEROREPORT gibt einen Überblick über zehn Flugzeugkonzepte, die heute nur eine Fußnote der Luftfahrtgeschichte darstellen, aber späteren und erfolgreichen Designs durchaus wichtige Innovationen lieferten.


Avro Canada C102 Jetliner

Dem frühen kanadischen C102 Jetliner gelang der Erstflug als zweites Düsenverkehrsflugzeug der Welt: Nur 13 Tage nach der britischen de Havilland Comet, und gerade 25 Monate nach Beginn des Designs. Der 50-sitzige Turbojet-Vierstrahler war vor allem für Rennstrecken an der US-Ostküste konzipiert und erregte großes Aufsehen. Im April 1950 beförderte er als erster Jet Luftpost. Wäre es zu der für 1952 geplanten Indienststellung gekommen, hätten die Kanadier einen Vorsprung von sechs Jahren gegenüber der Boeing 707 und sogar elf Jahre gegenüber der Boeing 727 gehabt.

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Herkunft:Kanada
Anzahl gebaut: 1
Erstflug:10. August 1949
Typ:Kurzstrecken-Passagierjet
Grund fürs Scheitern:1951 wurde das Projekt eingestellt, weil Avro Canada alle Ressourcen auf die Fertigstellung des verspäteten Canuck-Abfangjägers konzentrieren musste.
Ausgestellt:Rumpfnase und Cockpit stehen im kanadischen Luftfahrtmuseum in Ottawa.

Bristol Brabazon

Mit der Bristol Brabazon wollte Großbritannien nach dem zweiten Weltkrieg wieder in den zivilen Flugzeugbau zurückkehren. Ende der 1940er Jahre war sie eines der größten je gebauten Flugzeuge, vergleichbar mit dem Airbus A300 oder der Boeing 767, aber mit einem anderthalb Meter größeren Rumpfquerschnitt als jener der Boeing 747 und durchgehend zweistöckig. Trotzdem sollte sie nur hundert Passagiere in ultimativem Luxus befördern. Angetrieben wurde die Brabazon von acht Radialmotoren mit gegenläufig rotierenden Propellern.

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Herkunft:Großbritannien
Anzahl gebaut: 1
Erstflug:4. September 1949
Typ:Langstrecken-Passagierflugzeug
Grund fürs Scheitern:Das Flugzeugkonzept ging komplett an den Bedürfnissen des Nachkriegsmarktes vorbei und fand keinerlei Besteller. Bis zur Einstellung 1953 waren sechs Millionen Pfund ausgegeben worden, nach heutigem Wert über 150 Millionen Euro.
Ausgestellt:Wenige erhaltene Teile im M-Shed Museum in Bristol und im nationalen Luftfahrtmuseum in Schottland.

Baade 152

Nach Gründung der DDR durften ostdeutsche Luftfahrtingenieur:innen aus der Sowjetunion zurückkehren. Die neu geschaffenen VEB Flugzeugwerke Dresden setzten als erstes ziviles deutsches Nachkriegsprojekt ein Flugzeugkonzept des Ingenieurs Brundolf Baade um, nach dem es auch benannt ist. Die damalige Deutsche Lufthansa der DDR war als Abnehmer für einen Kurzstreckenjet vorgesehen, der zwischen 57 und 72 Passagieren befördern sollte. Schon der zweite Testflug 1959 führte zum Absturz des Prototyps. 1960 flog dann der zweite, verbesserte Prototyp, jetzt mit vier Pirna-Strahltriebwerken aus DDR-Entwicklung. Über 20 Flugzeuge befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der Produktion.

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Herkunft:Deutsche Demokratische Republik
Anzahl gebaut: 3
Erstflug:4. Dezember 1958
Typ:Kurzstrecken-Passagierjet
Grund fürs Scheitern:1961 ordnete die DDR-Regierung die Einstellung der einheimischen Produktion ziviler Flugzeuge an, nachdem die Sowjetunion ihre Unterstützung und mögliche Bestellungen zugunsten eigener Entwicklungen zurückgezogen hatte.
Ausgestellt:Im Terminal des Flughafens Dresden steht ein rekonstruierter Rumpf. Teile befinden sich im Verkehrsmuseum Dresden sowie in einer Ausstellung in Gellmersdorf bei Berlin.

Dornier Do 31

Aufgrund der Bedrohungslage im Kalten Krieg drängte die Bundeswehr in den 1960er Jahren auf die Entwicklung eines senkrecht startenden Transportflugzeugs, das im Verteidigungsfall auch aus dem Hinterland heraus unabhängig von Flughäfen hätte starten können. Mit acht Hub- und zwei schwenkbaren Marschtriebwerken startete die Do 31 wie ein Hubschrauber und bewegte sich im Streckenflug wie ein Flächenflugzeug. Sie war das einzig je gebaute Jet-getriebene, senkrecht startende Transportflugzeug. Auch eine Verkehrsflugzeug-Variante Do 231 war geplant.

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Herkunft:Bundesrepublik Deutschland
Anzahl gebaut: 3
Erstflug:10. Februar 1967
Typ:Senkrechtstart-Transportflugzeug
Grund fürs Scheitern:Nach einer Änderung der NATO-Verteidigungsstrategie war das Projekt militärisch obsolet und wurde 1970 eingestellt. Einer zivilen Verwendung stand nach der Ölkrise 1973 der extrem hohe Spritverbrauch entgegen sowie die immense Lärmentwicklung.
Ausgestellt:Beide Vorserien-Prototypen sind erhalten, einer steht in der Flugwerft Oberschleißheim bei München, der andere im Dornier-Museum Friedrichshafen.

VFW 614

Die VFW 614 war der erste in der Bundesrepublik entwickelte Passagierjet. Er sollte mit besonderer Robustheit die legendäre DC-3 auf den Weltmärkten ersetzen. Der für bis zu 42 Passagiere ausgelegte zweistrahlige Tiefdecker wies eine große Besonderheit auf: Beide Triebwerke waren über Pylonen oberhalb der Tragflächen montiert, statt wie üblich darunter aufgehängt zu sein. Das sollte den Einsatz auf unbefestigten Pisten ohne das Ansaugen von Fremdkörpern ermöglichen. Die VFW 614 erreichte 1975 sogar den Liniendienst bei drei Airlines, insgesamt 16 Serienmaschinen wurden produziert. Mangels Verkäufen endete die Produktion 1977, bis 1980 gaben alle Airlines ihre Maschinen an den Hersteller zurück.

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Herkunft:Bundesrepublik Deutschland
Anzahl gebaut: 19
Erstflug:14. Juli 1971
Typ:Kurzstrecken-Passagierjet
Grund fürs Scheitern:Das Konzept der Regionaljets setzte sich erst zwei Jahrzehnte später durch, die VFW 614 war ihrer Zeit zu weit voraus, um kommerziell erfolgreich zu sein.
Ausgestellt:Viele Exemplare sind erhalten und unter anderem zu besichtigen im Technikmuseum Speyer, im Airbus-Werk Hamburg-Finkenwerder und in der Flugwerft Oberschleißheim bei München.

Antonow 225 Mriya

Ende der 1980er Jahre benötigte die Sowjetunion ein Transportflugzeug für ihre Buran-Raumfähren, ähnlich dem US-Space Shuttle. Dafür wurde in kurzer Zeit das größte und schwerste Transportflugzeug der Welt entwickelt, die sechsstrahlige Antonow An 225 Mriya (Traum). Nach dem Ende der Sowjetunion aktivierte die jetzt unabhängige Ukraine den Riesentransporter Anfang des neuen Jahrtausends wieder, er wurde seitdem weltweit zum Transport von großen Gütern eingesetzt, die sonst so nie hätten in die Luft gehen können. Der Rekord liegt bei einer Zuladung von über 250 Tonnen, doppelt soviel wie ein Boeing 747-Frachter aufnimmt. Die An 225 hält mit ihren Dimensionen 240 Weltrekorde, unerreicht in der Luftfahrtgeschichte. Sie ist bis heute mit 84 Metern das längste Flugzeug.

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Herkunft:Sowjetunion
Anzahl gebaut: 1
Erstflug:21. Dezember 1988
Typ:Schweres Transportflugzeug
Grund fürs Scheitern:Noch während ihrer aktiven Einsatzzeit wurde die einzige An 225 im Zuge des Ukraine-Krieges im Februar 2022 bei Kiew in ihrem Hangar zerstört.
Ausgestellt:Keine

Embraer CBA 123 Vector

Aus einer Annäherung zwischen Brasilien und Argentinien und einem erwarteten gemeinsamen Markt ging Ende der 1980er Jahre die technologisch fortschrittliche Vector hervor. Mit ihren Schub-Propellern, aber auch mit innovativer Avionik und Aerodynamik setzte der Entwurf Maßstäbe. Bereits beim Erstflug 1990 lagen 130 Bestellzusagen vor, die Vector wurde auf den Luftfahrtmessen in Farnborough und Paris gezeigt.

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Herkunft:Brasilien
Anzahl gebaut: 2
Erstflug:18. Juli 1990
Typ:Turboprop-Regionalflugzeug
Grund fürs Scheitern:Gerade ihre moderne Hochtechnologie wurde der Vector zum Verhängnis weil dadurch der Verkaufspreis höher als üblich lag. Eine politische Krise in Brasilien und Finanzprobleme bei Embraer taten das Übrige. 1991 kam dann die Einstellung. Allerdings war die Entwicklung Basis der später erfolgreichen Embraer 145-Jets.
Ausgestellt:Beide Prototypen sind in Brasilien zu sehen, einer beim Embraer-Werk in São José dos Campos, der andere im Museu Aeroespacial in Rio de Janeiro.

Fairchild Dornier 728

US-Hersteller Fairchild hatte 1996 den traditionsreichen deutschen Flugzeugbauer Dornier nach finanziellen Schwierigkeiten übernommen. Danach kündigte das neue Unternehmen Fairchild Dornier eine Familie von Regionaljets an, von der 44-sitzigen 328 bis zur 110-sitzigen 1128. Die erste neu entwickelte Variante war die 728 für 70 bis 85 Passagiere. Das moderne Design und die breiteste Kabine ihrer Klasse hatten bis zum Rollout im März 2002 für 125 Festbestellungen gesorgt, Kunde für die Produkteinführung war Lufthansa mit 60 Festbestellungen.

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Herkunft:Deutschland
Anzahl gebaut: 3
Erstflug:Keiner, Rollout 21. März 2002
Typ:Regionaljet
Grund fürs Scheitern:Fairchild Dornier, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zusätzlich geschwächt, stellte im April 2002 einen Insolvenzantrag. Als Großkunden stornierten Lufthansa und eine Leasingfirma ihre Aufträge, was eine Übernahme unmöglich machte. Das Flugzeug ist nie geflogen.
Ausgestellt:Teile eines Prototyps sind im Technikmuseum Speyer zu sehen.

Mitsubishi SpaceJet

Erstmals seit dem 1962 eingeführten Turboprop-Regionalflugzeug YS-11 wollte Japan mit dem Mitsubishi SpaceJet (ursprünglich Mitsubishi Regional Jet) wieder ein eigenes Verkehrsflugzeug auf den Markt bringen. Der Typ sollte in zwei Größen fliegen, mit 76 und mit bis zu 96 Sitzen. Der Rumpf bestand konventionell aus Aluminium, als Triebwerk wurde das PW1200G aus der Pratt & Whitney GTF™ Triebwerksfamilie gewählt. Bereits 2008 hatte ANA einen Auftrag über 15 Flugzeuge erteilt, 2012 folgte SkyWest aus den USA mit 200 Bestellungen. Nach dem Erstflug 2015 verzögerte sich das Testprogramm immer wieder um Jahre.

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Herkunft:Japan
Anzahl gebaut: 8
Erstflug:11. November 2015
Typ:Regionaljet
Grund fürs Scheitern:Bis 2022 war der SpaceJet weiterhin nicht alltagstauglich, die Pandemie sorgte für zusätzlichen Zeitverlust. Wichtige Bestellungen waren storniert worden, der durch strenge Regelungen (Scope Clause) und Pilotenmangel geprägte US-Markt war kein sicheres Absatzgebiet mehr und gleichzeitig dominiert seit Jahren Embraer dieses Segment. Im Februar 2023 wurde das Projekt beendet.
Ausgestellt:Keine

Scaled Composites Model 351 Stratolaunch „Roc“

Der legendäre Flugzeugkonstrukteur Burt Rutan arbeitete mit Microsoft-Mitgründer Paul Allen (gestorben 2018) seit 2010 daran, für dessen Firma Stratolaunch ein Spezialflugzeug als Träger für den Start eines Raumfahrzeugs aus der Luft zu bauen. Die Doppelrumpf-Konstruktion ist das größte Flugzeug aus Verbundwerkstoff und weist die nach wie vor die größte jemals existierende Spannweite auf – über 117 Meter. Um Kosten zu sparen wurden 113 der insgesamt 590 Tonnen Startgewicht aus zwei ausrangierten Boeing 747-400 übernommen, darunter die sechs PW4056-Turbofan-Triebwerke, Cockpit und Fahrwerk.

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Herkunft:USA
Anzahl gebaut: 1
Erstflug:13. April 2019
Typ:Flugzeug als Startvehikel für Raumfahrzeug
Grund fürs Scheitern:Das Projekt befindet sich nach wie vor in der Testphase, bis Oktober 2022 waren acht Flüge absolviert.
Ausgestellt:Keine, da aktives Programm

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