„Der freie, unbeschränkte Flug des Menschen würde von tief einschneidender Wirkung auf alle unsere Zustände sein. Die Grenzen der Länder würden ihre Bedeutung verlieren“, beschrieb der Luftfahrtpionier Otto Lilienthal (1848-1896) einst seine Vision. Sein Verdienst waren nicht nur erste erfolgreiche, kontrollierte und wiederholbare Flüge mit einem Flugzeug nach dem Prinzip „schwerer als Luft“, sondern auch die erste Serienfertigung eines Fluggeräts: Der von ihm konstruierte und in seiner Maschinenfabrik in Berlin gefertigte „Normalsegelapparat“ wurde nachweislich mindestens neunmal verkauft.
Darüber hinaus war er vor allem der erste, der aerodynamische Prinzipien systematisch untersuchte und beschrieb. Sein bahnbrechendes Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“, 1881 in einer Auflage von nur 1.000 Exemplaren veröffentlicht, nutzten etwa die Brüder Wright für ihre Flugzeugentwicklungen: „Die wichtigste Erkenntnis (…) war die Entdeckung, dass gewölbte Tragflächen einen größeren Auftrieb lieferten als ebene“, stellten sie fest.
Die gewölbte Form von Vogelflügeln war bereits bekannt, Lilienthal hatte sie jedoch als erster exakt vermessen und dann auf die Konstruktion von Fluggeräten übertragen. Mit der Erprobung begann er im Frühjahr 1891. Inzwischen schätzt man, dass er mehr als zweitausend Flüge erfolgreich durchführte, bevor er 1896 bei einem Flugversuch tödlich verunglückte.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat nun aus Anlass des 125-jährigen Jubiläums seiner ersten Flüge Lilienthals Normalsegelapparat nach seinen Zeichnungen rekonstruiert und im Windkanal getestet. Ziel der Untersuchung war unter anderem der Nachweis, dass Lilienthal ein um alle drei Achsen stabiles Flugzeug gebaut hat, denn wesentlicher Bestandteil seiner Konstruktion waren nicht nur die gewölbten Flügel, sondern auch Höhen- und Seitenruder.
In dieser Hinsicht war Lilienthals Flugzeug sogar dem Flugapparat der Brüder Wright voraus, berichtet Professor Andreas Dillmann, Leiter des Nachbauprojekts sowie des DLR-Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik: „Der Wright-Flyer stellte sich bei Windkanaltests der Nasa als instabil bei allen Fluggeschwindigkeiten heraus“, wogegen die Flugeigenschaften des Lilienthal-Gleiters vergleichbar seien mit denen von Schul-Segelflugzeugen der 1920er und -30er Jahre - Jahrzehnte nach Lilienthal.