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Modulare Flugzeuge: Flexibilität soll Kosten sparen
Mit modularen Flugzeugen und Kabinen können Airlines schneller auf unterschiedliche Passagierbedürfnisse und Marktsituationen reagieren – das soll den Flugverkehr effizienter machen.
02.2019 | Autor: Denis Dilba | 9 Min. Lesezeit
Autor:
Denis Dilba
studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journalistenschule und gründete das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz. Er schreibt über verschiedenste Themen aus Technik und Wissenschaft.
Der Transport von Waren in standardisierten Containern, erfunden 1956 vom US-amerikanischen Reeder Malcom McLean, gilt als eine der bedeutendsten Entwicklungen der Logistik. Einmal in der Blechkiste verpackt, kann das Transportgut über lange Distanzen mit verschiedenen Verkehrsträgern wie Lkw, Eisenbahn oder Schiff befördert werden. Zeitraubendes Aus- und Umpacken sowie Kosten für Lagerhaltung oder Liegezeiten in Häfen entfallen. Das Transportwesen wurde revolutioniert. Nicht weniger schwebt Claudio Leonardi von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (ETHL) mit seinem Konzept Clip-Air für den Luftverkehr vor. Bereits seit 2009 arbeitet der Forscher an der futuristischen Flugzeugstudie.
Nurflügler mit flexibel nutzbaren Container-Kapseln
Clip-Air besteht aus zwei Elementen: Zum einen einer fliegenden Komponente, einem Nurflügler. Zum anderen aus Kapseln, die ähnlich wie Container auf ein Schiff gestapelt einfach an das Flugmodul angedockt werden können und je nach gewählter Konfiguration als Kabine oder Laderaum dienen. Der Clou von Clip-Air ist, dass die Kapseln auch als Zugwaggons verwendet werden können. „Auf diese Weise könnten wir die Flugzeuge direkt in die Stadtzentren bringen“, sagt ETHL-Forscher Leonardi. Die Passagiere betreten das Flugzeug sozusagen bereits am Bahnhof. Die Kabinenmodule fahren anschließend zum Flughafen weiter, wo sie an die Nurflügler-Einheit angekoppelt werden.
Umsteigen und ein separates Boarding wären nicht mehr nötig, die Fluggäste könnten bequem sitzen bleiben. Stress und Hektik auf dem Weg zum Gate gehörten der Vergangenheit an und auch die Flughäfen und die Airlines würden von der Zeitersparnis profitieren. Ein weiterer Vorteil des modularen Flugzeug-Konzepts sei, dass man flexibel auf Bedarfe reagieren könne, meint Leonardi. „Es ist beispielsweise möglich, nur Zweite- oder nur Erste-Klasse-Module anzuhängen.“ So kann bei entsprechender Buchung eine leere erste Klasse vermieden werden, die Platz benötigt und Sprit verbraucht. Eine Neuerung für den Schienenverkehr wäre auch, dass Frachtmodule und Passagiermodule gleichzeitig transportiert werden können.
Bis zu 4.000 Kilometer beträgt die von den ETHL-Wissenschaftlern errechnete Reichweite des Fluggerätes, das 60 Meter Spannweite aufweist. Unter dem Rumpf kann es drei rund 30 Meter lange und vier Meter im Durchmesser fassende Module tragen – was jeweils ungefähr einer Airbus A320 entspricht. So haben entweder drei Mal 150 Passagiere Platz oder sehr viel Fracht. Weiterer Bonus: Indem eines der drei Cargo-Module gegen einen zusätzlichen, mobilen Treibstofftank ausgetauscht wird, lasse sich die Reichweite von Clip-Air zusätzlich erhöhen, so Leonardi. Ob und wann das Konzept umgesetzt wird, ist allerdings noch vollkommen offen. Leonardi hofft natürlich, dass Clip-Air eines Tages abhebt, ihm ist aber klar, dass es sich um ein Langzeitprojekt handelt.
Kopplung als technische Herausforderung
Kay Plötner, Leiter Ökonomie und Verkehr am Forschungsinstitut Bauhaus Luftfahrt, hat Zweifel, ob so ein modulares Flugzeug-Konzept überhaupt eine Chance hat. Der Wissenschaftler kennt sich damit aus: Zusammen mit Design-Studenten der University of Glasgow haben er und seine Bauhaus-Luftfahrt-Kollegen 2013 ebenfalls eine modulare Flugzeugstudie erarbeitet, die Zug- und Flugverkehr kombiniert.
„Bei solchen Systemen scheitert es oft daran, dass die Flugzeuge selbst zu schwer und ineffizient werden“, sagt Plötner. Der Kopplungsmechanismus für die Module müsse so ausgelegt werden, dass er sicher ist. Die Kräfte werden über wenige Punkte eingeleitet, was eine massivere Bauweise erfordert, die mehr Gewicht auf die Waage bringe. Die andere Hürde ist, dass die Komplexität am Flughafen erhöht wird oder man massiv in die Infrastruktur eingreift. „Das heißt: Man müsste die Flughäfen und zum Teil die Bahnhöfe kostspielig umbauen.“ Diese Probleme gelten auch für das aktuelle Konzept Link & Fly des französischen Technologieberatungs-Unternehmens Akka Technologies. Hier wird nur ein Zugmodul mit einem Flugmodul gekoppelt.
Etwas größere Chancen hinsichtlich einer Umsetzung räumt der Bauhaus-Luftfahrt-Experte dem modularen Konzept Transpose der Airbus-Forschungseinheit A3 aus dem Silicon Valley ein. Das Team um Projektleiter Jason Chua hat Anfang 2017 ein Konzept für modulare Flugzeugkabinen vorgestellt.
CLIP-AIR-FLUGZEUGE IM VERGLEICH ZU KONVENTIONELLEN ZIVILFLUGZEUGEN
Flexibles Flugzeug Die einzelnen Module werden unter dem Rumpf des Nurflüglers angedockt. Dort haben bis zu drei Module Platz - was jeweils ungefähr einer Airbus A320 entspricht.
Anpassungsfähige Zellen
Diese innerhalb von wenigen Minuten am Flughafen austauschbaren mobilen Module sollen es Airlines künftig ermöglichen, ihre Flugzeuge an die individuellen Bedürfnisse von Passagieren auf bestimmten Routen anzupassen. Zehn bis vierzehn solcher Kabinenabteile passen laut A3 in eine A330. Chua denkt an Module mit Spielecke und Kinderbetreuung für Familienreisen, fliegende Konferenzräume, Fitnessstudios und Cafés. „Der größere Mehrwert für den Kunden soll natürlich auch eine höhere Zahlungsbereitschaft erzeugen“, sagt Plötner. Etwas Ähnliches gab es in der Vergangenheit schon einmal: So wurden beim Airbus A340-600 für das Unterdeck spezielle Module entworfen. Dort waren die Toilettenabteile der Economy Class, die Hauptküche und ein Ruheraum für Flugbegleiter untergebracht – allerdings auf Kosten des nutzbaren Frachtraums und fest verbaut, nicht wie beim A3-Konzept variabel austauschbar. „Theoretisch wäre die Airbus-Idee machbar“, sagt Plötner.
Vielfältiger Nutzen Beim Clip-Air-Konzept können Module für unterschiedlich große Trägerflieger je nach Bedarf mit Fracht, Passagieren oder Treibstoff gefüllt werden.
Vielfältiger Nutzen Beim Clip-Air-Konzept können Module für unterschiedlich große Trägerflieger je nach Bedarf mit Fracht, Passagieren oder Treibstoff gefüllt werden.
Komfortables Reisen Die Passagiermodule des Clip-Air-Konzepts können direkt vom Rollfeld auf die Schiene gehen, die Passagiere bleiben entspannt sitzen.
Komfortables Reisen Die Passagiermodule des Clip-Air-Konzepts können direkt vom Rollfeld auf die Schiene gehen, die Passagiere bleiben entspannt sitzen.
Flugzeuge aus dem Pool
Ob aber die Nachfrage da ist und die modularen Kabinen höhere oder zumindest gleiche Einnahmen garantieren, bezweifeln neben Plötner noch einige andere Experten. Dazu kommt, dass die Fluggesellschaften für jede neue Konfiguration der Kabine auch neue Gewichtsberechnungen vornehmen müssen. Chua ist trotzdem zuversichtlich, dass ein Transpose-Prototyp bereits in wenigen Jahren abhebt. A3 stehe wegen der Zulassung bereits mit der Federal Aviation Administration in Kontakt. Plötner und seine Kollegen versprechen sich mehr von einer Idee, die auch auf die kommende Individualisierung des Flugverkehrs eingeht, aber nicht auf modulare Konzepte setzt: „Die künftigen Flexibilitäts-Anforderungen erfülle ich auch, indem ich viele unterschiedlich ausgestattete Flugzeuge an einem Flughafen habe und die Airline einfach je nach Buchungslage entscheidet, welches davon sie einsetzen möchte“, sagt der Experte. „Wir bezeichnen das als Aircraft Sharing Model.“ Die Flugzeuge gehörten dann nicht mehr den Airlines, sondern beispielsweise einer großen Leasing-Gesellschaft.
„Das ist ein Modell, von dem wir denken, dass es mit relativ wenig Eingriff ins Transportsystem verbunden ist – an den Jets und den Flughäfen muss man nicht viel ändern“, sagt Plötner. Das Einzige, was sich radikal ändert, sei die Planung, der Betrieb oder auch der Einsatz der Crews, mit denen man die Flugzeuge im Netz rotieren lässt. Wenn alle Airlines weltweit mitmachen würden und beispielsweise sämtliche Boeing-737-Maschinen sowie Airbus-A320-Jets in einem Sharing-Pool vereint wären, könnten 20 bis 25 Prozent aller Flugzeuge eingespart werden, haben die Bauhaus-Luftfahrt-Forscher berechnet. „Die Transportleistung bleibt gleich, nur die Betriebskosten könnten sinken“, so Plötner. Das globale Flugzeug-Sharing umgeht zudem weitgehend die aufwändige Hardware-Flexibilisierung der modularen Konzepte. „Wir setzen möglichst auf Dinge, die per Software geändert werden können: Licht, digitale Labels und Displays.“ Ähnlich wie bei einem Smartphone eine App installiert wird, könnte in Zukunft also vielleicht ein Miet-Flugzeug per Klick von Lufthansa auf Easyjet umgestellt werden.