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Forschungsflüge für das Klima
Wie verhält sich das Abgas aus Biosprit in der Atmosphäre? Ein ungewöhnlicher Flugbericht.
03.2018 | Autor: Andreas Spaeth | 8 Min. Lesezeit
Autor:
Andreas Spaeth
ist seit über 25 Jahren als freier Luftfahrtjournalist in aller Welt unterwegs, um Airlines und Flughäfen zu besuchen und über sie zu berichten. Bei aktuellen Anlässen ist er ein gefragter Interviewpartner in Hörfunk und Fernsehen.
Ein regnerischer Januarmorgen in Ramstein in der Pfalz. Auf der größten U.S.-Luftwaffenbasis außerhalb der USA drängen sich die riesigen, grauen C17-Transportmaschinen auf dem Vorfeld. Irgendwo dazwischen stehen zwei zivile Exoten, kleiner und beinahe unauffällig: eine echte Rarität, die letzte weltweit fliegende DC-8 in der Passagierversion, das fliegende Labor der NASA, stationiert in Palmdale, Kalifornien. Und dazu die in Braunschweig beheimatete A320 des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Das deutsche Forschungsflugzeug ATRA (Advanced Technology Research Aircraft), früher im Liniendienst bei Niki, heute im Dienst der Wissenschaft unterwegs, wird gerade mit 18 Tonnen Sprit betankt. Die Hälfte davon besteht aus dem Biokraftstoff HEFA (Hydroprocessed Esters and Fatty Acids), gewonnen aus dem Öl der Leindotterpflanze. Die Aufgabe der Forschungsmission hier ist es nämlich, erstmals durch Messungen zu belegen, dass die Beimengung von Biosprit zu herkömmlichem Kerosin die Klimafreundlichkeit des Fliegens verbessert. Heute werden zum ersten Mal die Emissionen eines Kraftstoffs mit diesem hohen Beimischungsverhältnis von HEFA im Flug untersucht, im fliegerischen Alltag ist ein deutlich geringerer Anteil realistischer.
Sechs Minuten geradeaus, Linkskurve, wieder sechs Minuten geradeaus
Nach dem Start von Ramstein geht es nach Norddeutschland, in einen eigens für den Verkehr gesperrten Luftraum. Hier dreht der Airbus stundenlang seine Runden, sechs Minuten geradeaus, Linkskurve, wieder sechs Minuten geradeaus, Rechtskurve. Aber die A320 ist nicht allein unterwegs. Kurz nach der ATRA ist das wohl ungewöhnlichste fliegende Labor der Welt gestartet und folgt dem Airbus. Hierbei handelt es sich um ein vierstrahliges Passagierflugzeug aus den Anfangstagen der Langstreckenjets, eine McDonnell Douglas DC-8-72. Viele europäische Airlines wie etwa KLM, SAS und Swissair setzten zwischen den 1960er und 1980er Jahren DC-8-Jets ein. Geliefert wurde die heute Letzte ihrer Art weltweit 1969 ursprünglich an Alitalia; seit 1986 bereits ist sie das größte Versuchsflugzeug der NASA. Damals wurde sie mit CFM56-Triebwerken ausgestattet, die auch heute erstaunlich leise daherkommen. „Die DC-8 ist von der Infrastruktur und dem Know-how der Besatzung her die beste fliegende Forschungsplattform weltweit“, schwärmt Dr. Hans Schlager vom DLR-Institut für Atmosphärenphysik. DLR und NASA installierten vor der Atlantiküberquerung Instrumente für 20 Messverfahren in der 42 Meter langen Kabine, die früher über 250 Fluggäste aufnahm, sowie außen am Rumpf. An der rechten Tragflächenspitze hängt ein goldfarbenes Wolken-Spektrometer, fünf komplexe Instrumente in einem. Außerdem zielt ein Laser aus einem Kabinenfenster auf die Tragflächenspitze, um den Wasserdampf im Umfeld der Kondensstreifen und Eiswolken zu messen.
Reduzierung der Klimaeffekte trotz steigender Luftfahrt
Die Flugbranche steht oft für ihre schädlichen Auswirkungen auf die Erderwärmung am Pranger, bisher vor allem die Emission des Treibhausgases CO2. Hier hat sich die Luftfahrt ehrgeizige Ziele gesetzt: Wachstum soll nur noch CO2-neutral stattfinden durch Verbesserungen bei Flugzeug, Triebwerk, Einsatz von entsprechenden Kraftstoffen und Kompensationsmaßnahmen. Bis 2050 soll sich nach Vorgaben der UN-Luftfahrtorganisation ICAO der CO2-Ausstoß gegenüber dem Wert von 2005 halbieren. „Die Luftfahrt ist für etwa fünf Prozent der menschengemachten Klimaeffekte verantwortlich, davon entfallen zwei Fünftel auf das CO2, der Rest auf Stickoxide und vor allem langlebige Kondensstreifen, die jetzt im Fokus stehen“, sagt Schlager. Genau an dieser Stellschraube, so die Wissenschaftler, lässt sich nämlich drehen, um den Klimaeffekt des stetig wachsenden Luftverkehrs zu verringern. Alle 15 bis 20 Jahre verdoppelt sich der globale Luftverkehr; 2017 wurde mit 4,1 Milliarden Flugpassagieren ein neuer Rekord erzielt. Bereits 2036 sollen es nach IATA-Vorhersagen 7,8 Milliarden Passagiere sein. Für ihre Beförderung muss die Luftfahrt nachhaltiger werden.
Die vorausfliegende DLR-A320 nimmt sich gegen die DC-8 der NASA geradezu zierlich aus.
Eine große Hoffnung für umweltfreundlicheres Fliegen ruht auf alternativen Kraftstoffen. Es hat sich bereits bei vielfältigen Tests und im Linienverkehr erwiesen, dass sich aus Biomasse oder aus Pflanzenöl entsprechend den zugelassenen Verfahren hergestellter Sprit mit herkömmlichem Kerosin mischen und problemlos im Flug einsetzen lässt. Das Problem ist, dass dieser nachhaltige Treibstoff derzeit dreimal teurer ist als fossiles Flugbenzin und damit der kommerzielle Anreiz fehlt, ihn einzusetzen. „Es ist aber wichtig, jetzt, bei niedrigem Ölpreis, Daten und Methoden zu seinem Einsatz zu entwickeln, die wir dann verfügbar haben, wenn das Öl wieder teuer ist und sich der Fokus auf erneuerbare Energien richtet“, sagt Dr. Patrick Le Clerq vom DLR-Institut für Verbrennungstechnik.
Flug in die sekundäre Zone der Kondensstreifen
Nach dem Start von Ramstein mit 14 Wissenschaftlern und sechs Mann Besatzung an Bord ist es die Aufgabe von NASA-Pilot Wayne Ringelberg, auf Schnüffelmission im Dienste der Klimaforschung zu gehen. „Wir müssen sehr präzise in die sekundäre Zone der Kondensstreifen 15 bis 20 Meilen hinter der ATRA hineinfliegen und uns dabei stets mindestens zweieinhalb Meilen entfernt von der vorausfliegenden A320 halten. Da kann es schon mal Turbulenzen an Bord geben“, so der ehemalige Kampfpilot. Die Wissenschaftler sind während der bis zu sechsstündigen Missionen meistens angeschnallt, Verständigung ist nur über Kopfhörer möglich. Entscheidende Voraussetzung für die Missionen sind die richtigen feuchtkalten Wetterbedingungen für das Entstehen von Kondensstreifen. Die Bedingungen sind gut, als 45 Minuten nach dem Start das Zielgebiet über der Ostseeküste erreicht ist. Die DC-8 fliegt kurz neben die ATRA, um die Höhenmesser zu kalibrieren, dann setzt sie sich stundenlang hinter den Airbus, um genau zu dokumentieren, was seine Triebwerke ausstoßen und welche Art Kondensstreifen sich dabei in Höhen zwischen acht und zwölf Kilometern bilden. Besonders klimarelevant sind die langlebigen, die zwischen zwei und 20 Stunden am Himmel stehen und dabei hohe Eiswolken bilden, sogenannte Kondensstreifen-Zirren. Sie können lokal kühlende oder wärmende Wirkung am Boden entfalten; die Erwärmung überwiegt.
Bei ihrer Entstehung kondensieren zunächst Wassertröpfchen an den Rußpartikeln der Flugzeugabgase, gefrieren und werden zu Eispartikeln. „Die Anzahl der Rußpartikel spielt eine wichtige Rolle. Bei der Verbrennung von Biosprit entsteht bis zu 50 Prozent weniger Ruß und es ändert sich damit die Anzahl und Größe der Eiskristalle“, erklärt Schlager. „So reduziert sich die Lebensdauer der Kondensstreifen und sie entfalten im Mittel eine geringere Strahlungswirkung.“ Wenn die gesamte Luftfahrt mit einem Kerosingemisch fliegen würde, das zur Hälfte aus HEFA besteht, ließen sich die Kondensstreifen-Zirren global um 30 Prozent verringern, schätzen die Forscher.
Die wichtige Rolle der langlebigen Kondensstreifen ist eine neue Erkenntnis der jüngsten Forschungsarbeiten. „Sie haben vermutlich eine größere wärmende Wirkung auf die Erdatmosphäre als alle über mehr als hundert Jahre in der Atmosphäre gesammelten CO2-Emissionen des Luftverkehrs zusammen“, vermutet Schlager. „Aber die genaue globale Wirkung von Kondensstreifen ist in Modellen nur schwer zu errechnen, daher sind die Messungen dieser Kampagne so wichtig“, sagt der DLR-Experte.
Bis allerdings die Gigabytes an gewonnenen Daten ausgewertet sind, wird ein Jahr vergehen. Als beide Flugzeuge auf dem Rückflug nach Ramstein sind, gönnt sich auch mancher Wissenschaftler an Bord einen Blick auf den Abendhimmel. Der ist heute spektakulär – vor allem dank vieler orangerot leuchtender Kondensstreifen.