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Getriebefan-Entwicklung: Immer noch Luft nach oben
Leiser, sparsamer und emissionsärmer – bereits die erste GTF-Generation gilt als technische Meisterleistung. Ausoptimiert ist die Triebwerksarchitektur aber noch lange nicht.
10.2021 | Autor: Denis Dilba | 5 Min. Lesezeit
Autor:
Denis Dilba
studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journalistenschule und gründete das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz. Er schreibt über verschiedenste Themen aus Technik und Wissenschaft.
Ein Getriebe überträgt Leistung, wandelt Drehmomente und Drehzahlen. Kein Wunder also, dass das Bauteil schon lange vor dem Jahr 2008 in Triebwerken von diversen Luftfahrzeugen eingesetzt wurde: Hubschrauber beispielsweise kommen ohne das mechanische Bauteil überhaupt nicht aus; und auch in Turboprop-Antrieben sorgen Getriebe seit jeher dafür, dass sich die Propeller mit der richtigen Geschwindigkeit drehen. Mit Einführung des Getriebefan-Programms vor 13 Jahren spielen Getriebe auch in Verkehrsflugzeugen eine Rolle – mit deutlich höheren Leistungsanforderungen. „Das Neue an diesem sogenannten Planetengetriebe war und ist tatsächlich die enorme Anforderung an die zu übertragende Leistung“, sagt Dr. Stephan Bock, Leiter Entwicklung zivile Programme bei der MTU Aero Engines. „Über eine Fläche, die nicht größer als ein Kanaldeckel ist, wird eine Leistung von rund 20 Megawatt übertragen – so viel wie ein kleineres stationäres Kraftwerk.“
Neben den hohen Leistungen ergeben sich allerhöchste Ansprüche an die Zuverlässigkeit der gesamten Technik im Getriebefan. „Bei dieser Leistungsklasse ist selbst die prozentual winzige Verlustwärme so groß, dass die Kühlung immer gewährleistet sein muss – sonst erhitzt sich das Getriebe in kürzester Zeit bis zum Schmelzpunkt der Materialien und ist dann, salopp gesagt, einfach nicht mehr da“, erklärt MTU-Ingenieur Bock. Das G im GTF, dem Geared Turbofan, wie der Getriebefan auf Englisch bezeichnet wird, ist damit nach wie vor eine herausragende ingenieurstechnische Meisterleistung: Die neue Triebwerksarchitektur erlaubt es allen Komponenten, in ihrem jeweiligen Drehzahloptimum zu laufen: der Fan mit seinem großen Durchmesser langsamer, Niederdruckverdichter und Niederdruckturbine erheblich schneller. Ohne Getriebe müssen Kompromisse bei den Drehzahlen gemacht werden, die dann zu Lasten der Komponentenwirkungsgrade gehen. Bis heute hat es neben GTF-Hersteller Pratt & Whitney kein anderer Wettbewerber geschafft, so ein Planetengetriebe in den Flugbetrieb zu bringen.
Mit MTU-Ingenieurskunst Potenziale heben
Weitere zentrale technologische Highlights und Meilensteine, ohne die der Getriebefan nicht funktionieren würde, betreffen die beiden MTU-Hauptkomponenten: die schnelllaufende Niederdruckturbine und die ersten vier Stufen des insgesamt achtstufigen Hochdruckverdichters in Blisk-Bauweise. Damit erreicht der Getriebefan einen sehr hohen Wirkungsgrad, der bereits rein rechnerisch beeindruckende Resultate vorzuweisen hat: Treibstoffverbrauch und Kohlenstoffdioxidausstoß verringern sich um je 16 Prozent, der Lärmteppich sogar um 75 Prozent. Und auch bei den NOx-Emissionen kann der GTF deutliche Verbesserungen aufweisen: Sie sind um 50 Prozent geringer als beim Vorgängermodell. Betreiber berichteten in der Praxis aktuell sogar von Treibstoffeinsparungen von bis zu 20 Prozent verglichen mit Flugzeugen der vorherigen Generation, sagt Tom Pelland, Senior Vice President, Commercial Engine Programs bei GTF-Hersteller Pratt & Whitney.
Einen Hauptanteil an diesem Erfolg hat insbesondere die schnelllaufende Niederdruckturbine mit ihren höheren Wirkungsgraden. Für die GTF-Schlüsselkomponente erhielt die MTU zwei deutsche Innovationspreise. Durch die hohen Umfangsgeschwindigkeiten infolge des Untersetzungsgetriebes lassen sich im GTF größere Stufenarbeiten realisieren. Es werden daher nur noch drei Stufen benötigt. Bauraum, Gewicht, Instandhaltungskosten, Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß des Gesamttriebwerks sinken. Und als wäre das nicht schon eindrucksvoll genug, trägt die MTU-Niederdruckturbine auch wesentlich zur erzielten Lärmminderung bei. Sie ist deutlich leiser als herkömmliche Modelle, da ihre Lärmemissionen höhere Frequenzen haben, die in der Atmosphäre besser gedämpft werden und für das menschliche Ohr damit kaum mehr wahrnehmbar sind.
GTF Triebwerksfamilie: Die neuen Triebwerke bieten Verbesserungen im zweistelligen Prozentbereich bei Kraftstoffverbrauch, Schadstoff- und Lärmemissionen sowie Betriebskosten.
Ende der GTF-Erfolgsgeschichte nicht in Sicht
Was bedeutet eigentlich „Bypass-Ratio“?
In modernen Turbofan-Triebwerken treibt das Kerntriebwerk einen Fan an, welcher Luft am Kerntriebwerk vorbei im Nebenstrom beschleunigt. Das Verhältnis aus Nebenstrom und der Luft, die durch das Kerntriebwerk geleitet wird, nennt man Bypass-Ratio – im Deutschen „Nebenstromverhältnis“.
Ein Triebwerk ist dann effizient, wenn es viel Luftmasse, also große Nebenstromverhältnisse, bei möglichst kleiner Geschwindigkeitsdifferenz zur Fluggeschwindigkeit bewegt. Und das senkt wiederum Kraftstoffverbrauch und Emissionen inklusive Lärm.
Ultra High Bypass Ratio für die Zukunft
Seit den 1960er Jahren sind die Werte von anfangs 2:1 über 6:1 für den Triebwerksklassiker V2500 aus den 1980ern bis zum bisherigen Rekordwert von 12:1 für den aktuellen Getriebefan gestiegen. Bei der Weiterentwicklung des GTF-Antriebs wird ein Nebenstromverhältnis jenseits von 12:1 angestrebt. Experten sprechen dann von einer Ultra High Bypass Ratio (UHBR).
Mit dieser Weltklasse-Niederdruckturbine bewegt sich die MTU heute in einer eigenen Liga. Aber auch diese Ausnahme-Turbine kann man noch verbessern. „Mit neuen Werkstoffen, noch leistungsfähigeren Computersimulationen und nochmals optimierter Aerodynamik arbeiten wir bereits an einer neuen Niederdruckturbinen-Generation“, sagt Stephan Bock. Weltweit wird diese Technologie in der Serie nur von der MTU beherrscht. Der lange Atem und die Akribie bei der Entwicklung hat sich auch für die MTU gelohnt: Das gemeinsam mit Pratt & Whitney entwickelte Getriebefan-Konzept ist nicht nur ein technologischer Quantensprung sondern auch auf dem Markt ein großer Erfolg: Airbus bietet den GTF heute für die A320neo-Familie und die A220 (ehemals Bombardier C-Series) an, Mitsubishi hat das Triebwerk exklusiv für seinen Regional-Jet SpaceJet ausgewählt und Embraer treibt die neuen E-Jets der Familien E-170 und E-190 damit an. Und auch Irkut wird seine MC-21 mit dem GTF ausstatten. Derzeit kann Pratt & Whitney weltweit insgesamt über 10.000 Bestellungen und Optionen für Getriebefan-Antriebe verzeichnen.
In die aktuelle GTF-Version hielten bereits MTU-Innovationen Einzug: zum Beispiel die ersten additiv gefertigten Bauteile, sogenannte Boroskopaugen, sowie Bürstendichtungen. Letztere verbessern zusammen mit neuen Blisk-Verdichterstufen die Performance des Hochdruckverdichters. „Die bisherigen technologischen Entwicklungen und Erfolge machen uns natürlich stolz“, sagt Dr. Martin Stadlbauer, Leiter Vorauslegung zivile und militärische Programme. So konnten durch die GTF-Technologie bis heute mehr als fünf Millionen Tonnen CO2-Ausstoß vermieden werden. „Aber wir müssen und können künftig noch mehr Einsparungen und Verbesserungen erzielen“, so Stadlbauer. Die kommende GTF-Generation, deren Markteinführung die MTU ab Anfang der nächsten Dekade erwartet, soll noch einmal bis zu zehn Prozent Einsparungen bei Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen bringen. Dazu könnte das Fan-Druckverhältnis weiter reduziert und das Bypass-Verhältnis in den kommenden Jahren weiter erhöht werden – von derzeit 12:1 bis in einer Größenordnung von 15:1.
Zudem arbeiten die MTU-Ingenieur:innen daran, den thermischen Wirkungsgrad des Kerntriebwerks durch höhere Druckverhältnisse weiter zu verbessern, wofür die Wirkungsgrade von Niederdruckturbine und Hochdruckverdichter noch einmal nach oben getrieben werden. „Neue virtuelle Auslegungsverfahren und Simulations-Tools sorgen dafür, dass wir die Geschwindigkeit bei den nötigen Entwicklungen erhöhen können und gleichzeitig die Kosten reduzieren“, sagt Stadlbauer.
Mit SAFs und „nasser“ Verbrennung zur Klimaneutralität
Die MTU forscht auch an weitergehenden, revolutionären Konzepten – wie etwa dem Water-Enhanced Turbofan (WET Engine). Dabei wird in einem Wärmetauscher im Abgasstrahl Wasser verdampft und in die Brennkammer eingespritzt. „Dadurch wird die sonst im Abgasstrahl verlorene Abwärme rekuperiert und dem Kreisprozess wieder zugeführt, wodurch der thermische Wirkungsgrad des Antriebs deutlich verbessert wird“, erklärt Stadlbauer. Darüber hinaus ermöglicht eine „nasse Verbrennung“ die fast vollständige Vermeidung von Stickoxiden.
Künftige GTF-Versionen könnten zudem etwa mit höheren Anteilen an nachhaltigen Flugkraftstoffen, sogenannten Sustainable Aviation Fuels (SAF), betrieben werden. Derzeit seien 50 Prozent SAF-Zumischung möglich, angepeilt sind möglichst 100 Prozent, so der MTU-Technologe. „Mit größeren Getrieben kann man die Leistung anpassen und, wenn der Markt das fordert, noch größere Triebwerke bauen“, sagt Stephan Bock. Diese Entwicklung werde bei Pratt & Whitney bereits vorangetrieben. „Zusammen mit Entwicklungen zu Triebwerken, die Wasserstoff direkt verbrennen, und vor allem der fliegenden Brennstoffzelle, fühlen wir uns mit den kommenden GTF-Generationen auf die steigenden Anforderungen gut vorbereitet“, sagt der MTU-Ingenieur. „Wir haben die klimaneutrale Zukunft der Luftfahrt fest im Blick.“